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Kunst vom Krieg

Die einfachste surrealistische Handlung besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die Strassen zu gehen und blindlings soviel wie möglich in die Menge zu schießen. Wer nicht wenigstens einmal im Leben Lust gehabt hat auf diese Weise mit dem derzeit bestehenden elenden Prinzip der Erniedrigung und Verdummung aufzuräumen - der gehört eindeutig selbst in diese Menge und hat den Wanst ständig in Schusshöhe. André Breton, 1930.

Ein Beitrag von Susanne Lettenbauer | 15.01.2003
    Der Surrealismus Anfang des vorigen Jahrhunderts war ein Produkt der Grauen des 1. Weltkrieges. Dem Entsetzen über eine Technisierung der Kriegsführung war einem "Tanz auf dem Vulkan” gewichen. Die Kunst geriet zum Mittel der Krisenbewältigung. Picassos "Guernica” steht mit der Benennung von Kriegsgräuel in einer Reihe mit Francisco de Goyas "Erschießung der Aufständischen” und Edouard Manets "Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko”. Trifft auf diese Kunstwerke, die den Krieg thematisieren, noch das Diktum Freuds zu, dass Kulturförderung einen Krieg vermeiden hilft? Kann es nicht eigentlich sein, dass die Kunst selbst nicht nur pazifistische, sondern auch militärische Intentionen hat? Kann es nicht sein, dass Kunst nicht nur eine Plattform humanitärer Anliegen sondern auch eine Plattform für Gewalt gegen Menschen ist, wie das Beispiel André Breton zeigt?

    Die Collagen von Martha Rosler könnten so idyllisch sein, wären da nicht immer wieder die Anspielungen auf den Vietnamkrieg, auf Ausschnitte dieses ersten Popkrieges wie ihn Kurator Günter Holler-Schuster nennt: Panzer auf der Terrasse, Gewehre auf dem Küchentisch, hinter Gardinen die Schützengräben, das Ehebett vor zerschossenen Fenstern. Verstümmelte Körper, Einschusslöcher in Nahaufnahme, zerschossene Häuser im Sonnenaufgang - Namen wie Simon Norfolk, Stanley Green oder James Nachtwey sind in den vergangenen Jahren zum Synonym geworden für Künstler hinter der Kamera in Kriegsgebieten - sind "War photographer”, wie ein Film über Nachtwey heilst, der im vergangenen Sommer seine Premiere hatte.

    Peter Weibel, Direktor des ZKM in Karlsruhe, gebürtig aus Odessa am Schwarzen Meer, musste damals in den 60er Jahren erfahren, was Gewalt gegen andere heißt: Seine Werke verstörten die Gesellschaft, brachten ihm Gefängnis, Gerichtsverfahren ein. Der Kunst die Behaglichkeit auszutreiben und zeigen dass Freuds berühmte Schrift "Das Unbehagen der Kultur” noch heute aktuell ist, hatte sich Weibel schon seit langem vorgenommen. Erst die diesjährige Kulturhauptstadt Graz nahm sich dieses Themas an, auch weil Graz den Balkankrieg der 90er Jahre hautnah miterleben musste.

    Weibels Satz: "Schon die Griechen wussten, dass Kultur Barbarei erzeugt”, d.h. Kultur funktioniert als Abgrenzung nach außen, hat im 21. Jahrhundert einen neuen Sinn bekommen. Heute geht es nicht mehr um Generalstabskarten mit Frontlinien sondern um die "Eroberung neuer Märkte”.

    Hat man sich entlang der 300 Ausstellungsexponate, darunter Ölgemälde, Zeichnungen, Collagen und Videos auf 2 Etagen erst mal "durchgekämpft”, beginnt man plötzlich zu verstehen, was Weibel mit seiner Ausstellung bezweckt. Seinen Besuchern vor Augen zu führen, dass Künstler der Faszination des Bösen erliegen können und als Stilmittel nutzen, um Aufmerksamkeit durch schockierende Bilder hervorzurufen, manchmal nur als Selbstzweck. Und: Dass die Massenmedien mit ihrer Berichterstattung den "Krieg als dauernde soziale Bildung, so Michel Foucault, salonfähig machen.

    Zieht man dann Walter Benjamin zu Rate, der einmal sagte, dass jedes Dokument der Kultur auch ein Dokument der Barbarei wäre oder - aktueller - Mark Terkessidis Ausspruch vom "Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert”, dann ist man wieder bei Paul Virilios Gesellschaftsdiagnose: der "Gleichgültigkeit gegenüber dem Schrecken”.

    Die Ausstellung Kunst und Krieg in der Grazer Neuen Galerie kommt gerade recht, um auf die fortschreitende Verrohung der Gesellschaft hinzuweisen, auf die Schnürstiefel, Familienjeeps, Tarnkleidung bei Jugendlichen. Gewalt in der Familie, Gewalt gegen sich selber oder der Geschlechterkrieg - so weit gefasst die Ausstellungsthematik auch ist, sie führt sehr drastisch vor Augen, wozu Menschen aus Unglauben bzw. Gleichgültigkeit gegenüber dem Schrecken fähig sein können. Die Augen vor der Zukunft zu verschließen, die nach Weibels Meinung Terrorismus heißen wird, kann nur gefährlich sein.

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