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Kunstmuseum Moritzburg in Halle
Comeback der Moderne

Das Kunstmuseum Moritzburg war ein bedeutender Ort für moderne Kunst in Deutschland - bis zur NS-Aktion "Entartete Kunst". Die einzigartige Sammlung mit Hauptwerken von Kandinsky, Klee oder Kirchner wurde damals in alle Welt verstreut. Einige sind jetzt nach Halle zurückgekehrt.

Von Carsten Probst | 29.09.2019
Eine junge Frau betrachtet am 18.04.2013 das Gemälde "Abendmahl", 1909, von Emil Nolde im Kunstmuseum Moritzburg in Halle (Saale) (Sachsen-Anhalt). Unter dem Motto "Farben heiß und heilig" zeigt das Museum 75 Arbeiten des Expressionisten.
Emil Noldes "Abendmahl", hier in der Ausstellung "Farben heiß und heilig" 2013 in Halle (dpa / Hendrik Schmidt)
Vor allem zwei ehemalige Direktoren des Kunstmuseums Moritzburg waren es, die die einst so herausragende Sammlung des Hauses mit moderner Avantgarde geprägt haben: Max Sauerlandt und Alois Schardt. Die Ausstellung rekonstruiert diese historische Sammlung in der zeitlichen Reihenfolge, in der die Kunstwerken einst angekauft wurden. In der Amtszeit von Max Sauerlandt zwischen 1910 und 1919 finden sich unter anderem: Max Beckmanns Doppelbildnis mit seiner ersten Frau Minna Beckmann-Tube von 1909, Emil Noldes "Abendmahl" aus demselben Jahr, das sich heute im Statens Museum for Kunst in Kopenhagen befindet oder auch Franz Marcs "Weiße Katze" von etwa 1912, das der Enteignung im Rahmen der Aktion "Entartete Kunst" auf wundersame Weise entgangen ist. Marcs "Weiße Katze" gehörte seinerzeit ebenso zu einem Konvolut von 24 Gemälden aus der Privatsammlung Rosy Fischer, wie verschiedene Arbeiten von Ernst-Ludwig Kirchner, durch deren Übereignung das Museum nach eigenen Angaben über den damals bedeutendsten Kirchner-Bestand verfügte.
Prominente Verluste und eine Wiedervereinigung
Franz Marcs "Tierschicksale" hingegen gehört zu den wohl prominentesten Verlusten der Moritzburg und befindet sich heute im Kunstmuseum Basel, von wo es nicht mehr ausgeliehen werden kann. Es war Alois Schardt, der mit diesem Kauf damals die Profilierung des Hauses fortsetzte. In seine Amtszeit fiel aber auch die berühmte Halle-Serie von Lyonel Feininger, die hier immerhin mit sieben von einst elf Malereien für drei Monate wieder vereint ist. Thomas Bauer-Friedrich, der heutige Direktor des Kunstmuseums Moritzburg, erklärt, weshalb er die moderne Erfolgsgeschichte des Hauses in der Ausstellung nicht mit der Aktion "Entartete Kunst" von 1937, sondern erst zwei Jahre später, nach der Amtszeit des von den Nationalsozialisten kommissarisch eingesetzten Hermann Schiebel enden lässt: "'39 war der Schlusspunkt. Dann gab es einen neuen, amtlich bestellten Direktor, und damit beginnt leider das schwärzeste Kapitel des Museums, unter Robert Scholz. Der völkisch-nationale Flügel der NSDAP hat damit die Leitung des Hauses übernommen, das Thema Klassische Moderne hat spätestens also 1939 keine Chance mehr hier im Haus, aber bis 1939, bis Hermann Schiebel aufhören muss, sind moderne Objekte in die Sammlung gekommen."
Kampf für die Moderne nach 1933
Diese spezielle Zeitrechnung soll den Widerstandsgeist des Hauses dokumentieren, mit dem dort auch nach 1933 noch für die Moderne gekämpft wurde. Wer die lange labyrinthische Reihe berühmter Arbeiten mit immerhin vierzig wieder ausgeliehenen von den einst 147 verlorengegangenen Werken abschreitet, kann sich ihrer berührenden Wirkung auch heute kaum entziehen. Unterstrichen wird dies noch durch die virtuelle Rekonstruktion eines nie ausgeführten Entwurfs für das Museum von Bauhaus-Gründer Walter Gropius für eine Stadtkrone mit Kunstmuseum in Halle. "Im digitalen Museum können Sie zum Beispiel in einer doppelten Halle, neunzig Meter in der Tiefe, die gesamte Sammlung der beschlagnahmten Werke erleben", erzählt Museumsdirektor Bauer-Friedrich. "Das ist auf der einen Seite erschreckend, weil man einfach die Fülle, die Masse und die Qualität der Werke sieht, und dass man eben auch sieht, was es für eine fantastische Qualität war, die dieses Haus einmal bis 1933 ausgezeichnet hat."
Ehrgeiz überstrahlt Ambivalenz
Eine weitere Sonderausstellung mit geliehenen Werken von Bauhauslehrern wie Klee, Schlemmer, Kandinsky oder Muche unterstreicht den Anspruch dieser Schau, Halle wenigstens kunst-historisch in die Nähe von Weimar, Dessau und Berlin zu rücken. Verständlicher Ehrgeiz im Bauhaus-Jahr – der aber die Ambivalenz so manch schillernder Karrieren und Schicksale im NS-Staat überstrahlt. Alois Schardt und Hermann Schiebel waren Mitglieder der NSDAP, Schardt, der ehemalige Assistent von Ludwig Justi an der Berliner Nationalgalerie, versuchte Avantgardekunst und Nationalsozialismus zusammenzudenken und wurde 1933 an Stelle des abgesetzten Ludwig Justi als Direktor der Nationalgalerie eingesetzt, ehe er selbst entmachtet wurde und später im Exil starb. Hermann Schiebel, eigentlich selbst Künstler, verbannte die Moderne in eine offiziell so genannte "Schreckenskammer" unter dem Dach des Hauses. Um darüber mehr zu erfahren, muss man sich allerdings in den opulenten Katalog vertiefen.