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Das Böse aus dem Netz

Der Politologe Peter Warren Singer ist Direktor bei der Brookings Institution, einer amerikanischen Denkfabrik. Gemeinsam mit dem Informatiker und Politikwissenschaftler Allan Friedman hat er ein in den USA viel beachtetes Buch vorgelegt. Es heißt "Cybersecurity and Cyberwar. What everyone needs to know", und es ist ein Kompendium der Internetsicherheit.

Von Katja Ridderbusch | 02.06.2014
    Ein Mensch vor einem Laptop, an dessen Monitor der Schriftzug "Passwort akzeptiert" zu lesen ist.
    "123456" ist ein häufig genutztes Passwort, aber auch ein sehr unsicheres. (picture alliance / dpa / Tobias Hase)
    Cyberkriege und Cyberspionage, Cyberverbrechen und Cyberwaffen: Das Böse aus dem Netz sorgt für Schlagzeilen im Stakkatotakt; Bedrohungsszenarien ziehen am Horizont auf und nähren Ängste vor dem digitalen Supergau.
    Doch nur wenige kennen sich mit der "Cyber"-Welt aus. Zu wenige, bedauert der amerikanische Politikwissenschaftler Peter Warren Singer im US- Rundfunk:
    Da sitzen Leute in Schlüsselpositionen; Leute, die etwas bewegen können, und manche von ihnen sind geradezu stolz auf ihre Cyber-Ignoranz, darauf, dass sie keine Ahnung von der Technologie haben, von der die Welt abhängt - das betrifft alle Bereiche vom Handel über Kommunikationssysteme bis zu politischen Konflikten.
    Internetsicherheit: Erklären und Aufklären
    Und genau das wollen Singer und sein Co-Autor Allan Friedman mit ihrem neuen Buch ändern. "Cybersecurity und Cyberwar" will erklären und aufklären, Dämonen entzaubern und praktische Tipps geben. Das ist den Autoren auch gelungen, finden amerikanische Medien. Die Monatsschrift "The Atlantic" rühmt das Buch als eine "beeindruckende Tour de Force, umfassend und verständlich." Und außerdem: brandaktuell. Sei es der NSA-Skandal, die Wikileaks-Affäre oder der nie offiziell bestätigte Einsatz des "Stuxnet"-Virus gegen iranische Atomanlagen: Das Thema "Cyber" ist in aller Munde. Auch US-Präsident Obama warnte kürzlich vor der wachsenden Bedrohung durch Cyberangriffe:
    "America must face the rapidly growing threat from cyber attacks..."
    Einfache und plastische Vergleiche
    Singer und Friedman gliedern ihr Buch in drei Teile: Der erste erklärt die Technologie des Cyberspace, der zweite zeigt die politischen, sozialen und ökonomischen Implikationen von Cyberverbrechen und Cyberkriegen auf, der dritte stellt mögliche Schutzmaßnahmen vor. Die Autoren beschreiben kriminelle Konzepte wie Phishing oder APT-Angriffe, außerdem Verteidigungsinstrumente wie Firewalls oder Air Gaps. All das klingt kompliziert, doch Singer und Friedman finden einfache und plastische Vergleiche:
    "Die letzte Verteidigungslinie ähnelt jener Strategie, die Nonnen in katholischen Schulen gerne benutzen, wenn Teenager zu eng miteinander tanzen: Sie packen einen Luftballon zwischen die Jugendlichen und schaffen so einen Air Gap, eine Luftschranke. In der Cybersicherheit bedeutet ein Air Gap die physische Trennung zwischen Netzwerk und kritischer Infrastruktur."
    Cyberattacken sind ein komplexes Instrument
    Die Folgen von Cyberspionage, Cyberkriminalität und Cyberterrorismus reichen von Kreditkarten-Missbrauch über Industriespionage bis zu Hacker-Angriffen auf Strom- und Wasserleitungen oder auf Kommunikationsnetze. Die Autoren räumen mit dem weitverbreiteten Vorurteil auf, dass Cyberattacken meist mit einfachen Mitteln und von verschrobenen Einzeltätern in Gang gesetzt würden. Peter Singer:
    "Wenn wir zum Beispiel Stuxnet nehmen, die Cyberwaffe, die gegen iranische Atomanlagen gerichtet war, dann sieht man, dass es enorme Recherche, viel Zeit und zahlreiche Experten braucht, um ein derart komplexes und wirksames Instrument zu entwickeln."
    Praktische Tipps für Internetnutzer
    Im dritten Teil des Buches geben die Autoren Ratschläge für den Schutz vor Gefahren aus dem Cyberspace - praktische Tipps für den einzelnen Internetnutzer, Maßnahmen für Unternehmen sowie mögliche völkerrechtliche Strategien.
    "Aktualisieren Sie Ihr Passwort regelmäßig, benutzen Sie starke Passwörter, die lang sind, die Zahlen und Buchstaben mischen. (...) Das gebräuchlichste Passwort ist heute, leider, noch immer das Wort "Password". Gefolgt von der Zahlenreihe "123456"."
    Außerdem empfehlen die Autoren Universitäten, ihre Studenten besser auf die Herausforderungen der Cyberwelt vorzubereiten.
    "Wir sind nicht gut ausgebildet und aufgestellt auf diesem Gebiet. Mehr als 70 Prozent unserer Manager treffen Entscheidungen, die die Cybersicherheit ihres Unternehmens betreffen. Trotzdem ist IT-Sicherheit kein fester Bestandteil eines BWL-Studiums. Das Gleiche gilt für die Ausbildung von Diplomaten, Rechtsanwälten und Journalisten."
    Kurzweiliger Führer durch das Labyrinth des Cyberspace
    Singer und Friedman halten wenig von Vorschlägen, völlig neue völkerrechtliche Grundlagen für die Cyberwelt zu schaffen. Sie plädieren vielmehr dafür, auf das bestehende Kriegsrecht aufzubauen - also eine Art Genfer Konvention 2.0. Peter Singer und Allan Friedman haben ein kluges und informatives Handbuch geschrieben, einen kurzweiligen Führer durch das Labyrinth des Cyberspace, der diffusen Ängsten den Boden entzieht - und den Leser zugleich mit einer Mahnung zur Wachsamkeit entlässt:
    "Was auch immer wir tun: Hundertprozentige Sicherheit wird es nicht geben. Wenn Sie es sich nicht leisten können, Daten zu verlieren, dann bereiten Sie sich genau auf diesen Fall vor. Machen Sie Back-ups, Sicherheitskopien - ob es sich um ein Stromnetz, um das Design für einen neuen Kampfjet oder um die Fotos Ihrer Kinder handelt."
    Und das Buch von Peter Warren Singer und Allan Friedman heißt Cybersecurity and Cyberwar, What Everyone needs to know, Oxford University Press, 320 Seiten kosten 11 Euro 95.