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Kulturviertel in Peking
Bagger gegen Ateliers und Galerien

Künstlerinnen und Galeriebesitzer im Pekinger Künstlerviertel Huantie verlieren ihre Wirkungsstätte: Bagger reißen das Viertel ab. Begründet wurde das mit einer Kampagne gegen organisierte Kriminalität. Die Aktion kam für die Kreativen völlig überraschend - ihre Freiheit wird immer mehr beschnitten.

Von Benjamin Eyssel | 07.08.2019
Peking, Huantie, Künstlerviertel
Wo einst Kreativität wirkte herrscht nun Leere - das Künstlerviertel Huantie (Benjamin Eyssel)
Bagger reißen Gebäude ein. Lastwagen transportieren den Schutt ab. An den Eingängen stehen Wachleute. Das Künstlerviertel gebe es nicht mehr, sagen sie. Rein dürfe man nicht. Zu gefährlich. Fotos dürfe man auch keine machen. Warum, wüssten sie nicht.
Was bis vor wenigen Wochen noch ein pulsierendes Künstlerviertel war, mit Galerien, Studios und Wohnungen von Künstlern, steht heute entweder leer oder ist abgerissen. Huantie liegt nur wenige Kilometer vom bekannten Pekinger Künstlerviertel 798 entfernt, was aber vielen mittlerweile zu kommerziell, zu touristisch und zu teuer geworden ist.
"Fast der ganze Hof wurde umzingelt"
In einem Café ganz im Norden Pekings sitzt Juan Wa. Die 36-jährige Malerin kam vor sieben Jahren nach einem Studium in Frankreich zurück in ihr Heimatland China. Sie habe sich in Huantie ein Leben aufgebaut, ein Studio eingerichtet, erzählt sie, umgerechnet Tausende von Euros investiert. Dann kam am 7. Juli unerwarteter Besuch:
"Nachmittags kamen plötzlich viele Leute, etwa zwischen 14 und 15 Uhr. Fast der ganze Hof wurde umzingelt. Sie versperrten zuerst alle Eingänge. Der zuständige Behördenmitarbeiter hatte Wachmänner dabei, auch die Polizei war da. Sie nannten das 'gemeinsame Anwendung des Gesetzes'. Etwa 20 Leute klebten Mitteilungen auf unserer Türen. Zwei Seiten Papier auf jede Tür."
Vorgeschobene Gründe für die Räumung?
Auf den Mitteilungen stand, alle in Huantie hätten sieben Tage Zeit, das Küstlerviertel zu verlassen. Die Räumung sei Teil der Regierungskampagne gegen organisierte Kriminalität. Es gebe Sicherheitsprobleme in dem Viertel. Für die Künstlerin Juan Wa sind das nur vorgeschobene Gründe:
"Wir sind fast panikartig geflüchtet. Die Zeit war viel zu knapp, viele Sachen konnten wir einfach nicht mitnehmen, am vierten und fünften Tag wussten wir immer noch nicht, wohin wir umziehen sollen. Ich versuche mir das Ganze zu erklären. Warum? Ich will wissen, warum nur sieben Tage, warum so kurzfristig, so plötzlich, keine Vorbereitung. Wir konnten nichts machen."
Die Künstlerin Juan Wa aus Peking
Die Künsterlin Juan Wa aus Peking hat ihr Atelier und ihre Wohnung verloren. (Benjamin Eyssel)
Jahrelang blühte das beliebte Pekinger Künstlerviertel Huantie, das sich offiziell auf Ackerland und öffentlichem Gebiet befand. Zwar gab es keine Genehmigung. Das störte aber all die Zeit niemanden. Chinesischen Behörden gefalle es nicht, wenn sie etwas nicht komplett kontrollieren könnten, erklärt Zhang Hong. Er ist Professor am Institut für Kulturkritik an der Shanghaier Tongji-Universität:
"So suchen die Behörden nach Möglichkeiten, wie sie Probleme loswerden können. Wenn es keinen Anlass gibt, lassen sie Dinge auch einfach mal von alleine kommen und gehen. Aber wenn sie etwas tun wollen, dann suchen sie sich einfache Ziele. Fabriken kann man nicht so leicht dicht machen. Galerien schon, sie haben ja keine Macht. Jetzt zum 70. Geburtstag der Volksrepublik im Oktober, gab es offensichtlich eine gute Gelegenheit. Solche Aktionen hat es in der Vergangenheit immer wieder gegeben."
"Wir sind in einem Zustand der ständigen Migration"
Ganz in der Nähe von Huantie wird dieser Tage ein Park eröffnet. Auch dort stand bis vor ein paar Jahren ein Künstlerviertel. Was auf dem Gebiet von Huantie passieren soll, ist noch unklar. Die Malerin Juan Wa kämpft mit den Tränen. Sie hat alles verloren: ihr Studio, ihre Wohnung. Sie hat bei ihrer Schwester erstmal Unterschlupf gefunden. Trotz aller Widrigkeiten will Juan Wa aber in Peking bleiben und weitermachen. Vielleicht erstmal eine Wohnung mieten.
"Die gesamte chinesische Kunstszene konzentriert sich auf Peking. Alle Künstler in Peking haben das gleiche Problem. Wir sind überall zerstreut. Es gibt fast keine stabilen Künstlerviertel mehr, es sind viel zu wenige. Wir sind in einem Zustand der ständigen Migration."
All das folgt einem Trend. Unter Präsident Xi Jinping sind Zensur und Überwachung schärfer geworden. Jetzt vor dem 70. Geburtstag der Volksrepublik China am 1. Oktober versucht die Staats- und Parteiführung alle Ecken und Kanten abzuschleifen. Künstlerinnen und Künstler in China würden von der Regierung als untere Gesellschaftsschicht betrachtet, sagt Juan Wa. Es gebe keinen Schutz. Die Regierung wolle alles kontrollieren:
"Aber wenn du anders bist, deine eigenen Gedanken hast, dich irgendwie äußerst, vielleicht sogar etwas radikaler, dann sieht das die Politik schon als ihren Nachteil. Die Freiheit, auf die wir Künstler stets hoffen, wird immer weniger."