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Kunsttherapie mit Autisten
Malen für die Selbstsicherheit

Für Eltern, Therapeuten und Psychologen ist es eine Herausforderung, angemessen auf die speziellen Bedürfnisse von autistischen Kindern einzugehen. Die Autismus-Ambulanz in Nürnberg fördert die Selbstwahrnehmung von Kindern mit leichten Formen von Autismus zum Beispiel durch Kunsttherapie.

Von Leonie Seng | 17.12.2013
    Das autistische Kind Massi hat das Wort "Mirror" zu einem Graffito verarbeitet.
    Das autistische Kind Massi hat das Wort "Mirror" zu einem Graffito verarbeitet. (Deutschlandradio / Leonie Seng )
    "Probier' einfach mal, Dir vorzustellen, dass die Äste immer wieder, wenn Du jetzt da raus schaust, dann kannst des bei den Büschen ganz gut sehen ..."
    "Ja, der hat etliche ..."
    Elisabeth Hünnebeck arbeitet seit 20 Jahren als Kunsttherapeutin in der Autismus-
    Ambulanz in Nürnberg. Heute sind „ihre Maler“ da, wie Frau Hünnebeck die beiden 13-jährigen Jungen Tim und Massi nennt. Tim übt sich gerade im Zeichnen der Verästelungen eines Baumes.
    "Ne, wie die immer wieder, bis sie ganz dünn werden, wie die immer wieder von so einem Hauptast weggehen."
    "Malen ist einfach auch visuelle Schulung, ganz klar. Man sieht Farben anders, man sieht die Dinge klarer und es gibt auch so eine Zuverlässigkeit, wenn ich weiß, ich kann mich auf meine visuelle Wahrnehmung verlassen."
    Kunsttherapie mit Autisten ist mehr als Malen. Durch Pinsel, Stift und Farben können Tim und Massi ihre Gefühle ausdrücken - auch ohne Worte. Außerdem haben Autisten oft eine Tendenz zu zwanghaftem Verhalten oder Perfektionismus. Der Umgang mit Pinsel und Stift kann ihnen helfen, zu akzeptieren, dass auch einmal etwas schief laufen kann.
    "Wenn ich jemanden habe, der das nicht aushalten kann, wenn die Linien nicht exakt sind, wenn er die Kontrolle nicht halten kann, dann nehme ich Holzbeizen, die auf dem Aquarellpapier automatisch ineinander laufen, dann will ich, dass Zufälligkeiten geschehen einfach und dann lerne ich, das auf dem Papier auszuhalten. Das ist etwas anderes, als wenn ich das immer mit Menschen austesten muss. Das ist hier einfacher."
    Frau Hünnebeck erinnert sich an einen Jungen, der eine Zitrone malen wollte. Das klappte aber nicht.
    "Und das ist keine Zitrone geworden, weil das Gelb irgendwie vermanscht war. Und dann habe ich gesagt: Was machen wir denn jetzt? Das hat ihn geärgert. Dann kam er auf die Idee, eine Kartoffel draus zu machen. Ich fand das so genial. Und dann hat er gesagt: Wissen Sie, ich mag Kartoffeln eh lieber als Zitronen. Toll!"
    Massi malt am liebsten Graffiti. Gerade ist er mit seiner Vorzeichnung fertig für das englische Wort "mirror", also Spiegel.
    "Hier ist die Vorzeichnung."
    "'Mirror'. Und wo ist da jetzt der Spiegel?"
    "Nein, ich mach das doch nicht mit Spiegel, ich wollte Dir doch nur sagen, dass das auf Deutsch übersetzt heißt: 'Spiegel'."
    "Ja, okay."
    Malen birgt auch Herausforderungen: Wie male ich einen Baum besonders realistisch? Was passiert, wenn ein Strich daneben geht? Der Vorteil: Die Kinder bekommen eine direkte Rückmeldung auf dem Papier. Erfolgserlebnisse stärken das Selbstbewusstsein, bringen Sicherheit, Stabilität und Ordnung. Das hilft autistischen Kindern wie Massi und Tim, das eigene Verhalten besser einschätzen und alltägliche Erlebnisse und Zusammenhänge verständlicher machen zu können. Davon profitieren sie auch im Umgang mit anderen.
    In der Regel kommen die Autisten einmal in der Woche in die Therapie. Elisabeth Hünnebeck spricht jedoch nicht gern von dem Autismus. Sie legt Wert auf die Förderung der individuellen Fähigkeiten ihrer "Maler".
    "Und ich glaube tatsächlich, dass es darum geht, Mut zur eigenen Art, Mut zu seinem Sosein zu entwickeln. Das, was da ist, was gut ist, das würde ich immer versuchen zu stärken. Ich arbeite nicht am Defizit. Ich fange immer erst einmal damit an, was sie gut können und da unterfüttere ich und da sage ich, yes, das machen wir, das ist ja genial!"