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Kunstnasen aus dem Computer

Medizin. - Um Stoffe aus einem Gemisch zu identifizieren – Gifte in der Umwelt, pharmazeutische Wirkstoffe in Nahrungsmitteln oder auch Rindfleisch in einer Schweinewurst – werden immer mehr Biosensoren eingesetzt. Also Systeme, die mit einem auf einer Platte fest verankerten biologischen Molekül Jagd auf den gesuchten Stoff machen. Doch das passende Biomolekül für dieses Suche zu finden, ist eine mühsame Angelegenheit. Wissenschaftler in Berlin gehen dafür aus dem Labor an den Computer.

19.05.2003
    Wenn unsere Nase etwa ein betörendes Parfum meldet, spielt sich im Kleinsten ein molekularer Tanz ab. Verschiedene Duftmoleküle umschwirren dann die Riechzellen bis sie einen passenden Rezeptor finden, an den nur sie binden können. Die Sinneszelle reagiert mit einem elektrischen Signal und das Gehirn meldet die entsprechende Duftkomponente. Nach diesem Prinzip arbeiten auch elektronische Nasen, allerdings verwenden sie statt Sinneszellen spezielle Kuppel-Moleküle: sogenannte Biosensoren. Doch die Entwicklung solcher Duftfänger für bestimmte Stoffe ist eine mühsame Angelegenheit. Inzwischen setzen Forscher dabei Biotechnologie und die Moleküle der Erbinformation ein, mit denen gezielt künstliche Duftsensoren am Computer konstruiert werden, schildert Frank Kleinjung von der Berliner Noxxon Pharma: "Die Ribonukleinsäure, die Information der DNS transportiert, ist ein Molekül, das sich selber falten und mit sich selber reagieren kann. So erhält sie eine individuelle Oberflächenstruktur."

    Genau diese Eigenschaft macht RNS für den Bau von Biosensoren interessant. Dabei hat jene Form der RNS, die Kleinjung mit seinem Computer entwickelt, mit dem biologischen Molekül nur noch die vier Grundbausteine gemeinsam, damit die aus ganzen RNS-Ketten konstruierten Biosensoren sich möglichst einfach falten und verwinden lassen. Auf diese Weise kann aus der RNS-Schlange – ein so genanntes Aptamer - eine möglichst komplexe räumliche Struktur mit Taschen und Mulden entstehen, in die sich die gesuchten Duftstoffe einlagern können. Eine besondere Form der Aptamere sind so genannte Spiegelmere, berichtet Frank Kleinjung: "Natürliche RNS bildet eine rechtsdrehende Schraube, während Spiegelmere Linksschrauben darstellen." Der Vorteil dieser Spiegelbilder besteht darin, dass biologische Systeme sie nicht angreifen können, während natürliche RNS von Zellen schnell abgebaut wird. Biosensoren aus Spiegelmeren sind dagegen beständiger und eignen sich daher für den dauerhaften Einsatz als Biosensoren. "Wir können damit beispielsweise für ganz bestimmte Substanzen passende Spiegelmere konstruieren, sie auf eine Oberfläche befestigen und so die gesuchten Stoffe detektieren."

    Allerdings ist der Weg zum perfekt passenden Spiegelmer mindestens so verschlungen und kompliziert wie das Sensormolekül selbst. Zuerst werden im Labor RNS-Moleküle von Automaten nach dem Zufallsprinzip einzeln wie Perlen auf eine Kette gereiht. Anschließend testen die Wissenschaftler, welche der erzeugten Molekülketten am besten auf das gesuchte Duftteilchen reagieren. Dann schlägt die Stunde des Computers, der aus den ersten Tendenzen simuliert, wie ein noch besser passendes Molekül aussehen könnte. Diese verbesserten Versionen werden erneut synthetisiert und am Duftstoff erprobt. Nach fünf bis sechs Durchläufen schließlich, so Kleinjung, sei dann das optimale RNS-Spiegelmer fertig und könne auf einem Biosensor auf die Duft-Teilchenjagd gehen.

    [Quelle: Jo Schilling]