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Kunst auf den Punkt

Die Kleinstadt Martigny in der Südwestschweiz besitzt ein seltsames Gebäude. Seit 25 Jahren steht es nun am Ortsrand in grauen Beton gegossen und erinnert an den Sockel eines Aztekengrabes und weniger an den keltischen Tempelbezirk, der hier ausgegraben wurde. Die Stiftung Pierre Gianadda hat in dem bunkerähnlichen Bau ein Museum der gallo-römischen Antike und ein zweites zur Geschichte des Automobils eingerichtet. Das große Publikum soll jedoch mit monographischen Wechselausstellungen in die walisische Alpenidylle gelockt werden, die sich am "Who-is-who" der Kunstgeschichte orientieren. Im Jubiläumsjahr fiel die Wahl auf den französischen Neoimpressionisten Paul Signac und knapp einhundert seiner Werke. In Öl, Aquarellfarbe oder mit Tusche und Pastellstiften festgehalten gleiten Signacs bunte Segelschiffe und ächzende Lastkähne in die Häfen von Saint-Tropez, Rotterdam oder Venedig. Aus fein säuberlich voneinander getrennten und bewusst kontrastreich arrangierten Farbtupfen setzt sich Signacs überwiegend maritimer Bilderkosmos zusammen, der erst auf der Netzhaut des vor dem Bild weit zurücktretenden Betrachters wieder geschlossene Konturen annimmt. Es war Signacs Freund Georges Seurat, der als erster diese neue Technik um 1884 anwendete, um der bildlichen Darstellung wieder Geschlossenheit zu verleihen, die sie im Farbenrausch der Impressionisten, vor allem bei Monet, eingebüßt hatte. Marina Ferretti-Bocquillon, Organisatorin der Schau, unterstreicht aber auch Signacs Rolle bei der Geburt des Neoimpressionismus.

Von Björn Stüben | 27.08.2003
    Seurat war eher auf der Suche nach einer wissenschaftlich fundierten Kunst, in der Schönheit und Harmonie von mathematischen Regeln bestimmt sein sollten. Signac wollte mit dem Neoimpressionismus vor allem der Farbe zu ihrem Recht verhelfen, wovon die moderne Kunst dann ja auch enorm profitieren sollte. Seurat und Signac haben somit beide den Divisionismus entscheidend geprägt, jeder auf seine Art. Signac hat nach dem frühen Tod von Seurat 1891 dann großflächiger und freier gearbeitet. Der Pinselstrich wurde breiter und die Farben kräftiger.

    Bevor der Autodidakt Signac dem vier Jahre älteren und an der Kunstakademie ausgebildeten Seurat begegnet, schwimmt er künstlerisch im Fahrwasser der Impressionisten. Die genaue Kenntnis der Werke Monets zeigt sich, als er 1883 die Hafenpromenade von Port-en-Bessin in der Abendstimmung malt. Nur in der mutigen Farbwahl entfernt er sich von seinem Vorbild. Hellrosa bis tiefviolett eingefärbte Wolkenberge und im Schatten liegende Häuserfronten kontrastieren effektvoll mit den sattgrün bedeckten Hügeln am Ufer. Das technische Umsatteln zum Divisionismus gemeinsam mit dem Freund Seurat berührt seine Farbpalette zunächst kaum. Nach dem Tod des Freundes gewinnen die Farben jedoch immer mehr an Strahlkraft. Andere Künstler wie etwa Matisse finden durch den Neoimpressionismus zur reinen Farbe und gehen anschließend andere Wege. Gab es für Signac hingegen künstlerisch nur den Neoimpressionismus?

    Wie andere auch hat er um 1900 damit begonnen, in den Museen zum Beispiel Lorrain oder Poussin zu studieren, um in der eigenen Malerei zu klassischeren, d.h. allgemeingültigen Aussagen zu gelangen. Aber eines konnte Signac nie : der Technik des Divisionismus völlig abschwören. Vielleicht war es auch die Erinnerung an Seurat, der früh gestorben war und den Signac ungeheuer verehrte, die ihn den Prinzipien des Neoimpressionismus treu bleiben ließ. Sicherlich gehörte diese Kunstströmung spätestens nach 1910 überhaupt nicht mehr zur Avantgarde. Damals begann er mit dem Aquarellmalen, aber auch hierbei ist die neoimpressionistische Technik mit von der Partie. Er konnte nicht hiervon lassen, weil er sich wahrscheinlich am Anfang zu stark für den Neoimpressionismus eingesetzt hatte.

    Mit genau diesem Umstand hat wohl jeder Besucher einer Signac-Ausstellung zu kämpfen. Das geballte Auftreten neoimpressionistischer Werke erzeugt Eintönigkeit, selbst beim Farbenmagier Signac. Zum Glück sorgen erst kürzlich in einer Privatsammlung entdeckte Zeichnungen und Aquarelle dafür, dass sich der Besucher entziehen kann. Beim Aquarellieren etwa erlaubte sich der Meister nämlich formale Freiheiten, die man ihm in seiner Malerei öfter gewünscht hätte.

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