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Kunst und Jazz
Musik als intellektueller Akku für Kreative

In der Ausstellung "I got Rythm" im Kunstmuseum Stuttgart dreht sich alles um die Verbindung zwischen bildender Kunst und Jazz. Schließlich ist die Ideologie jener Musikrichtung - die Freiheit der Improvisation über ein Fundament aus Rhythmus zu stellen - auch für die Maler der klassischen Moderne anziehend gewesen.

Von Christian Gampert | 09.10.2015
    Ein Saxofon
    Jazz, das war Amerika, Afrika und Karibik gleichzeitig. Musik zum Tanzen. Exotik. Auch politischer Widerstand. (picture alliance / dpa / Foto: Stephanie Lecocq)
    Ob diese Ausstellung Rhythmus hat? Ja doch, es gibt ziemlich viele Hör-Stationen, und auch der Audioguide ist ein Beschallungs-Instrument. Der innere Rhythmus der Ausstellung ist aber nochmal ein anderer. Die Kuratorin Ulrike Groos wählt aus einer Fülle von Material jene Werke aus, bei denen diese schwarze Musik Impuls und Inspirationsquelle war. "Negertanz" heißt zum Beispiel das Bild von Ernst Ludwig Kirchner aus dem Jahr 1911, das die Ausstellung eröffnet. Heute würde man das anders nennen; aber: Kirchner hatte in Berliner Cabarets die neue Musik sympathisierend erlebt und setzte das sofort in dynamische Formen um.
    Jazz, das war Amerika, Afrika und Karibik gleichzeitig. Musik zum Tanzen. Exotik. Auch politischer Widerstand. In den 1920iger Jahren avancierte die farbige Sängerin und Tänzerin Josephine Baker zum Sexsymbol, zur Projektionsfläche für erotische und bisweilen auch rassistische Phantasien.
    "Sie war eigentlich der erste internationale Superstar, den man mit Lady Gaga oder anderen Persönlichkeiten heute vergleichen kann. Sie stand so sehr für Jazz, dass bildende Künstler sich mit dieser Person beschäftigt haben, sie gemalt haben, sie gezeichnet haben."
    Sagt Kuratorin Ulrike Groos, die Josephine Baker den zentralen Saal der Ausstellung gewidmet hat – Jean Colin beschwört 1929 den "Tumulte noir", Matisse läßt ihr zu Ehren die Formen tanzen. Heutige Künstlerinnen sind da kritischer: Der Schattenriss von Kara Walker betont das Phallische und auch exotisiert Alberne von Bakers "Bananentanz": die Frau als Objekt. Marlene Dumas sieht sie als trauriges Kind.
    Fotografie der Tänzerin Josephine Baker (1932)
    In den 1920iger Jahren avancierte die farbige Sängerin und Tänzerin Josephine Baker zum Sexsymbol. (AP Archiv)
    Jazz ist aber auch ein intellektueller Akku, an dem sich jeder aufladen kann. Jackson Pollock berauschte sich an Swing, während er die Farben spritzte; Piet Mondrian hörte Boogie Woogie, um lockerer zu werden; Walter Stöhrer dröhnte sich in den 1970iger Jahren mit Free Jazz zu - als Stimulans für seine großformatigen gestischen Aktionen.
    Die Ausstellung ist thematisch gegliedert, sie zeigt uns einerseits, wie Künstler immer wieder Musiker portraitieren, ihnen huldigen, für sie arbeiten, sie auf den Sockel heben, der ihnen von einer konservativen Gesellschaft bis vor Kurzem vorenthalten wurde. Noch die von Künstlern gestalteten Plattencover sind ein Beleg für diese Liebe –Warhols Banane für Velvet Underground, der Reißverschluß für die "Sticky Fingers" der Stones.
    Die Schau führt aber auch vor, und das ist viel wichtiger, wie Musik in die Bildkomposition einfließt, wie Musik das Malen revolutioniert. Die energischere, wildere Fraktion wird von Informel-Malern wie KRH Sonderborg vertreten, die etwas kühlere und intellektuellere geometrische Abstraktion dagegen von Frank Stella oder Verena Loewensberg.
    "Großstadt-Triptychon" von Otto Dix als Ausgangspunkt der Schau
    Ausgangspunkt der Schau ist natürlich das "Großstadt-Triptychon" von Otto Dix, das im Mittelteil eine schwüle Band- und Tanzatmosphäre der dekadent-amüsierwilligen Weimarer Zeit ins Bild bringt. Die Vorzeichnung auf Karton, die hier gezeigt wird, ist fast noch obszöner als die spätere fratzenhaft-altmeisterliche Ausführung. Das Bild ist in diesem Zusammenhang wichtig, weil danach die Nazis kamen und den Jazz verboten.
    In Amerika dagegen war Jazz immer auch Vehikel der schwarzen Emanzipation. Die Ausstellung führt den bis heute andauernden Rassismus mit Andy Warhols beißendem "Race Riot"-Schäferhund vor und wendet sich dann den unterschätzten afroamerikanischen Künstlern zu, die nicht alle so erfolgreich waren wie Jean-Michel Basquiat.
    "Die hatten zwar oft bedeutende Galerien, haben aber nicht verkauft. Weil durch diese Rassendiskriminierung es ganz lange Zeit so war, dass diese Künstler eben nicht den Stellenwert in der Kunstgeschichte hatten, der ihnen gebührt. Das ändern wir hier."
    Joe Overstreet oder Beauford Delaney thematisierten ebenso wie Basquiat die brutale Polizeigewalt in den USA und setzten auf die befreiende Power des Jazz. Der Höhepunkt der Ausstellung ist dann eine neue Installation von Stan Douglas, der eine funky Fusion-Session der 70iger Jahre mit heutigen Musikern nachgestellt hat. Das sind so täuschend echte Loops, Grooves, Bewegungen und Kostüme in den legendären Columbia Studios, dass man einfach mitwippen muss.