Freitag, 19. April 2024

Archiv


Kunst und Trauma

In einer viertägigen Konferenz des Goethe-Instituts Johannesburg mit dem Titel "Soziale Trauma und Kunst - Über(W)unden" berichteten afrikanische Filmemacher, Künstler und Autoren über die Verarbeitung von Rassismus, Genozid und Vergewaltigung.

Von Dagmar Wittek | 12.09.2011
    "Die Männer - Ausländer - kamen aus dem Wald und schnappten mich. Ich wurde in den Busch verschleppt. Sie zwangen mich bei ihnen zu bleiben. Eineinhalb Jahre war ich ihre Sexsklavin."
    Im Dokumentarfilm des kongolesischen Filmemachers Djo Tunda wa Munga kommen von Rebellen- und Milizenüberfällen zutiefst verletzte Menschen aus dem Ostkongo zu Wort. Weitwinkelaufnahmen lassen den Blick über Hügel und Wälder schweifen, wie um den Zuschauer die endlose innere Leere der Opfer von Vergewaltigung und Folter nachempfinden zu lassen. Großaufnahmen, die nur noch die Augen der Opfer zeigen, vermitteln Intensität.

    Munga dokumentiert den Versuch der demokratischen Republik Kongo, mit Hilfe von psychoanalytisch geleiteten Workshops einen Heilungsprozesses in Gang zu setzen. Der Filmemacher spricht von einem kollektiven Trauma, unter dem sein Land nach 100 Jahren Kolonisation, Ausbeutung und Rebellenkriegen leide. Daher habe sein persönlicher Schaffensprozess - egal ob in einem Spiel- oder Dokumentarfilm - immer etwas mit Traumabearbeitung und Heilung zu tun, erklärt Munga.
    "Wenn man schreibt, beginnt man das Problem, oder das was einen belastet, zu verstehen. Man tritt in einen inneren Dialog und entdeckt häufig Wunden, deren man sich zuvor nicht bewusst war. Und erst später, wenn das Filmskript dann fertig ist, oder wenn der Film gezeigt wird, dann merke ich, dass das Problem jetzt gelöst ist."
    Die renommierte weiße südafrikanische Autorin und Dichterin Antje Krog beschreibt ihren kreativen Schaffensprozess ähnlich. Krog hatte als Radiojournalistin die Geständnisse und Gräueltaten weißer Rassisten sowie die Berichte der Opfer, die nach dem Ende der Apartheid vor der Wahrheitskommission aussagten, aufgezeichnet. Ihre Gedichte, Prosatexte und Sachbücher sind Ausdruck einer sehr persönlichen, zutiefst schmerzhaften und feinsinnigen Auseinandersetzung mit Südafrikas Rassenbeziehungen:
    "Für mich funktioniert das so, dass ich in dem Moment, wo ich etwas in Worte fassen kann, das Gefühl habe, einen Behälter für das Trauma gefunden zu haben. Damit wird es greifbar, ich kann es drehen und wenden, ich kann es mir ansehen, und ich kann es aber auch verstauen. Das Furchtbare kann nicht plötzlich und unkontrollierbar aus meinem Unterbewusstsein auftauchen."
    Nie wieder darf so etwas wie der Genozid in Ruanda geschehen, singt Performance-Künstler Theogène Niwenshuti. Der 34-Jährige war jahrelang im ruandisch-ostkongolesischen Busch auf der Flucht, mehrfach entrann er knapp dem Tod. In Ruandas Hauptstadt Kigali in einem Krankenhaus, in dem er und seine Familie Schutz gesucht hatten, wurde er von einem Schulkameraden, der nun Teil einer Hutu-Miliz war, gefoltert und beinahe ermordet. Er sagt, er kann gar nicht anders, als sich über Tanz, Theater, Performance und Musik Luft zu schaffen.
    "Es war extrem schwer für mich, mit all den schlimmen Erinnerungen alleine klar zu kommen. Nachts alleine in meinem Zimmer weinte und schrie ich, ich konnte nicht mehr schlafen. Bis ich anfing zu schreiben, nach und nach wurde der Schmerz erträglich."
    Der südafrikanische Theaterdramaturg Warren Nebe analysiert:
    "Ich glaube, was uns künstlerische Prozesse durch ihre Symbolik und Metaphorik gestatten, ist, dass wir uns als Künstler, aber auch als Rezipienten von dem so schwierigen Inhalt distanzieren können. Und dadurch, dass das möglich ist, können wir über das erlebte Trauma reflektieren und es eventuell. verarbeiten, um in unserem Leben weiterzugehen, statt einfach nur zu zu machen."
    Der Titel der viertägigen Konferenz des Goethe-Instituts Johannesburg hätte in seiner wunderbaren Doppeldeutigkeit treffender nicht gewählt werden können: "Soziale Trauma und Kunst - Über(W)unden".