Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Kunst-Urwald in sieben Teilen

Imaginäre Stadtpläne, auf große weiße Leinen gemalt, hängen an den Wänden, man sieht Architekturskizzen, Pflanzenstudien, Fotografien von Architekturmodellen und Aufnahmen vor Ort. Im nächsten Raum große Blechkübel auf Rollen, aus denen unterschiedlichste Pflanzen sprießen. Dann stößt man auf eine Art Archiv, ein auf Tischen und Wänden ausgebreitetes Durcheinander aus Fotos, Zeichnungen, Plastikbehältern mit angesetzten Pflanzenkulturen oder Schaumstoffmodellen von mikroskopischen Strukturen. Man passiert das blecherne Gehäuse einer alten Wetterstation und einen handgebauten Hasenstall aus Holz in Form eines chinesischen Tempels. Dies alles gehört zum künstlerischen Gartenreich des Lois Weinberger, ein mehr als nur privates Gartenreich, das sich verständlicherweise nur sehr unvollkommen im Museum darstellen lässt. Bevorzugt operiert der 56jährige Tiroler gemeinsam mit seiner Frau Franziska unter freiem Himmel, dabei jedoch kaum zu verwechseln mit Schrebergärtnern. Die Weinbergers machen Kunst: Auf dem einstigen Brache zwischen Berliner Reichstag und Potsdamer Platz, einem botanischen Paradies, das dann von Regierungsbauten verdrängt wurde, hat Lois ebenso bereits gegärtnert wie 12 Jahre lang auf einem eigenen, 500 qm großen Grundstück in Wien, das es inzwischen ebenfalls nicht mehr gibt. Man erkennt: Weinberger ist, wenn man so will, ein Gärtner auf der Flucht, einer, für den die Zeit immer zu knapp ist. Die städtischen Universen wuchern zu schnell, um seinen kleinen, atmenden Pflanzenkosmen aus Stachellattich und Schafgarbe, Spitzwegerich und Wilden Möhren, aus kriechendem Fingerkraut und Silberdistel genügend Zeit zur Entwicklung zu geben. So hat er kurzerhand seine wildwuchernden Sammlungen in fahrbare Kübel und Bottiche verpflanzt und transportiert sie nun als durchaus auch sarkastisch gemeinte, mobile Idylle durch die Welt der Kunstmuseen.

Carsten Probst | 23.10.2003
    Die Essenz meines Gärtnertums", schreibt er in seinen "Notizen aus dem Hortus", einer Art Manifest seiner "poetischen Botanik", "hat sich zu einem einzigen, im Freien stehenden, mit schlechter Erde gefüllten Blumentopf verdichtet, zu einem transportablen Garten, der mitzunehmen und irgendwo zu vergessen wäre.

    Aber Lois Weinberger ist mehr als ein Gartenkünstler. Die grüne Idylle, die heilige Freundschaft mit Bäumen und Sträuchern, wie sie etwa der Beuys-Schüler Ben Wargin in Berlin-Kreuzberg praktiziert, ist ihm zu wenig. Wenn Wargin so etwas wie ein grüner Utopist ist, dann ist Weinberger allemal ein grüner Anarchist. Sein Künstlerhortus ist ein Anschlag gegen das zivilisatorische Verständnis von Raum und Zeit, das sich in immer massiverem Zurückdrängen der Natur äußert. Weinberger fungiert genau genommen weniger als Gärtner der Pflanzen, denn als Gestalter ihrer Umgebung: als radikaler Architekt und Stadtplaner, als Poet und Archivar, als Aktionskünstler ebenso wie als politischer Aktivist – auch wenn er Letzteres, die politischen Absichten seiner Wort- und Gewächsinstallationen, nicht überbetont wissen möchte.

    Auf der documenta 10, 1997, pflanzte er auf dem Kasseler Hauptbahnhof eine Reihe seltener Gewächse an, die nicht ursprünglich aus Europa stammten und so die Migration von Pflanzen symbolisierten. Zwischen aufgebrochenem Beton wucherte es wild in diesem botanischen Einwanderungsland mitten auf dem Bahnsteig, und ebenso auf den Gleisen, die, so Weinberger damals, früher nach Auschwitz führten. Einen Mangel an Pathos kann man ihm auch bei einer spektakulären Aktion in Israel nicht verwerfen, bei der er auf den Trümmern des abgeräumten palästinensischen Dorfes Hiriya Dump einen 600 Meter hohen Haufen aus israelischen und palästinensischem Müll errichten ließ. Durch diesen Haufen fraß sich ein 400 Meter langer Schacht als "Friedensmuseum", in dem Fundstücke aus dem Müllhaufen gezeigt wurden, die dokumentieren sollten, dass die beiden verfeindeten Völker zumindest in Hinblick auf ihre coca-cola- und jeans-geprägte Alltagskultur längst gemeinsame Sache machten.

    Und immer wieder begeistert sich Weinberger für groß angelegte Stadtplanungs-Szenarien, in denen er seine eigene Formensprache verwirklichen kann. Immer wieder kehrt beispielsweise das Muster von Wurzelverschlingungen oder der von Borkenkäfern in Baumrinde gegrabenen Gängen als Ordnungsprinzip für Stadtzentren und öffentliche Plätze wieder. Doch Weinberger erliegt nicht dem Glauben, dass damit ein naturgemäßes Leben in die Stadtzentren Einzug halten und die Welt damit friedlicher und besser würde. Vieles an seinem Werk ähnelt eher einem Kampf der Kulturen, der Kulturen menschlicher Bedürfnisse, die sich immer weiter von der Natur entfernen. In Weinbergers Werk zeichnet sich eine Welt ab, in der die Natur zurückschlägt, dem Menschen ihre Gesetze aufzwingt und damit die Gesetze der Zivilisation allmählich aus den Angeln hebt.

    Weinberger der Künstler, der Pflanzenflüsterer, der Poet und Architekt, er gehört vielleicht beiden Welten an, beiden Kulturen: Vielleicht ist er bei ihrem Kampf so etwas wie der Schiedsrichter.