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Kurdisches Kino
Filme aus einem imaginären Land

Es gibt rund 25 Millionen Kurden - nur haben sie kein eigenes Land, sondern leben verteilt auf vier Staaten. Ein neuer Film zeigt einen jungen Kurden auf dem Weg in den Westen. Der Film steht stellvertretend für das kurdische Kino, das sich der Repression widersetzt. Und inzwischen auch gefördert wird.

Von Amin Farzanefar | 14.09.2014
    Ein grünes Tal an der irakisch-türkischen Grenze in der Nähe der nordirakischen Stadt Dohuk in der autonomen Kurdenregion
    Ein Tal in der Nähe der nordirakischen Stadt Dohuk an der irakisch-türkischen Grenze (afp / Safin Hamed)
    (Ausschnitt aus dem Trailer:"Ziyar!")
    Was hier zu hören ist, ist kurdisch: Nach Istanbul will der aus dem kurdischen Nordirak stammende Junge Ziyar, von dort weiter über die griechische Grenze bis ins verschneite Norwegen. Sein Ziel: Die vor einer Zwangsheirat geflohene Schwester umbringen, um die Familienehre wiederherzustellen. Doch der Weg ist lang, und unterwegs lernt Ziyar die junge Evin kennen.
    Teilweise entlang der eigenen Flüchtlingsbiografie zeigt der in Norwegen lebende Hisham Zaman die Brüche - und auch die Wege - zwischen Ost und West, den Gegensatz zwischen Tradition und Moderne, den die Kurden aushalten müssen, das patriarchale System, das dem Jungen viel zu viel aufbürdet. Dass "Before Snowfall" (so der Originaltitel) in vier Ländern gedreht wurde, entspricht der Route vieler Flüchtlinge und illegaler Migranten, nicht nur kurdischer. Dass er in der Türkei, auf Kurdisch gedreht wurde, wäre vor gar nicht langer Zeit noch skandalös gewesen.
    Der große Yilmaz Güney wird häufig als Gründer des kurdischen Kinos genannt; sein Meisterwerk "Yol -Der Weg" wurde 1982 in Cannes mit der Goldenen Palme bedacht - und in der Türkei verboten: Bei der Busfahrt eines Protagonisten durch die atemberaubende Landschaftskulisse der Osttürkei war kurz der Schriftzug "Kurdistan" eingeblendet - das Land, das nicht sein darf. Erst sehr viel später wurde "Yol" freigegeben, doch danach beanstandeten die Behörden immer noch die anatolische Musik.
    "Kurdistan" ist kein Skandal mehr
    Als Hisham Zamans "Der junge Ziyar" auf dem Istanbuler Filmfestival gezeigt wurde, rief derselbe Zwischentitel - "Kurdistan" - keinerlei Skandal mehr hervor. Manches hat sich geändert in 32 Jahren.
    Die rund 25 Millionen Kurden bewohnen ein im Wesentlichen imaginäres Land, das sich auf die Staaten Iran, Irak, Türkei und Syrien aufteilt. Dort sind ihre Kultur, ihre Sprache und dementsprechend auch ihr Kino in unterschiedlichem Maße Repressionen ausgesetzt:
    Im Iran beispielsweise, der sich offiziell als multiethnisches Land versteht, gibt es Fernsehprogramme und Kulturveranstaltungen in kurdischer Sprache.
    In der Türkei, in Syrien und Irak hingegen machte die ungleich stärkere Repression die Entwicklung einer kurdischen Filmkultur faktisch unmöglich: So wirkten die meisten kurdischen Autoren und Regisseure durch die Migration ihrer Eltern oder durch eigene Flucht lange Zeit aus dem Exil und der Diaspora heraus.Über den Globus zerstreut, existiert das kurdische Kino vor allem auf den Filmfestivals, auf kurdischen Filmtagen und -Wochen.
    Doch seit 2005 im Nordirak die "Autonome Region Kurdistan" entstand, sieht einiges anders aus, wie Mehmet Aktas ausführt, der Produzent von "Der junge Ziyar", Filmverleiher und Mitbegründer des Kurdischen Filmfestivals in Dohuk.
    "Kurdisches Kino hat sich in Irak Kurdistan sehr gut etabliert - es gibt einen Ort, wo es auf politischer und finanzieller Ebene eine Unterstützung gibt. Seit sechs Jahren gibt es eine Filmförderung, was ein große Wirkung hat, viele kurdische Filmemacher aus Europa und auch weltweit haben in Kurdistan Projekte entwickelt."
    Auch und vor allem in der Türkei gibt es neue Bewegungen: die regierende AKP strebt eine Aussöhnung mit den Kurden an, führt sogar Gespräche mit dem inhaftierten PKK-Gründer Abdullah Öcalan. Standen früher Filme mit kurdischer Thematik oder gar in kurdischer Sprache pauschal unter "Terrorismusverdacht", gibt es momentan auf den zahlreichen türkischen Filmfestivals eine Flut von Filmen zur so genannten "Kurdenfrage".
    "Als Filmemacher gehe ich gegen Desinformation vor"
    Neben der jahrzehntelangen kulturellen Unterdrückung ist auch der Krieg in der Osttürkei ein Thema, mit bis zu 40.000 Opfern, dem Niederbrennen von mehreren Tausend Dörfern, sowie Verschleppung, Folter und Mord durch paramilitärische Killerkommandos. Diese Aufarbeitung ist längst nicht nur Ansinnen kurdischer Regisseure allein, sagt Özcan Alper, einer der bedeutendsten jüngeren Filmemacher:
    "Ich bin kein Kurde, aber es ist ein Problem von allen; seit der Uni kenne ich Aktivisten, Kurden, die Guerillas wurden; einige meiner Bekannte starben in der Armee. Als junger Filmemacher muss ich also etwas beitragen, um die allgemeine Desinformation auszuräumen, statt vorbeizuschauen."
    In Alpers "The Future lasts forever" von 2011 reist eine junge Musikethnologin nach Diyarbakir, um Klagegesänge kurdischer Frauen aufzuzeichnen, und erlebt die Folgen des Krieges. Alper setzt dabei auch die Tradition der Dengbejs, der kurdischen Sänger, ins Bild: Dokumentarisches mischt sich in den Spielfilm und verleiht diesem unmittelbare Bedeutung und aktuelle Dringlichkeit.
    Momentan versuchen viele Initiativen, mit filmischen Mitteln den kulturellen Riss zu kitten, der die Türkei durchzieht: die Organisation "Anadolu Kultur" etwa bringt Nachwuchsfilmer aus Canakkale und Izmir in der Westtürkei, sowie aus Batman und Diyarbakir im Osten zusammen. Ein neues Ausbildungszentrum in Diyarbakir, der aufblühenden kurdischen Metropole im türkischen Osten, greift noch weiter aus und will Filmemacher aus und in den Ländern Irak, Syrien, Iran und Türkei miteinander vernetzen. So entsteht ein virtuelles "Kurdistan". Mit friedlichen Mitteln, in einer denkbar kriegerischen Zeiten