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Kursiv: Max Webers immer aktueller Vortrag "Politik als Beruf"

1919 hielt Max Weber mit seinem Vortrag "Politik als Beruf" der damaligen politischen Klasse einen Spiegel vor. Der Soziologe und Sozialpolitiker war zu Lebzeiten zwar kein Unbekannter, aber er war auch keine Berühmtheit. Heute jedoch haben seine Grundsätze ihren Stammplatz in der Auseinandersetzung mit Politik. Dieter Jepsen-Föge hat für uns "Politik als Beruf" wieder gelesen.

30.06.2008
    Der Vortrag, den ich auf Ihren Wunsch zu halten habe, wird Sie nach verschiedenen Richtungen notwendig enttäuschen. In einer Rede über Politik als Beruf werden Sie unwillkürlich eine Stellungnahme zu aktuellen Tagesfragen erwarten.

    Max Weber, der zuvor in München einen Lehrstuhl übernommen hatte, hielt seinen Vortrag Anfang 1919, also mitten im Revolutionswinter. In Berlin war gerade der Spartakusaufstand niedergeschlagen worden, waren Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet worden und in München wurde die Räterepublik vorbereitet. Angesichts dieser aufgeheizten politischen Stimmung im ganzen Deutschen Reich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Novemberrevolution, die mit dem Matrosenaufstand in Kiel begann, beeindrucken die wissenschaftliche Selbstbeschränkung und der analytische Duktus des Soziologen. Sein Vortrag wollte, wie seine Frau, Marianne Weber, nach seinem Tod schrieb,

    der aus dem Militärdienst entlassenen und von dem Erleben der Kriegs- und Nachkriegszeit tief erregten Jugend als Wegweiser ... dienen.

    Tatsächlich ist es bis heute unmöglich, über Staat und Gesellschaft, über Macht und Ethik, ja, über Politik insgesamt, ohne Verweis auf Max Weber zu reflektieren. Denken wir zum Beispiel an die vor wenigen Wochen wieder aufgeflammte Diskussion über die Pläne zur Erhöhung der Abgeordnetendiäten. Welche Entlohnung ist angemessen für Abgeordnete, die die Politik zum Beruf gemacht haben? Max Weber unterscheidet noch zwischen denen, die "für" die Politik und jenen, die "von" der Politik leben. Heute leben die Berufspolitiker für die und von der Politik. Und die Tatsache, dass immer mehr Abgeordnete gar keinen anderen Beruf haben und der Anteil der Abgeordneten, die dem öffentlichen Dienst angehören, wächst, wird man mit dem analytischen Werkzeug Max Webers noch klarer als Fehlentwicklung verstehen.

    Politik ist nach Weber das "Streben nach Macht", also nach der "Leitung oder Beeinflussung der Leitung eines politisches Verbandes, heute also: des Staates." Seine Definition des Staates gehört gleichsam zum politischen Zitatenschatz:

    Staat ist diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich mit Erfolg beansprucht.

    Ausführlich beschäftigt sich Weber mit den Legitimitätsgrundlagen einer Herrschaft. Noch vor der traditionellen Herrschaft des Patriarchen und der Herrschaft kraft Legalität, also der durch rational geschaffene Regeln begründeten sachlichen Kompetenz, interessiert sich Weber vor allem für die

    Herrschaft kraft Hingabe der Gehorchenden an das rein persönliche "Charisma" des "Führers". Denn hier wurzelt der Gedanke des Berufs in seiner höchsten Ausprägung. Die Hingabe an das Charisma des Propheten oder des Führers im Kriege oder des ganz großen Demagogen in der Ekklesia oder im Parlament bedeutet ja, dass er persönlich als der innerlich berufene Leiter der Menschen gilt, dass diese sich ihm nicht kraft Sitte oder Satzung fügen, sondern weil sie an ihn glauben.

    Herrschaft, wie immer begründet, braucht einen Verwaltungsapparat. In seinem Münchner Vortrag: "Politik als Beruf", wie in vielen seiner Werke, beschäftigt sich Max Weber mit dem Verhältnis von Berufspolitikern und Beamten:

    Sine ira et studio, ohne Zorn und Eingenommenheit soll er seines Amtes walten. Er soll also gerade das nicht tun, was der Politiker, der Führer, sowohl wie seine Gefolgschaft, immer und notwendig tun muss: kämpfen. Denn Parteinahme, Kampf, Leidenschaft - ira et studium - sind das Element des Politikers. Und vor allem: des politischen Führers. Dessen Handeln steht unter einem ganz anderen, gerade entgegengesetzten Prinzip der Verantwortung als die des Beamten ist. Ehre des Beamten ist die Fähigkeit, wenn - trotz seiner Vorstellungen - die ihm vorgesetzte Behörde auf einem ihm falsch erscheinenden Befehl beharrt, ihn auf Verantwortung des Befehlenden gewissenhaft und genau so auszuführen, als ob er seiner eigenen Überzeugung entspräche; ohne diese im höchsten Sinn sittliche Disziplin und Selbstverleugnung zerfiele der ganze Apparat. Ehre des politischen Führers, also: des leitenden Staatsmanns, ist dagegen gerade die ausschließliche Verantwortung für das, was er tut, die er nicht ablehnen oder abwälzen kann und darf.

    Was Max Weber idealtypisch scharf trennt, hat die parlamentarische Demokratie gewollt verschränkt. Keine politische Herrschaft beruht heute vor allem auf Charisma, sondern ist eingewebt in Verfassung und vereinbarte Verfahren. Und diese beschränken und kontrollieren die Macht der politischen Führung. Die Kehrseite der Machtverschränkung ist allerdings die - man möchte sagen - institutionalisierte Verantwortungslosigkeit. Keine Parlamentsreform, keine Föderalismusreform hat bisher die Defizite unklarer Macht- und Kompetenzverteilungen beseitigen können. Und dass die wichtigste Berufsgruppe in den Parlamenten die Beamten sind, erschwert jede Reform.

    Der vielleicht wichtigste und nach wie vor gültige Teil dieses Vortrags beschäftigt sich mit den ethischen Fragen der Machtausübung oder, wie Weber anschaulich formuliert,

    die Frage: was für ein Mensch man sein muss, um seine Hand in die Speichen des Rades der Geschichte legen zu dürfen.

    Drei Qualitäten hält er für entscheidend: Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß. Und zur Erklärung verweist er dann doch auf die damals aktuelle politische Situation.

    Leidenschaft im Sinne von Sachlichkeit ... nicht im Sinne jenes Gebarens, welches mein verstorbener Freund Georg Simmel als "sterile Aufgeregtheit" zu bezeichnen pflegte ... und welches jetzt in diesem Karneval, den man mit dem stolzen Namen einer "Revolution" schmückt, eine so große Rolle bei unseren Intellektuellen spielt: eine ins Leere verlaufende "Romantik des intellektuell Interessanten" ohne alles sachliche Verantwortungsgefühl. Denn mit der bloßen, als noch so echt empfundenen Leidenschaft ist es freilich nicht getan. Sie macht nicht zum Politiker, wenn sie nicht, als Dienst in einer "Sache", auch die Verantwortlichkeit gegenüber dieser Sache zum entscheidenden Leitstern des Handelns macht. Und dazu bedarf es des Augenmaßes, der Fähigkeit, die Realitäten mit innerer Sammlung und Ruhe auf sich wirken zu lassen, also: der Distanz zu den Dingen und Menschen.

    So kommt Weber zu seiner immer wieder zitierten Schlussfolgerung:

    Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.

    "Verantwortungsgefühl" ist die wichtigste Tugend eines Politikers. Weber kontrastiert "gesinnungsethisches" und "verantwortungsethisches" Handeln:

    Es ist ein abgrundtiefer Gegensatz, ob man unter der gesinnungsethischen Maxime handelt - religiös geredet -: der Christ tut recht und stellt den Erfolg Gott anheim, oder unter der verantwortungsethischen: dass man für die voraussehbaren Folgen seines Handelns aufzukommen hat.

    Und nun selber leidenschaftlich argumentiert Weber auch gegen jene seiner studentischen Zuhörer, die sich nur dafür verantwortlich fühlen,

    dass die Flamme der reinen Gesinnung, die Flamme zum Beispiel des Protests gegen die Ungerechtigkeit der sozialen Ordnung, nicht erlischt.

    Und er fragt, was wohl in zehn Jahren, wenn die Zeit der Reaktion längst hereingebrochen sei aus denen geworden sei, die sich als echte "Gesinnungspolitiker" fühlen und an dem - so Weber -

    Rausch teilnehmen, den diese Revolution bedeutet ...

    Sein konsequenter Schluss:

    Nur wer sicher ist, dass er nicht daran zerbricht, wenn die Welt, von seinem Standpunkt aus gesehen, zu dumm oder zu gemein ist für das, was er ihr bieten will, dass er all dem gegenüber: "dennoch!" zu sagen vermag, nur der hat den "Beruf" zur Politik.

    Dieser Vortrag hat bis heute nichts von seiner analytischen Kraft verloren. Er enthält das noch immer gültige Koordinatensystem zur Beurteilung von Politik und Politikern. Man wird auch heute feststellen müssen, dass die Zahl derer, für die Politik nicht nur Beruf, sondern auch Berufung ist, überschaubar ist.

    Max Weber: "Politik als Beruf"
    Reclam Verlag
    96 Seiten für 2 Euro 60