Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Kunstmuseum Louvre-Lens
Kultur ist die Hoffnung für Frankreichs Norden

In Lens, 200 Kilometer nördlich von Paris, hat das Louvre-Museum einen Ableger: Der "Louvre-Lens" soll die Krisenregion aufwerten, die immer noch mit dem Ende des Bergbaus kämpft. Dazu braucht das Museum die Menschen vor Ort – und das sind keine Bildungsbürger.

Von Bettina Kaps | 11.03.2020
Das Louvre Lens mit seiner markanten Pyramidenoptik
Der Louvre-Lens im Norden Frankreichs ist ein Ableger des weltberühmten Kunstmuseums in Paris (picture alliance/ MAXPPP/ Thierry Thorel)
Das Louvre-Museum in Lens ist flach, streng geometrisch und wirkt dezent. Von außen sieht man durch die gläserne Eingangshalle hindurch bis zu den Bäumen jenseits des Gebäudes. Einige Wände sind mit Aluminium verkleidet. Himmel und Wolken spiegeln sich in der silbergrau schimmernden Fassade, sodass sie mit der Landschaft zu verschmelzen scheint.
Es ist Samstag, kurz vor 10 Uhr früh. Ein älteres Paar wartet fröstelnd auf die Öffnung. Sie seien nicht gekommen, um die Ausstellung zu besichtigen, sagt die Frau, sondern für ein Treffen rund um einen Kaffee, Genaueres wisse sie nicht. Christine Lemaire und Jean-Marc Boulet wohnen in der Nachbarschaft.
"Wir stammen aus Lens, wir sind waschecht von hier. Bis 1992 habe ich in der Mine von Oignies gearbeitet, dann wurde ich in die Frührente versetzt, mit einem Tritt in den Hintern. Da war ich erst 47 Jahre alt."
Museum auf ehemaliger Kohleförderanlage
Später arbeitete Boulet Arbeit als Leichenbestatter. Heute ist er Rentner und spaziert täglich durch den Landschaftspark rund um das Museum. Alte Schienen und Mulden im Rasen zeugen davon, dass es über einer ehemaligen Förderanlage erbaut ist.
"Im Park habe ich eine Frau kennengelernt, die im Louvre-Lens arbeitet. Sie hat mich eingeladen. Es geht wohl darum, was sie demnächst zeigen wollen. Ich bin gespannt."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Adieu Tristesse - Frankreichs Norden versucht den Aufbruch.
Die Schiebetüren gehen auf, eine belgische Besuchergruppe strömt in die Halle. Boulet und Lemaire werden in einen Saal geführt, setzen sich dort an einen langen Tisch. Außer ihnen hat das Museum noch ein Dutzend Rentner und Arbeitslose, aber auch Berufstätige versammelt. Ein Mann im Ringelpullover stellt sich als Projektleiter für die nächste Ausstellung vor. Sie heißt "Soleils noirs", schwarze Sonnen. Der Kunsthistoriker fragt, welche Erwartungen der Titel weckt. Abendkleider, Trauer, Pfarrer in Soutanen, Gemälde von Pierre Soulages – die Anwesenden haben viele Assoziationen.
Jean-Marc Boulet wirkt zunächst eingeschüchtert. Aber schließlich meldet auch er sich zu Wort, spricht von der Kohle und erzählt von einem schweren Grubenunglück, bei dem er unter Tage gefangen war.
"Ein etwas anderer Louvre"
Am Rand des Saals sitzt ein jüngerer Mann in Sakko und Turnschuhen und macht sich Notizen. Luc Piralla ist stellvertretender Direktor des Louvre-Lens. Die Region und ihre Bevölkerung seien integraler Bestandteil des Museums-Konzepts, sagt Piralla:
"Wir sind ein etwas anderer Louvre. Unsere Ausstellungen werden aus der nationalen Sammlung bestückt. Aber zugleich stellen wir uns auf Menschen ein, die nicht die gleiche Kultur besitzen wie das Bildungsbürgertum in Paris. Die Testgruppe hilft uns, das Museum besser an dieses Publikum anzupassen."
Das Engagement geht noch sehr viel weiter. Zusammen mit Vereinen, Schulen, dem Job-Center und anderen Partnern entwickelt der Louvre-Lens Methoden, um Ausgrenzung, Lese- und Schreibschwäche oder Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Das passiert auch in der Ausstellung, sagt der Museumsleiter, und geht voraus in die "Galerie du Temps". Vom Eingang der Zeitgalerie aus fällt der Blick in einen großen Saal. Hier sind Werke aus 5.000 Jahren Kulturgeschichte ausgestellt. Der Kunsthistoriker umrundet einen Steinsockel mit Affenfiguren aus Altägypten, deutet auf die Statue eines Prinzen aus Mesopotamien.
Der stellvertretende Direktor des Museums Louvre-Lens, Luc Piralla, in einem Ausstellungsraum
Museums-Vize-Direktor Luc Piralla: „Der Louvre-Lens trägt dazu bei, das ehemalige Kohlerevier aufzuwerten und die Situation der Bewohner zu verbessern.“ (Deutschlandradio/ Bettina Kaps)
Viele Besucher aus der Region
Einige Schritte weiter hängt ein Madonnengemälde von Botticelli, und neben dem Ausgang ist Napoleon beim Ritt über die Alpen zu sehen.
"Einige Arbeitslose absolvieren hier eine ungewöhnliche Übung: Sie wählen eine Figur aus und recherchieren ihren Lebenslauf. Sie sagen beispielsweise: Ich bin Marc Aurel, ein römischer Kaiser, habe dies und jenes vollbracht. Das regt sie an, über ihre eigenen Fähigkeiten und Ziele nachzudenken."
Die Stadt Lens zählt 30.000 Einwohner. Der Louvre-Lens zieht jährlich 450.000 Besucher an. Zwei Drittel aller Besucher stammen aus der hiesigen Region Hauts-de-France. Luc Piralla wertet das als Erfolg. Die Ansässigen seien die besten Botschafter. Und ein wichtiges Argument für die Finanzierung. Das Jahresbudget beträgt 15 Millionen Euro. 80 Prozent der Kosten übernimmt die Region, jeweils zehn Prozent steuern das Departement und der Gemeindeverbund bei.
"Das Kohlerevier liegt im Herzen der 'France périphérique'. So bezeichnen Soziologen die Randzonen, wo viele Menschen das Gefühl haben, der Staat habe sie aufgegeben. Unser Museum beweist das Gegenteil. Staat, Region und Gemeinden haben mit dem Louvre-Lens ein ehrgeiziges Projekt verwirklicht, das die Gegend und die Situation der Bewohner verwandeln will."
Lehrreiche Erfahrung in der Testgruppe
Die Testgruppe hat den Entwurf des neuen Ausstellungsplakats kommentiert und die Infoschilder zu den Exponaten geprüft. Jean-Marc Boulet und Christine Lemaire ziehen ihre Mäntel über. "Das Treffen war lehrreich, selbst wenn wir uns etwas verloren gefühlt haben", sagt er. Sie ergänzt: "Dass man zu einem Plakat, zu einem Titel so viel sagen kann, war eine Entdeckung für mich."
Beide wollen wiederkommen. Vom Vorplatz aus zeigt Jean-Marc Boulet auf ein langgestrecktes graues Gebäude. In die ehemalige Arbeitersiedlung mit zehn Backsteinhäusern ist ein Vier-Sterne-Hotel eingezogen. "Das Museum ist wichtig für unsere Region, es zieht Touristen an. Ich sehe Autokennzeichen aus Holland, England, sogar der Schweiz. Die Leute kommen von überall her."