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Kunst am Fluss

Im Ruhrgebiet werden viele Kanäle und Flüsse renaturiert, also entgradigt. Davon inspiriert haben Künstler entlang der Seseke - einem Nebenfluss der Lippe - Installationen und Objekte errichtet. Das Projekt beleuchtet das Verhältnis von Natur und Technik.

Von Peter Backof | 12.07.2013
    "Ich habe Anfang der sechziger, Anfang der siebziger Jahre die Seseke als Kind wirklich noch so als absolute Kloake erlebt und es waren für mich immer Horrorfahrten, wenn wir ins nördliche Ruhrgebiet fuhren."

    Sagt Claudia Schmacke, die an der Düsseldorfer Kunstakademie lehrt und aus Witten stammt, also aus besagter Region. Als eine der Künstlerinnen von "Über Wasser gehen" positioniert sie Kunst an der Seseke. Sechs Kommunen durchzieht das Flüsschen. Und in jeder der sechs gibt es Werke am Ufer zu sehen. Der Flussverlauf ist freilich am Rahmen eines groß angelegten Umbauprojekts inzwischen renaturiert worden und nicht mehr dieser Schmutzwasserkanal von früher: die Seseke ist Naherholungsgebiet, in Unna-Afferde etwa, wo Claudia Schmacke an der unzugänglichen Böschung einer Brücke, übermorgen ihre Installation in Gang setzen wird.

    "Also es ist eine Fontäne in der Landschaft. Man sieht erst mal nicht, wo der Ursprung ist, sondern die kommt plötzlich aus einem Edelstahlablauf hervorgeschossen."

    Wie ein Geysir schießt die Fontäne vier Meter hoch, alle paar Minuten, aus einem Loch, das aussieht wie ein überdimensionierter Badewannenabfluss. Ein Spiel mit der Wahrnehmung und mit Maßstäben. Ganz bewusst soll man die Installation nur aus einiger Entfernung einsehen können, wie eine rätselhafte Erscheinung. Wasser ist seit Jahrzehnten das Metier von Claudia Schmacke: bei ihr wird flüssige Materie zum skulpturalen Material, mit raffinierten Apparaturen aus Pumpen und Leitungen.

    "Als Künstlerin interessiert mich diese Ambivalenz, dass es einerseits einen ‚natürlichen‘ Naturbegriff gibt – da wird im Ruhrgebiet versucht wieder, das zu implantieren – aber: es ist künstlich implantiert."

    Ein Mikrokreislauf, der auf den Makrokosmos verweist: Im gesamten Ruhrgebiet wird das Grundwasser künstlich niedergehalten, durch gewaltige Pumpen, die unterirdisch agieren. Stellte man die ab, würde das Ruhrgebiet aussehen wie: "Natur 3000" von Anja Vormann und Gunnar Friel aus Düsseldorf, eine weitere Arbeit der Reihe. Da werden - ganz raffiniert – Karte und Gebiet, echte und virtuelle Räume an der Seseke vernetzt, erklärt Billie Erlenkamp, Kuratorin von "Über Wasser Gehen":

    "Zum Beispiel haben sie eine Fahrt über die Seseke gedreht, mit einer Miniaturkamera und einem Miniaturboot: Das sieht jetzt beinahe aus wie der Amazonas und die Natur wie die grüne Hölle."
    Die Natur, ganz wildromantisch, als etwas Bedrohliches inszeniert. Der Clou: Diese Videos kann man - nur - mit seinem Handy vor Ort abrufen. Real an der Seseke stehen sonderbare Steine auf Stelzen. Die kommen einem wie Hinkelsteine aus die Frühzeit der Menschheit vor, könnten vielleicht vor 10.000 Jahren dort aufgestellt worden sein. Andererseits erinnern sie an Objekte, wie man sie aus Computerspielen kennt: Wenn man - wie ein Pacman - auf seinem pixeligen Wege an Rubinen und Items vorbeikommt und Belohnungen einsammeln kann. Eine facettenreiche Arbeit.

    Bereits 2010, im Kulturhauptstadtjahr des Ruhrgebiets, hatte Billie Erlenkamp eine Reihe mit Kunstobjekten realisiert und festgestellt, dass gerade die Werke gut ankamen, wo man etwas erkunden, sich erwandern musste, sein vertrautes Ruhrgebiet neu erleben konnte. Daher der besondere Fokus in diesem Jahr auf Werke, die dem Publikum etwas abverlangen.

    Billie Erlenkamp: "Also man geht automatisch in die Knie, um die Perspektive auch einzunehmen, man wird selber kleiner."

    Der Effekt wird sich bei den Videos von "Natur 3000" wohl einstellen. Urwüchsige Natur, begradigte oder renaturierte Kulturlandschaft - "Über Wasser Gehen" bespielt sämtliche Parameter des Verhältnisses zwischen Natur und Technik. Ein Highlight ist die Arbeit des "Büros für Baubotanik" aus Stuttgart: Über Jahrzehnte soll in Kamen ein organischer Steg wachsen.

    Erlenkamp:"Es werden ganz gerade die Bäume mit Tragkonstruktionen verbunden und später dann, wenn die Bäume Überwallungen vorgenommen haben, werden die Tragkonstruktionen weggenommen."