Freitag, 29. März 2024

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Kunstraub in SBZ und DDR
"Die Enteignungen in der DDR waren eine riesige Devisenbeschaffungs-Maßnahme"

Die Forschung nach in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR enteignetem Kulturgut steht noch ganz am Anfang. Klar ist: Die Dimensionen sind gewaltig. Profitiert haben damals nicht nur die Devisenbeschaffer um Alexander Schalck-Golodkowski, sondern auch Museen und westliche Kunsthändler.

Gilbert Lupfer im Gespräch mit Carsten Probst | 29.11.2020
Doris Derdey von der Stiftung Schlösser, Burgen und Gärten betreut die Gemäldesammlung im Schloß Wernigerode. In ihrem Depot sind noch immer viele Bilder aus den Enteignungen während der Bodenreform.
Im Schloß Wernigerode lagern Bilder, deren Herkunft noch immer ungeklärt ist (dpa picture alliance )
Während die Provenienzforschung zu Raubkunst und Enteignungen von jüdischem Eigentum zur Zeit des Nationalsozialismus in deutschen Museen mittlerweile zum Standard gehört, sind Zahl und Umfang und die anschließende "Verwertung" enteigneter Kulturgüter durch die DDR auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung kaum erfasst.
Allein für das Bundesland Sachsen geht Gilbert Lupfer, Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste in Magdeburg, von zehntausenden, vielleicht hunderttausenden Objekten aus, die nach Kriegsende von den sowjetischen Besatzern aus den Herrenhäusern des vertriebenen ostelbischen Adels geborgen und in Depots gelagert wurden, um sie zu Geld zu machen.
Wer von den Schlossbergungen profitierte
"Sie müssen sich vorstellen, die Eigentümer dieser Schlösser und Herrenhäuser und Gutshäuser waren vertrieben oder geflohen, die Häuser standen oft leer, da konnte sich jeder und jede bedienen und das ist ja dann auch in den ersten chaotischen Nachkriegswochen passiert. Also da für einen gewissen Schutz zu sorgen, sie leerzuräumen und die Objekte in Schlossbergungs-Sammeldepots zu bringen, das machte einen gewissen Sinn und hatte zunächst einen Schutzaspekt. Danach versuchte man die Objekte zu verkaufen, sie zu Geld zu machen. Hier in Dresden zum Beispiel war im Albertinum eine Verkaufsstelle, ein Laden, wo Dresdner Bürger Objekte aus der Schlossbergung kaufen konnten, das Verkaufsbuch ist noch erhalten."
Dass auch Museen von den Schlossbergungen profitierten, hatte unter anderem damit zu tun, dass damals Museumsangestellte an den Bergungen beteiligt waren, die also wussten, dass hier auch wertvolle Kunstwerke lagerten. Und die Museen auf dem Boden der späteren DDR waren zum damaligen Zeitpunkt weitgehend leergeräumt, fast alle Kunstwerke waren als "Beutekunst" in die Sowjetunion gekommen. Gilbert Lupfer: "Da war nicht mehr viel übrig. Und die Leute, die damals in den Museen arbeiteten, entdeckten hier eine Möglichkeit, ihre leeren Häuser aufzufüllen."
Devisenbeschaffung mit zweifelhaften Mitteln
In der DDR betrafen solche Enteignungen dagegen das Hab und Gut von sogenannten Republikflüchtlingen oder auch von privaten Kunstsammlern, die kriminalisiert und zur Herausgabe ihrer oft wertvollen Kollektionen gezwungen wurden.
"Die Wege dieser Objekte zu verfolgen, ist schwierig", sagt Gilbert Lupfer. "Von Kulturgut, das in ostdeutsche Museumssammlungen gelangt war, konnte man die Provenienzketten zuweilen noch recht gut nachverfolgen. Aber was aus diesen Depots herausgegangen ist, dazu gibt es keine systematische Forschung. Und es gibt einen gewissen Prozentsatz, der sich keiner Herkunft mehr zuordnen lässt."
Um das Devisengeschäft anzukurbeln, ließ die DDR-Führung seit den 1950er-Jahren und noch bis zum Sommer 1989 ausgewählte westliche Kunsthändler ins Land. Sie kauften Kunst und Kunsthandwerk entweder direkt in Museen, vor allem aber im zentralen Lager der "Kunst- und Antiquitäten GmbH" in Mühlenbeck auf. Die gehörte zum Bereich der Kommerziellen Koordinierung im Außenhandelsministerium der DDR; ihr Zweck war es, die aus Schlossbergungen oder aus Enteignungen stammenden Objekte zu verkaufen. Oft unter gezielter Verschleierung der Herkunft.
Spardruck durch Corona-Krise - "Provenienzforschung steht auf der Kippe, wenn es knapp wird"
Die Provenienzforschung will Klarheit schaffen, wie viel geraubte Kunst in Archiven, Bibliotheken und Sammlungen schlummert. Diese Recherche kostet Zeit und Geld. Gilbert Lupfer vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste warnte im Dlf davor, in der Corona-Krise hier den Rotstift anzusetzen.
So gelangten die Objekte auf den Kunstmarkt im Westen. Auch vor dem Geschäft mit Kunsthändlern, die schon zur Nazizeit enteignete Kunst auf den internationalen Kunstmarkt gebracht hatten, schreckten die Devisenbeschaffer nicht zurück.
"Diese alten Verbindungen haben weiterhin eine Rolle gespielt, da gab es eingeführte Händler, mit denen sowohl die "Kunst- und Antiquitäten GmbH" als auch die Museen Geschäfte gemacht haben."
Kunst in Museen, die aus der DDR stammt, ist rechtlich abgesichert
Gleichwohl sieht Gilbert Lupfer die Museen und Kunsthändler heute rechtlich auf der sicheren Seite, Angst vor massenhaften Rückgabeforderungen müssten sie nicht haben. "Dafür gäbe es auch keine gesetzliche Grundlage. Die Kaufverträge sind ja rechtskräftig. Die Museen können von sich sagen: Diese Dinge sind ganz legal in unserem Besitz. Die ethische Frage ist natürlich etwas anderes. Aber ich glaube, für Museen im Westen Deutschlands stellt sich diese Frage gar nicht. Auf der Agenda ihrer Provenienzforschung steht sie ganz unten, und bisher fehlt auch die empirische Basis."
Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste veranstaltet am 30.11.2020 zu den systematischen Enteignungen von Kulturgut in der SBZ und DDR eine Online-Tagung unter dem Titel: "VEB Kunst – Kulturgutentzug und Handel in der DDR".
Prof. Gilbert Lupfer, geboren in Stuttgart, gehört zu den führenden Provenienzforschern in Deutschland. 1995 promovierte er an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen im Fach Kunstgeschichte und habilitierte sich 2002 an der TU Dresden. Dort ist er seit 2007 außerplanmäßiger Professor für Kunstgeschichte. Seit 2008 leitet er das Provenienzforschungsprojekt DAPHNE der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und die dortige Abteilung Forschung und wissenschaftliche Kooperation. Seit 2017 ist er zudem wissenschaftlicher Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste in Magdeburg.