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Kunsthalle Karlsruhe
Poesie und Leidenschaft: Die große Jean-Honoré Fragonard-Ausstellung

Eleganz und Ausdruckskraft, diese Worte prägen das Werk des Rokoko-Künstlers, der als einer der herausragenden Meister des 18. Jahrhunderts gilt, in Deutschland aber weithin unbekannt ist. Das Kunstmuseum in Karlsruhe hat jetzt die erste Einzelausstellung zu Jean-Honoré Fragonard in Deutschland zusammengestellt.

Von Christian Gampert | 29.11.2013
    Wenn man an Jean-Honoré Fragonard denkt, dann stellt man sich schöne Frauen in lauschiger Landschaft vor, Schäferspiele und Idyllen, Lust und Luxus. Das alles kurz vor der französischen Revolution und mitten in der Aufklärung. Im Idealfall schwebt bei Fragonard eine verführerische Mätresse, auf der Schaukel sanft angestoßen von einem Galan, zwischen Himmel und Erde, umrahmt vom flirrenden Grün der Bäume. Aber es gibt auch eine andere Seite dieses Protagonisten des französischen Rokoko: als sein zweiter Auftritt im Salon (sein Debüt war noch gefeiert worden) 1767 nicht goutiert wurde, machte er sich unabhängig von der Akademie und arbeitete ganz für private Auftraggeber. Ein Maler auf dem freien Markt, gesponsert unter anderem von dem Baron de Saint-Julien und der Comtesse du Barry.
    Man mag das Rokoko mit seiner Luftigkeit als dekadente Schwundstufe des Barock betrachten, aber es hat ja doch was: eine unglaubliche Verspieltheit und Eleganz. Der Boucher-Schüler Fragonard war der Protagonist dieses Stils, und er stand auf solidem Fundament: 1752, im Alter von 20 Jahren, gewann der aus dem südfranzösischen Grasse stammende Maler den „Prix de Rome“ und durfte fünf Jahre in Italien die Barock-Meister kopieren und antike Landschaften malen.
    Davon zehrte er sein Leben lang, auch wenn er seine Kompositionen entscheidend weiterentwickelte: alles ist in Bewegung bei ihm, die Personengruppen werden stets in entspannter Dynamik gezeigt, mit den Blicken werden subtile Beziehungen geknüpft, Körper wenden sich einander zu, dehnen sich in reichen Kostümen, Hüte und Schirme sind fast abstrakte Strukturelemente, und in manchen Bildern kündigt sich schon eine gewisse Formauflösung an.
    Die Karlsruher Ausstellung will Fragonard vor allem als Zeichner würdigen. Die Zeichnung war für ihn nicht nur Skizze, sondern ein autonomes Medium; vieles wurde schon im 18.Jahrhundert über Reproduktions-Graphiken bekannt. Bei Fragonard kann man die Dramaturgie eines Bildes oft bereits an der Linienführung ausmachen: beim "Tod eines Eremiten" von 1775 etwa sind die Konturen des Leichnams in langen, entschlossenen, starren Linien gehalten, während die Zuschauer, die im Bild den Toten betrachten, mit kurzer rascher Strichführung verlebendigt werden. Schwarze Kreide oder bisweilen auch verwischter Rötel – die Kuratorin Astrid Reuter ist vor allem von der Vielfalt der Techniken Fragonards begeistert.
    "Wenn er mit der Kreide arbeitet, und über die Kreide dann den Pinsel legt, dann entstehen dort zwei Bilder, die übereinander geblendet werden, und die immer den Aspekt des Veränderlichen mit sich führen. Und es gibt häufig Punkte in diesen Kompositionen, die nur noch angedeutet scheinen. Man hat die Idee einer Traumvision vielleicht, des Sich –Auflösens…"
    Einer Gruppe von Zeichnungen wird in Karlsruhe stets ein hochkarätiges Gemälde zugeordnet, aus dem Louvre, der Albertina, dem British Museum, der Fundacao Calouste Gulbenkian. Die Ausstellung erzählt thematisch: zunächst die Erotik – etwa die Betrachtung einer - von der eigenen Mutter - marktgerecht als Modell dargebotenen barbusigen Tochter, die vom Maler mit einem Stock inspiziert wird. Anzüglich zerwühlte leere Betten mit Himmelsdach. Die Spiele einer nackten Pubertierenden, die sich vom wedelnden Schwanz ihres Hundes die Scham streicheln läßt.
    Dann die erotisierten Landschaften: der Kampf zwischen "wilder" Natur und dem gezähmten Garten spiegelt sich auch im Treiben der Menschen, in den Galanterien und Annäherungen. Häusliche Szenen, deren Folie meist die biblische Geschichte ist. Aus den Zeichnungen ragen die Landschaften heraus – etwa die schon romantisch angehauchte Zypressenallee im Park der Villa d’Este in Tivoli. Und natürlich die dramatisch aufgeschäumten Blätter zum "Rasenden Roland" nach Ariost. Die gewalttätig-amourösen Ritter-Abenteuer, der Konflikt zwischen Christen und Mauren – das ist spontan und hitzig gezeichnet, oft nur angedeutet und geht quasi bis zur Auflösung des Gegenstands: ein Blatt aus dem Louvre heißt "Der Kampf tobt", und er tobt bis zum Zerfall der Konturen. Das hatte man gerade Fragonard gar nicht zugetraut.