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Kunstfreiheit in Gefahr
HGB Leipzig lässt Staatsschutz gegen Studenten ermitteln

Es sollte ein Kunstprojekt sein, das sich kritisch mit den Themen Kunstfreiheit und dem Terroranschlag von Paris auseinandersetzt. Doch dann ermittelt plötzlich der Staatsschutz gegen Martin Schwarze, Student der Leipziger Kunsthochschule und der Künstler wird zum vermeintlichen Täter.

Von Marcus Engert und Jennifer Stange | 17.04.2015
    Blick zur Überdachung des Lichthofes im Gebäude der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB), aufgenommen am 11.12.2013 in Leipzig (Sachsen).
    Student: "Rektorin hat auch in der ganzen Zeit mit mir keinen Kontakt aufgenommen." (dpa picture alliance / Peter Endig)
    Es war eine anstrengende Woche für Martin Schwarze. Eben war "sein Fall" Thema in der Senatssitzung. Der Staatsschutz - die politische Polizei - hat gegen ihn ermittelt. Das wissen jetzt alle. Sichtlich angespannt hatte eben schon die Rektorin den Sitzungssaal verlassen. Keine Stellungnahme - frühestens kommende Woche, lässt sie später ausrichten.
    Martin Schwarze erscheint es immer noch vollkommen surreal, was sein Bild losgetreten hat. Im Februar hatte er es bei einer Ausstellung in der HGB gezeigt: Angela Merkel vor schwarz-rot-goldenem Grund. Ein mutmaßlicher Terrorist zielt mit einem Gewehr auf ihren Kopf. Der Terror des IS, die Waffenlieferungen Deutschlands – vor allem aber das Attentat auf die Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo". All das wollte Martin Schwarze hier verarbeiten:
    "Es hat mich sehr aufgewühlt, da ich eben auch selber politische Kunst mache, und ich schon überlegt habe: Inwieweit betrifft mich das, und inwieweit betrifft das die Studenten an der Hochschule. Und daraufhin hab ich dann eine Idee verwirklicht, die ich vorher schon hatte. Nämlich: einen Angriff auf das Bild, auf den Künstler, also mich in dem Fall, zu simulieren."
    Plötzlich Täter
    "WIR TÖTEN DICH!" wurde noch während der Ausstellung in großen Druckbuchstaben quer über sein Bild gesprüht. Das war so gewollt. Ein "simulierter Angriff" auf die Freiheit der Kunst und auf den Künstler. Der aber hatte Folgen. Denn ein Besucher fotografierte das Bild, zeigte es einem CDU-Europaabgeordneten, der es wiederum einem Polizeibeamten zeigte. Und der begann zu ermitteln – wegen angeblicher Sachbeschädigung.
    "Sie werden als Zeuge und Geschädigter in dieser Sache gebeten, sich mit genannter Dienststelle in Verbindung zu setzen",
    heißt es in einer E-Mail an Martin Schwarze. Absender: das Dezernat 5 der Polizeidirektion Leipzig. Der Staatsschutz. Ein Schock für den Studenten. Er antwortete umgehend: Der Schriftzug sei Teil des Kunstwerkes. "Hier liegt also keine Sachbeschädigung vor", schreibt er. Doch damit war die Sache nicht erledigt:
    "Es wurde ja ermittelt gegen unbekannt, weil angeblich irgendjemand sein Bild beschädigt hat. Und auf kaltem Wege wurde er dann irgendwie zum vermeintlichen Täter.
    In der Akte selber wabern dann Fragen durch, da geht es dann um Gewaltverherrlichung von Bildern. Dass der Student darüber nervös wird, das kann man sich ja vorstellen. Also das, muss ich sagen, ist mir in meiner langjährigen Beratungspraxis noch nie untergekommen."
    Vorwürfe an die Rektorin
    Ralph Mayer ist Anwalt für Kunstrecht und vertritt Martin Schwarze. Der Name des Studenten steht fett auf dem Aktendeckel, gegen ihn wurde offenbar vollumfänglich ermittelt. Eine unnötige Eskalation, die die Hochschulleitung hätte verhindern können, kritisiert Mayer.
    So sieht es auch der Studierendenrat. Dessen Vorsitzender, Manuel Washausen, wirft der Hochschulleitung noch mehr vor. Sie habe einfach so Namen und Mailadresse des Künstlers - der sein Werk bewusst anonym ausgestellt hatte - an den Staatsschutz gegeben.
    Die Hochschule habe ihren Studenten im Stich gelassen – und so ein fatales Signal ausgesendet, kritisiert der Stura-Vorsitzende:
    "Ich hätte mir in einem solchen Fall schon einen stärkeren Umgang der Rektorin gewünscht, die sich auch schützend vor den Künstler stellen könnte. Es wäre schön gewesen, wenn sie als Rektorin eine Haltung dazu entwickelt hätte, die es nicht ermöglicht, die Arbeit infrage zu stellen. Ich glaube, das hat auch damit zu tun, dass das eine sehr einschüchternde Wirkung hat, sowohl innerhalb der Schule, als auch über die Schule hinaus."
    Aus der Ermittlungsakte wird deutlich, dass die Rektorin auch mit den Ermittlern in Kontakt stand. Mit dem betroffenen Studenten hingegen habe sie nie direkt gesprochen:
    "Sie hat auch in der ganzen Zeit mit mir keinen Kontakt aufgenommen. Vorher, währenddessen, nachher: kein Wort."
    Auch wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren inzwischen eingestellt hat: Der Schock für Martin Schwarze wirkt nach. Dass er weiter kritisch und politisch malt, steht für ihn aber außer Frage:
    "Ich werde weiterhin politische Arbeiten machen. Ich werde sehr viel überlegter Arbeiten. Das hat mir zu denken gegeben. Das ist aber jetzt auch ein Thema, was ich in meiner Arbeit durchaus verarbeiten werde."