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Kunst im öffentlichen Raum
Hamburg als kuratierte Stadt

Mit dem neuen Amt einer Stadtkuratorin möchte Hamburg dem seit 1981 bestehenden Projekt "Kunst im öffentlichen Raum" neuen Schwung geben. Ein schwieriges Unterfangen in einer Stadt, die ihre Straßen und Plätze sonst eher als "Gefahrengebiete" anzusehen scheint. Eine Gelegenheit, die künstlerische Leiterin kennenzulernen, bietet an diesem Wochenende das Kunstsymposium "Europe, the City Is Burning".

Von Dirk Schneider | 22.05.2014
    Ein Müllcontainer steht am 07.01.2014 am Spielbudenplatz in Hamburg auf der Reeperbahn vor den sogenannten Esso-Häusern und einer Esso-Tankstelle. Drei Wochen nach der Evakuierung der einsturzgefährdeten "Esso-Häuser" auf der Hamburger Reeperbahn werden seit 07.01.2014 alle Wohnungen leergeräumt. Die Mieter dürfen ihr Mobiliar aus Sicherheitsgründen nur mit Hilfe einer Spedition aus den baufälligen Gebäuden holen.
    Ein Müllcontainer steht am 07.01.2014 am Spielbudenplatz in Hamburg auf der Reeperbahn vor den sogenannten Esso-Häusern und einer Esso-Tankstelle. (picture alliance / dpa / Maja Hitij)
    Davide Martello ist sicher kein besonders guter Pianist. Als er aber letztes Jahr seinen Flügel auf den besetzten Istanbuler Taksim-Platz geschoben hat, haben seine Lieder die Menschen bei Laune gehalten und so den Protest gestärkt. Auch mäßige Kunst kann Großes bewirken. Ein anderes Beispiel, wie Kunst und Protest in Istanbul zusammen kamen, ist der Standing Man: Erdem Gündüz starrte im Gezi-Park acht Stunden lang regungslos auf ein Atatürk-Plakat. Er fand viele Nachahmer und wurde zu einer Ikone des Widerstands. Ist das wirkungsvolle Kunst im öffentlichen Raum? Für die Hamburger Stadtkuratorin Sophie Goltz schon:
    "Ich würde da nicht mehr zwischen Protest und Kunst unterscheiden, sondern es bringt sich quasi zusammen zu einer Form."
    Zuständig für diese Art von Kunst fühlt sie sich allerdings nicht:
    "Das Gute am Protest ist, dass er von Protestierenden formuliert wird und nicht beauftragt werden kann."
    Sophie Goltz ist die erste Stadtkuratorin in Deutschland - eine Verantwortliche für Kunst im städtischen Raum, der in Hamburg in den letzten Jahren vor allem von Eventplanern mit Massenveranstaltungen wie den Harley Days oder dem Schlagermove bespielt wurde. Insofern ist Goltz für viele Menschen in der Stadt eine Hoffnungsträgerin. Sie versprechen sich von ihr mehr Kultur, mehr Niveau, vielleicht sogar Veränderung. Und zwar in einer Stadt, in der der öffentliche Raum immer stärker kommerzialisiert und seine Nutzung reglementiert wird - durch die Ausrufung von Gefahrengebieten, Erteilung von Aufenthaltsverboten oder schlicht das Fehlen von Sitzgelegenheiten. Sophie Goltz steht solchen Hoffnungen allerdings sehr skeptisch gegenüber.
    "Also was ich nicht glaube, ist, dass die Kunst im öffentlichen Raum die Welt retten wird, um es mal so salopp zu sagen. Wenn man sich das anschaut, ist es ja eh eine ganz große Illusion zu sagen, die Stadt war schon immer für alle da."
    Kunst im öffentlichen Gefahrengebiet?
    Von Sophie Goltz eine klare Aussage zu ihrer Arbeit zu bekommen, ist nicht leicht. Die Kuratorin weiß aber, dass Hamburg nicht ganz vorne mitspielt, was Strategien der künstlerischen Intervention im öffentlichen Raum angeht. Darum hat sie zum Symposium "Europe, the City Is Burning" geladen - drei Tage lang werden Künstler und Kuratoren diskutieren und von ihren Erfahrungen erzählen. Zu den Teilnehmenden gehört auch der Hamburger Künstler Christoph Schäfer. Er und seine Mitstreiter haben mit dem Projekt Park Fiction die letzte Freifläche mit Hafenblick auf St. Pauli vor der Bebauung durch einen Büroturm gerettet. Geplant wurde der Park von den Anwohnern. Ein ähnliches Projekt wurde gerade angestoßen für die Zukunft der sogenannten Esso-Häuser an der Reeperbahn, die ein Investor hat verfallen lassen und die nun Neubauten weichen:
    "Dort beginnt gerade eine neue Wunschproduktion unter dem Titel 'Planbude', und dort haben sich sehr viele unterschiedliche Leute zusammengeschlossen, also nicht nur Künstler, sondern auch Architekten und natürlich auch Anwohner, Anwohnerinnen, die dort eigene Ideen haben, wie Stadtentwicklung aussehen kann."
    Für Schäfer hinkt die Kunst heute längst dem Geschehen auf den Straßen hinterher:
    "Das Problem sehe ich so ein bisschen, dass der Betrieb, den wir als bildende Kunst bezeichnen, mit so einem Tempo nicht Schritt halten kann. Früher hat sich die Kunst so definiert dass sie dachte sie nimmt das alles vorweg. Das glaube ich überhaupt nicht mehr. Im Moment ist das ganz und gar unberechenbar geworden, wo diese zündende, aber im Sinne von Kunst, wenn man Kunst mal definiert, nach eigenen Gesetzen handelnde, neue Perspektiven eröffnende, sich gegen den Strom der Welt stellende Fähigkeit entwickelt, das kann jeder im Prinzip machen."
    Also doch jeder ein Künstler? Wie Kunst auf den Straßen der Welt funktioniert, sei es von Künstlern oder Protestierenden initiiert, soll das Symposium zeigen, dessen Teilnehmer aus New York, Singapur, Hong Kong, Athen, Istanbul, St. Petersburg und anderen Teilen der Welt kommen. "Europe, the City Is Burning" - aus Hamburger Sicht klingt der Titel des Treffens allerdings etwas dramatisch. Oder doch nicht? Hier wagt die Stadtkuratorin dann doch noch etwas drastischere Worte:
    "Also wenn Sie mit Leuten aus Athen sprechen, die sprechen von einer humanitären Krise, wo hier scheinbar auch gerade unter der Ägide von Merkel es keinen zu interessieren scheint. Und ich glaube aber, dass es hier auch schon brennt. Nur dass hier sozusagen noch die Sonne scheint. Und die Rauchwolken noch nicht sichtbar sind."