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Kunstfest in Weimar
"Gedenkabend" mahnt vor Rechtsruck

Handeln statt reden, fordert Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit. Auf dem Kunstfest in Weimar lud er zur Diskussion. Antisemitismus, Diskriminierung und Ausgrenzung waren zentrale Themen - und wurden unter der Frage: "Ist die Demokratie nur in der Krise oder schon am Ende?" diskutiert.

Von Henry Bernhard | 31.08.2019
30.08.2019, Thüringen, Weimar: Philipp Ruch (l-r), Begründer des Zentrums für Politische Schönheit, Lea Rosh, Publizistin und maßgebliche Mitinitiatorin des Berliner Holocaust-Denkmals, Migrationsforscherin Naika Foroutan sowie der Journalist Michel Friedman diskutieren bei einer Veranstaltung des Kunstfest 2019 zum Umgang mit der Holocaust-Erinnerung. Das Zentrum für politische Schönheit hatte mit einem Nachbau des Denkmals in Nachbarschaft des Wohnhauses des AfD-Politikers Björn Höcke im thüringischen Bornhagen für Aufsehen gesorgt.
Thüringen, Weimar: Philipp Ruch (l-r), Begründer des Zentrums für Politische Schönheit, Lea Rosh, Publizistin und maßgebliche Mitinitiatorin des Berliner Holocaust-Denkmals, Migrationsforscherin Naika Foroutan sowie der Journalist Michel Friedman diskutie (picture alliance/Michael Reichel/dpa)
Philipp Ruch, Kopf und Gesicht des Zentrums für Politische Schönheit, mag es dramatisch: Es müsse Schluss sein mit dem Reden und endlich gehandelt werden. Aber wenn vier Menschen mit Mikrofonen in der Hand auf einem Podium sitzen, wird natürlich: geredet.
Philipp Ruch selbst verglich unsere heutige Situation mit der späten Weimarer Republik. Wie oft würden wir noch Wahlen erleben, fragte er etwa.
"Beim Jahr 1932 bin ich tatsächlich selber erschreckt. Ob dieser innenpolitischen Appeasement-Politik, die dort herrscht. Die heißt heute anders, die heißt: Mit Rechten reden."
Ende des goldenen Zeitalters
Schon in der Einleitungsrunde geriet der Abend thematisch aus den Fugen. Es ging um Syrien, um Polen, Ungarn, die USA, Großbritannien, um Brasilien, Honkong, Italien und die Zerstörung und den Wiederaufbau von Warschau … Und Naika Foroutan wurde nostalgisch.
"Es kommt die Zeit – und wir sind mittendrin –, in der wir plötzlich das Gefühl haben: Diese letzten 50 Jahre waren ein goldenes Zeitalter! Und irgendwann werden wir darauf zurückblicken und den Kindern erzählen: Es gab mal eine Zeit, in der glaubten wir daran, dass sich das alles von alleine durch ein demokratisches Prinzip regulieren wird."
Schon da geriet Michel Friedmann in nervöse Erregung:
"Ich weise darauf hin, dass die Sowjetunion für viele Millionen Menschen nicht besser war als der Zustand heute. Weil, sonst wird alles sehr beliebig."
Aber es kam noch turbulenter. Philipp Ruch gelang es nur nach und nach, das Podium auf eine thematische Linie zu bringen, saßen doch mindestens 3 Alpha-Tiere vor dem gut gefüllten Saal in Weimar. Naika Foroutan und Michel Friedmann gerieten immer wieder aneinander, etwa, wenn es um die Frage ging, ob die Demokratie in der Krise oder schon fast am Ende sei.
Naika Foroutan: "Eine wehrhafte Demokratie muss jetzt anfangen, die Strategien der Rechten zu kopieren: Wir brauchen Geldgeber, wir brauchen Untergrundkämpfer, wir brauchen Bots, wir brauchen Maschinen und wir brauchen Technik!"
Michel Friedmann: "Bitte um Verzeihung! Aber wenn hier von "Untergrundkämpfern" gesprochen wird, habe ich ein Problem, und zwar emotional wie kognitiv. Denn das würde bedeuten, dass die Aufgabe, die in dem Begriff "wehrhafte Demokratie" steckt, vom Staat und seinen Institutionen in allen Pluralitäten, Gerichte in allen Instanzen, Parteien, Regierungen,. Landesregierungen, nicht mehr erfüllt wird."
Philipp Ruch nutzte im Laufe des Abends immer seltener die Chance, eine der Thesen seines Buches anzubringen.
"Ich halte auch Demonstrationen für böse! Also Online-Petitionen … Das ganze Zeug, was uns eigentlich davon abhält, wirklich zu handeln."
Schluss mit Diskrimnierungen
Schließlich wurde die theatralisch als "Gedenkabend" angekündigte Runde zu einer klassischen Debatte über die Fragen: Welche Rolle spielt Holocaust heute? Was lehrt er uns? Und: Was tun gegen Rechtsextreme, gegen Rechtspopulisten? Einig waren sich alle, dass die Forderung nach dem "Nie wieder!" nicht "Nie wieder Holocaust!" bedeute, sondern: Nie wieder Ausgrenzung, nie wieder Diskriminierung, nie wieder Absprechen der Menschenwürde. Der Antisemitismus stehe da nur stellvertretend für Diskriminierungen, so Michel Friedmann.
"Ich sitze hier nicht, weil ich Jude bin! Ich sitze hier, weil ich Bürger eines Landes bin, in dem Freiheitsrechte, die hinter Demokratie stecken – es geht um Meinungsfreiheit, es geht um Pressefreiheit, es geht um Wahlen …, viele Freiheiten! –, weil ich sie für mich in den nächsten Jahren beibehalten möchte."
Appell an Verantwortungsgefühl
Die AfD käme nicht aus dem Nichts, sie spräche nur aus, was schon immer viele dachten. Da waren sich wieder alle einig. Und mit Blick auf einige rechtsextreme Figuren in der Partei wisse jeder Bürger, wen er da wähle, und jede bürgerliche Partei, mit wem sie da koaliere: Männer, die ihre politischen Gegner deportieren möchten. Mobilisierung sei nötig und das Verantwortungsgefühl eines jeden. Lea Rosh berichtete unter anderem, wie sie AfD-Politiker davon abgehalten hat, sich am Gedenken an die Judenverfolgung zu beteiligen.
"Ich sage: "Oh ja, ich werde sie hindern! Wenn sie da rauf gehen, gehe ich mit rauf, und dann gibt’s zwischen uns eine Balgerei, und da werden wir mal sehen, wie das ausgeht." Und so gehe ich mit AfD-Leuten um. Ich lasse mir von denen nichts sagen."
Weit über zwei Stunden dauerte der Abend in Weimar und verlief nicht unbedingt anders als die von Philipp Ruch so geschmähten Fernseh-Talkshows, aber doch immer wieder pointiert.