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Kunst und Gebeine der Medici

Eine Ausstellung im Reiss-Engelhorn-Museum in Mannheim verknüpft den Schein und das Sein der Medici, stellt den Herrscherbildern anatomische Präparate gegenüber. Die Ergebnisse sind allerdings eher bescheiden.

Von Christian Gampert | 19.02.2013
    Der eine hatte eine Nasenscheidewandverbiegung und näselte, der andere hatte einen kaputten Kiefer. Die eine hatte einen Beckenschiefstand, der andere hatte die Gicht. Wieder ein anderer eine grauenvolle Wirbelsäulenverformung. Trotzdem: Auf natürliche Weise kam in dieser Familie kaum einer zu Tode. Man wurde erschlagen oder verschied an dezenten Arsen-Gaben. Oder an Typhus oder Malaria oder am achten Kind. Man heiratete strategisch und hatte Mätressen, man wurde Papst und hatte ebenfalls Mätressen und Kinder. Man förderte die Kunst und engagierte Galileo Galilei als Hauslehrer. Man führte schwarze Konten und spielte den Florentiner Calcio, eine Vorform und Brutalvariante des heutigen Fußballs.

    So kann man von den Medici natürlich auch erzählen: als Kranken- und Kriminalgeschichte. Die Ausstellung folgt einem einfachen Prinzip: Neben den Schein stellt sie das Sein, neben die beschönigenden Herrscherbildnisse aus den Museen stellt sie die Knochen beziehungsweise anatomische Präparate. Statt der politischen Geschichte, also, wie eine Familie aus Textilhändlern und findigen Bankern es fertigbringt, fast 400 Jahre Florenz zu beherrschen, erzählt man von den Medici als dem Denver Clan der Renaissance. Das ist schön und plastisch und bringt sicher viel Publikum. Aber es ist, wie Kurator Wilfried Rosendahl sagt, von den besten Absichten getragen.

    "Es sind dabei eben Verformungen wie Skoliose oder Schiefbecken, die wir hier an anatomischen Präparaten auch deutlich machen. Weil man dann einfach besser versteht, wie die Menschen gelebt haben. Also Johanna von Austria hat mit einem Schiefbecken acht Kinder bekommen und war mit einem Mann verheiratet, der sie zeitlebens betrogen hat. Ich finde, dann wird eine solche Frau auf einem großen Porträt ganz anders wahrnehmbar. Und man bekommt eine ganz andere Achtung vor diesen Menschen."

    Also: Es menschelt fühlbar in dieser Ausstellung. Was nicht heißt, dass sie nicht gut gemacht ist. Im Gegenteil: Die Inszenierung der Objekte ist großartig. Und Rosendahl geht sogar so weit, einzelne Porträts oder Statuen mit den Krankheitsbildern der betreffenden Person zu bepflastern, als filmische Animation. Es geht – vor allem - um das sogenannte Medici-Syndrom, eine sicher peinigende Kombination aus Arthritis, Wirbelsäulenversteifung und Schuppenflechte – was die Familie vom Geschäftemachen offenbar nicht abhielt.

    Aber kommt uns – zum Beispiel - Giuliano Medici, der von den konkurrierenden Pazzi erschlagen wurde und dessen eingedellten Schädel man nun auf Monitor sieht, durch diese röntgenologische Präzision wirklich näher?

    Die Ausstellung sitzt einem fundamentalen Irrtum auf: Sie will Alltagsgeschichte erzählen – und tut das nebenbei auch, wenn sie über Mädchenerziehung, Alchemie, Sport, Rechnungswesen in der Renaissance und dergleichen berichtet.

    Aber sie glaubt, die Familiengeschichte der Medici uns auch naturwissenschaftlich näherbringen zu müssen. Die Ergebnisse sind eher bescheiden, wenngleich für den Mannheimer Lokalpatriotismus bisweilen schmeichelhaft. Anna Maria Luisa, die 1743 gestorbene letzte Medici, war nämlich mit dem Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz verehelicht. Im letzten Oktober wurde sie in der Florentiner Basilika San Lorenzo exhumiert.

    "Überraschendstes Ergebnis ist: Das Grab ist relativ gut intakt. Anna Maria Luisa trägt eine Krone. Und wir wissen: Es ist nicht eine Medici-Krone, sondern es ist der Kurhut ihres Mannes Johann Wilhelm. Damit trägt sie ein Stück kurpfälzische Geschichte in aller Ewigkeit auf ihrem Kopf. Wir zeigen einen 3-D-Scan davon, eine Filmdoku und eine Rekonstruktion mit edlen Materialien dieses Kurhutes hier in der Ausstellung."

    Nun also: Das Grab sieht schauerlich aus, überall Schlamm vom Arno-Hochwasser 1966, Grünspan, verweste Kleider, Knochen. Aber, Sensation: Die Fürstin trägt einen pfälzischen Kurhut und keine Medici-Krone. Man könnte fragen: Ist das nicht Jacke wie Hose? Wären die Forschungsgelder, die auch in solchen Grabhebungen stecken, nicht in der heutigen sozialwissenschaftlichen Unehelichen-Forschung besser aufgehoben, statt in einer Ausstellung die unehelichen Kinder der Medici nochmals aufzureihen? Aber das sind Fragen, die man sich in Mannheim nicht stellt.