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Kunst aus der zweiten Reihe

Der Schweizer Maler Cuno Amiet ist ein Künstler der zweiten Reihe, der meist nach Ferdinand Hodler genannt wird, wenn es um den Beginn der Moderne um 1900 in der Schweiz geht. Dabei setzte sich Amiet viel tiefer mit den Farben auseinander.

Von Carmela Thiele | 06.07.2011
    "Es flimmert nur so von Hochrot, Weiß, Grün, Blau und Violett. In der Nähe gesehen, wollen diese einzelnen Farbflecken gar nichts sagen; auf eine kleine Entfernung hin aber ordnen sie sich zusammen zu einem Bilde voll Leben und Gesundheit."

    Gemeint ist ein Frauenporträt des Schweizer Malers Cuno Amiet. Der 26-jährige Künstler stellte 1894 in der Basler Kunsthalle aus. Der Rezensent der "National-Zeitung" habe sich nur halbherzig zu ein paar positiven Bemerkungen hinreißen lassen, seine Malerei sei weiterhin nicht anerkannt, berichtet Amiet in einem Brief an seinen Freund Giovanni Giacometti.

    "Das Publikum findet es weiterhin schrecklich und derjenige, der den Artikel geschrieben hat, nicht weniger, aber er wollte es intelligent machen, als er sah, dass alle Künstler nur Komplimente für meine Sachen hatten. - Mir ist es egal!"

    So egal dann doch nicht. In seitenlangen Briefen an Giacometti - Vater des berühmten Bildhauers Alberto Giacometti - diskutiert Amiet seine Auffassung von Malerei. Die jungen Männer hatten sich an der Münchner Kunstakademie kennengelernt, gemeinsam waren sie nach Paris gegangen und hatten an der Akademie Julien studiert. Amiet war sogar nach Pont Aven in die Bretagne gepilgert, um Gauguin zu treffen, der aber schon abgereist war. Dennoch blieb er über ein Jahr in der Künstlerkolonie, bis er - aus finanziellen Gründen - in seine Heimatstadt Solothurn zurückkehrte.

    "Hier, mein Lieber bin ich immer allein, in meinem kleinen Atelier, ich versuche mit niemanden in meiner Stadt zu sprechen, und niemand kommt mich besuchen. Ich habe einige ziemlich große Bilder beendet, die ich in der Bretagne angefangen habe. Ich habe das Porträt meiner Schwester und meiner Schwägerin ... gemacht."

    Amiet wagte als erster Schweizer Maler, die lodernde Farbigkeit van Goghs und Gauguins, Vuillards und Bonnards in sein Werk zu integrieren. Im Zentrum seiner künstlerischen Überlegungen stand die Farbe, die in einzelnen Tupfen oder Strichen nebeneinander gesetzt, flimmernde Oberflächen erzeugte. Amiet an Giacometti:

    "Mein lieber Freund, ... Du schreibst mir: Wie ist es möglich, ein Stück Natur wiedergeben zu wollen, ohne sie in allen Einzelheiten, in der Zeichnung und in der Form, so gewissenhaft wie möglich studiert zu haben. Hier ist es mein Lieber, wo wir uns unterscheiden. Die Natur vermittelt Dir immer einen intensiven Eindruck ihrer großen und intensiven Schönheit, solange Du sie naiv anschaust, ohne dort Bilder anzuschauen, die dort zu machen sind. Dieser Eindruck muss von bestimmten Beziehungen zwischen den Farben hervorgerufen sein, die eine Harmonie hervorruft, die Dich zum Träumen anregt."

    Giacometti antwortet wenig später aus Stampa.

    "Du hast recht, die Natur zu kopieren ist eine Dummheit. Und das sage ich nun aus eigener Erfahrung. Wenn ich die Augen schließe und an jenes schöne Land denke, sehe ich eine Überschwemmung von Licht, einen Überfluss, eine Farborgie; ich öffne sie wieder und schaue meine Studien der schönen Umgebung von Neapel an. Oh, wie weit sind sie entfernt vom Wahren!"

    Amiet entwickelte seine Kunst konsequent über die Ausdruckswerte der Farbe und gehört somit zu den Pionieren einer Farbmalerei, die sich von der akademischen Historienkunst des 19. Jahrhunderts gelöst hat. Das erkannten auch einige junge Maler in Dresden. Erich Heckel in einem Brief aus dem Jahre 1905:

    "Hochgeehrter Herr! Mit Bewunderung und Begeisterung haben wir Ihre Werke gesehen, und wir erlauben uns, Sie zu fragen, ob Sie unserer Gruppe 'Brücke' beitreten wollen. Einstimmig haben wir in Ihnen einen der unsern erkannt und hoffen, dass Sie unsere Sache als eine Bestrebung nach gleichen künstlerischen Zielen unterstützen werden. Wir wollen in Ausstellungen zeigen, wie und was wir fühlen ohne Kunstsalons-Auslese."

    Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff und Heckel hatten 1905 die Ausstellung Amiets in der Dresdner Galerie Richter gesehen und daraufhin mit dem Schweizer Kontakt aufgenommen. Heute ist die Brücke-Mitgliedschaft Amiets in Vergessenheit geraten.

    Amiet, der am 6. Juli 1961, 91 Jahre alt, in dem Dorf Oschwand südlich von Basel starb, hinterließ ein Werk, das zwischen der postimpressionistischen Leichtigkeit der Franzosen und dem schweren Schweizer Symbolismus schwankte. Heute gilt er als "Bonnard der Schweiz".