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Kultusministerkonferenz
Mehr Einheit gegen pädagogische Freihändigkeit

Schluss mit dem Bildungsförderalismus, mehr Transparenz und Einheitlichkeit, vor allem beim Abitur - darauf einigte sich die Kultusministerkonferenz. KMK-Präsidentin Stefanie Hubig sprach von einem "historischen Tag für die deutsche Bildungslandschaft". Ein konkreter Zeitplan steht aber noch aus.

Von Christiane Habermalz | 16.10.2020
03.08.2020, Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin: Schüler gehen am ersten Schultag nach den Sommerferien in Klassengruppen durch den zugeordneten Eingang zu ihrem Klassenraum in der Grundschule Lankow. Unter Corona-Bedingungen beginnt in Mecklenburg-Vorpommern wieder der Unterricht. Die Kultusminister der Länder haben vereinbart, dass die Schulen nach den Ferien trotz der Corona-Pandemie in den Regelbetrieb zurückkehren. Foto: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/ZB | Verwendung weltweit
KMK-Chefin Hubig: "Wollen zum Beispiel mehr Vergleichbarkeit schon in der Grundschule, etwa bei der Frage, wieviel Deutsch, Mathematik oder Sachkunde stattzufinden hat." (picture alliance / Jens Büttner / dpa-Zentralbild / ZB)
Und die KMK bewegt sich doch – so lautete der lakonische Kommentar der grünen Bildungspolitikerin Margit Stumpp zu den Beschlüssen, die die Kultusminister der Länder gestern in erstaunlicher Einstimmigkeit beschlossen haben – und mit denen sie das föderale Schulsystem in Deutschland einheitlicher und transparenter gestalten wollen. KMK-Präsidentin Stefanie Hubig, gleichzeitig Bildungsministerin von Rheinland-Pfalz, sprach von einem "historischen Tag für die deutsche Bildungslandschaft" und "wegweisenden Entscheidungen, die weit über den heutigen Tag hinauswirken werden."
"Das war ein Kraftakt für alle Beteiligten, den wir heute geschafft haben. Seit über zwei Jahren verhandeln wir, und ich denke, vor zwei Jahren haben wir uns alle nicht vorstellen können, dass dieser Tag kommt und heute da ist und dass wir so viel erreicht haben."
Hälfte der schriftlichen Abituraufgaben aus zentralen Aufgabenpool
Die Minister verabschiedeten eine Ländervereinbarung mit einem langen Katalog an politischen Vorhaben. Insbesondere das Abitur soll einheitlicher und vergleichbarer werden. Ab 2023 müssen alle Länder in den Fächern Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisch 50 Prozent der schriftlichen Abituraufgaben aus einem zentralen Aufgabenpool entnehmen. Diesen Pool gab es auch vorher bereits, doch die Beteiligung war freiwillig und nicht alle Länder beteiligen sich daran. Ab 2025 soll das auch für die naturwissenschaftlichen Fächer verpflichtend gelten. Vereinheitlicht werden sollen auch die Leistungen und die Kurse, die in der Oberstufe für das Abitur eingebracht werden müssen – und die zwei Drittel der Note ausmachen. Auch die anderen Schulabschlüsse sollen angeglichen werden.
21.08.2019, Rheinland-Pfalz, Mainz: Stefanie Hubig (SPD), Ministerin für Bildung des Landes Rheinland-Pfalz, spricht während der Plenarsitzung des Landtags Rheinland-Pfalz. Foto: Arne Dedert/dpa | Verwendung weltweit
Neue KMK-Präsidentin - "Stärkung der Europabildung in Schule und Ausbildung"
Den Wert Europas wieder klarer machen, das will die neue KMK-Präsidentin Stefanie Hubig für Schülerinnen und Schüler: "Wir glauben, dass wir gegen Extremismus, Populismus und Nationalismus ein deutliches Signal stellen müssen", sagte sie im Dlf. Dies sollten vor allem auch junge Leute tun.
"Wir wollen zum Beispiel mehr Vergleichbarkeit schon in der Grundschule, etwa bei der Frage, wieviel Deutsch, Mathematik oder Sachkunde mindestens stattzufinden hat. Wir wollen auch, dass alle Kinder eine verbundene Handschrift lernen, egal, wo sie in Deutschland zur Schule gehen. Wie werden gemeinsame Bildungsstandards weiter entwickeln und fortführen, damit sie in allen Schulen in Deutschland gelten," erklärte Hubig.
Bildungsföderalismus in der Bevölkerung wenig beliebt
Auch das Dickicht der Sekundarschulen mit diversen Bezeichnungen und Abschlüssen soll gelichtet und zur besseren Vergleichbarkeit "katalogisiert" werden. Ein ambitioniertes Programm - und eine späte Reaktion darauf, dass der Bildungsföderalismus, wie zahlreiche Umfragen belegen, mit seinen 16 unterschiedlichen Schulsystemen in der Bevölkerung wenig beliebt ist.
"Wir wissen, die Menschen haben den Wunsch nach mehr Einheitlichkeit nach mehr Gemeinsamkeit bei der Bildung, und wir sehen darin unsere Verantwortung. Es darf mit Blick auf die Chancengerechtigkeit aus unserer Sicht keinen Unterschied machen, ob ein Kind in Aaachen oder Zwickau geboren ist. Und wir wissen auch, wenn eine Familie umzieht von einem Bundesland in ein anderes, dann muss der Schulwechsel ohne Probleme gelingen."
Bildungsexperten sollen wichtiger werden
Eine wichtige Neuerung auch der zweite KMK-Beschluss: Die Kultusminister wollen sich künftig von Bildungsexperten beraten lassen. Die Einrichtung einer "Ständigen Wissenschaftlichen Kommission" soll den ursprünglich von der Großen Koalition geplanten "Nationalen Bildungsrat" ersetzen, ein Expertengremium mit Beteiligung des Bundesbildungsministeriums, dass vor einem Jahr am Widerstand von Bayern und Baden-Württemberg gescheitert war. Das neue Gremium sei auch ein Bekenntnis, so der Hamburger Bildungssenator Ties Rabe:
"Nicht mehr zurück zu wollen in eine Zeit der, darf ich sagen, pädagogischen Freihändigkeit, sondern dass wir durch empirische Bildungsstudien der Qualität aller Bildungssysteme der 16 Bundesländer reflektieren wollen, auch unbequeme Ergebnisse damit in die Diskussion einspeisen und uns auch diesen Ergebnissen stellen."
Es gibt noch keinen Zeitplan für die Umsetzung
Am Ende bleibt die Frage, ob der Rat des Gremiums, dem 16 der renommiertesten Bildungsforscher angehören werden, letztlich auch in der Schulpraxis umgesetzt wird. Und auch, wie weit die Ländervereinbarung trägt, muss sich erst noch erweisen. Viele der Punkte werden bislang nur als "politische Vorhaben" deklariert, für deren Umsetzung es noch keinen konkreten Zeitplan gibt. Der soll im nächsten halben Jahr erstellt werden.