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"Kurswechsel in der gesamten Rüstungspolitik"

US-Präsident Barack Obama wünscht sich eine atomwaffenfreie Welt. Der Nukleargipfel in Washington soll dieses Ziel ein Stück näher bringen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier hofft, dass es nach der Konferenz zu einer amerikanischen Unterzeichnung des Teststoppvertrages kommt.

Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit Stefan Heinlein | 13.04.2010
    Stefan Heinlein: Die Angst vor der schmutzigen Bombe in der Hand von Terroristen. Ein gemeinsamer Albtraum für die internationale Gemeinschaft. Wie real ist diese Bedrohung und wie kann Nuklearterrorismus wirksam bekämpft werden. Gleich die Fragen an den SPD-Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier. Am Telefon nun der SPD-Fraktionsvorsitzende und ehemalige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Guten Morgen, Herr Steinmeier!

    Frank-Walter Steinmeier: Guten Morgen, Herr Heinlein, nach Köln!

    Heinlein: El Kaida im Besitz einer schmutzigen Bombe – wie real ist diese Bedrohung aus Ihrer Sicht?

    Steinmeier: Eine fürchterliche Vorstellung auf jeden Fall, und ich habe auch keinen Zweifel, dass wenn es der El Kaida oder anderen Organisationen dieser Größenordnung und dieser Qualität gelingen würde, sich in den Besitz solchen Materials zu bringen, würden sie es auch tun. Umso wichtiger, dass wir verhindern, dass solches spaltbares Material, das Nuklearmaterial, in die Hände von Terroristen gelangt. Wir müssen dankbar sein, dass der amerikanische Präsident diese Initiative unternimmt. Aber ich glaube, einordnen können wir das in Amerika, was da in Amerika passiert, nur dann, wenn wir sehen, welcher unglaubliche Kurswechsel sich in der amerikanischen Außenpolitik in den letzten Monaten vollzogen hat. Ich bin ja sozusagen als Chef des Kanzleramtes, später als Außenminister viele Jahre lang und mit der Bush'schen Außenpolitik, mit der Außenpolitik von George W. Bush beschäftigt gewesen. Ich habe erlebt, wie der ABM-Vertrag gekündigt wurde, wie das gesamte internationale Abrüstungsregime ins Wanken geriet oder mindestens erodierte. Die Phase, in der das Verhältnis zwischen Russland und Amerika immer mehr erkaltete. Wir haben ja einen kompletten Kurswechsel, der begann mit der Rede von Präsident Obama in Prag von einer nuklearwaffenfreien Welt, der sich fortsetzte in Gesprächen zwischen der russischen und der amerikanischen Führung und jetzt zur Unterzeichnung des New-START-Vertrages gelangt ist – eines Vertrages, der in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden darf, mit der wir endlich zur Reduzierung von Atomsprengköpfen und Trägersystemen kommen, auch dazu, ein neues Vertragswerk, das Vertrauen neu bildet, zwischen den wichtigen Mächten der Welt und damit einen Kurswechsel in der gesamten Rüstungspolitik vielleicht wieder hin zur Renaissance einer Abrüstungspolitik bedeuten kann.

    Heinlein: Herr Steinmeier, wie passt denn nun dieser Gipfel zur atomaren Sicherheit in diesen von Ihnen beschriebenen Kurswechsel der amerikanischen Außen- und Nuklearpolitik?

    Steinmeier: Wir haben die Unterzeichnung des Staatsvertrages, wir haben eine Neudefinition der amerikanischen Nuklearpolitik – auch das sollten wir nicht vergessen. Der Verzicht auf einen nuklearen Erstschlag gegenüber den Staaten, die sich nicht selbst um eigene Nuklearwaffen bemühen, und solchen Staaten, die sich an den Atomwaffensperrvertrag halten, auch das ein Philosophiewechsel in der amerikanischen Führung. Und die Einladung an insgesamt gut 45 Staatschef aus aller Welt, denke ich, hat auch den Hintergrund, dass Präsident Obama diejenigen, die noch zweifelnd waren, diejenigen, die noch nicht überzeugt waren, dass dieser Kurs der richtige ist, auf diesen Kurs mitnehmen will – auch das, denke ich, ein wichtiger Hintergrund für das, was da im Augenblick in Washington stattfindet. Dazu aber, das sollten wir nicht verkennen, die Vorbereitung für das, was vor fünf Jahren gescheitert ist und jetzt im Mai wieder aufgenommen wird: eine Reform des Atomwaffensperrvertrages. Eine Reform, die vor fünf Jahren gescheitert ist, weil es kein Engagement gab, diesen Atomsperrvertrag zu modernisieren und zu verhindern, dass weitere Staaten sich in den Besitz von Nuklearwaffen oder Nuklearmaterial bringen.

    Heinlein: Ist es, Herr Steinmeier, ist es vor diesem Hintergrund, den Sie gerade beschrieben haben, ein Fehler, dass Iran und Nordkorea, zwei Länder bewusst nicht nach Washington eingeladen worden sind?

    Steinmeier: Ich denke, der Hintergrund ist der, dass die USA und Präsident Obama mit der Änderung der eigenen Nuklearstrategie, mit der Unterzeichnung des New-START-Vertrages ein Vertrauenssignal senden wollten, das natürlich auch deshalb erforderlich war, um andere Länder – Russland und China etwa – in eine gemeinsame Strategie gegenüber Iran und Nordkorea einzubinden. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass diese beiden Staaten nicht eingeladen waren. Ob das dauerhaft zur Untätigkeit in Amerika gegenüber Iran etwa führt, das müssen wir sehen. Ich habe den Eindruck, dass die Aktivitäten in den USA, in Washington, im Augenblick so groß sind, dass man hier auch noch von weitergehenden Initiativen ausgehen kann und nicht nur an dem nächsten Beschluss des Sicherheitsrates.

    Heinlein: Haben Sie denn auch Verständnis für die Absage der israelischen Regierung, denn anders als der Iran und Nordkorea war ja die Regierung Netanjahu eingeladen zu diesem Gipfel und hat in letzter Minute abgesagt.

    Steinmeier: Ich glaube, dass das keine kluge Entscheidung in Israel war. Schon die letzten Besuche von US-amerikanischen Vertretern in Israel, im Nahen Osten, mit dem Versuch, den Friedensprozess im Nahen Osten wieder in Gang zu bringen, hat ja Verstörung und Irritation hinterlassen auf der amerikanischen Seite. Die Absage jetzt zu diesem wichtigen internationalen Treffen in Washington wird das Verhältnis zwischen USA und Israel ebenfalls nicht weiter verbessert haben. Ich glaube, bei der Bedeutung der Angelegenheit, die dort in Washington zu besprechen ist, die Begrenzung des Handels mit nuklearem Material, ist das keine sehr gut überlegte Absage gewesen. Auch Israel wird sich diesen Diskussionen stellen müssen – selbst wenn das nicht immer angenehm und nicht immer einfach ist.

    Heinlein: Herr Steinmeier, abschließend noch mal die Frage: Lassen sich denn Terroristen von diesem von Ihnen ausführlich beschriebenen Kurswechsel der US-amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik und von den möglichen Gipfelbeschlüssen, die ja heute und morgen kommen werden, davon abschrecken zu versuchen, eine schmutzige Bombe zu bauen und einzusetzen?

    Steinmeier: Nein, das wäre naiv. Ich glaube auch nicht, dass das die Philosophie der amerikanischen Regierung, des amerikanischen Präsidenten ist. Natürlich orientieren sich Terroristen und terroristische Gruppen nicht an internationalen Beschlüssen oder Beschlüssen von internationalen Organisationen oder Konferenzen. Aber worum es geht – und deshalb ist das Treffen in Washington ein wichtiges Treffen –, ist, nach gemeinsamen Instrumenten, nach gemeinsamen Mechanismen, aber was noch wichtiger ist, nach einer gemeinsamen Überzeugung zu suchen, dass immer weniger nukleares Material produziert wird, in den Handel kommt und damit die Gefahr angereichert wird, die Gefahr entsteht, dass dieses Material auch in die Hände von Terroristen kommt. Das muss verhindert werden und das muss Gegenstand einer gemeinsamen internationalen Anstrengung sein. Ich glaube, wir müssen hoch einschätzen, dass die Amerikaner sich dieses schwierige Thema aufgeladen haben und den Rest der Welt davon überzeugen, diesen Weg mitzugehen. Ich wünschte mir, dass im Anschluss an diese Konferenz in Washington nicht nur eine Reform des Atomsperrvertrages gelingt, sondern dann vielleicht auch noch eine amerikanische Unterzeichnung des Teststoppvertrages kommt – ein schwieriges Thema in den USA, wie ich weiß aus vergangenen Zeiten, aber ich glaube, die Chance dafür reift, dass auch Amerika zu den Unterzeichnerstaaten gehören wird. Und das wäre in der Tat dann noch ein weiterer Durchbruch in den internationalen Abrüstungsbemühungen.

    Heinlein: Herr Steinmeier, wir haben noch eine knappe Minute Zeit, deshalb eine Frage noch zur aktuellen Kritik Ihres Parteivorsitzenden Gabriel an der Kanzlerin. Teilen Sie seine Kritik an der Wortwahl von Angela Merkel, Krieg in Afghanistan?

    Steinmeier: Na ja, das war ja kein Streit um bloße Begriffe, sondern das, was Herr Gabriel zum Ausdruck gebracht hat über Nacht ist ja die Kritik daran, dass die Bundesregierung statt das zu tun, was jetzt notwendig ist, sich auf neue Begrifflichkeiten versucht einzustellen. Es hilft unseren Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan, die in Afghanistan eingesetzt sind, überhaupt nicht, wenn wir neue Begriffe für das finden oder zu finden versuchen, was dort stattfindet. Es ist ganz ohne Zweifel ein hoch gefährlicher Einsatz, und wir haben viel zu viele verletzte und tote Soldatinnen und Soldaten zu beklagen gehabt, gar keine Frage. Aber was jetzt nottut, ist, dass wir überprüfen, ob unsere Soldatinnen und Soldaten dort den bestmöglichen Schutz haben oder nicht. Und wenn sie ihn nicht haben, muss er verbessert werden. Darum geht es, und das hat Herr Gabriel gesagt.

    Heinlein: Herr Gabriel ist aber noch weitergegangen und hat gesagt: Würde denn die SPD tatsächlich Nein sagen zu einem neuen Bundeswehrmandat für Afghanistan, wenn es sich dort offiziell um einen Krieg handelt?

    Steinmeier: Nein, wir haben uns, denke ich, als SPD bei der Abstimmung über das gerade erst erfolgte Mandat verantwortlich verhalten. Wir sind in der Opposition und wir haben dennoch gesagt, wir erkennen unsere Verantwortung an als eine Partei, die über elf Jahre lang mit in der Regierung gewesen ist und die auch in den vergangenen Jahren – entweder weil wir den Kanzler gestellt haben oder den Außenminister gestellt haben – an der Afghanistanpolitik natürlich teilgehabt hat und die Entscheidungen ... Deshalb ziehen wir uns nicht einfach aus der Verantwortung, aber wir haben in dem Mandat, dem wir zugestimmt haben, auch klare Meilensteine gesetzt, wie wir uns den weiteren Einsatz in Afghanistan vorstellen. Und das heißt, dass wir jetzt noch einmal mit der Zahl der Soldaten nach oben gehen, aber dann auch die Vorbereitungen dafür treffen, dass die Kontingente in Zukunft reduziert werden können. Das geht aber nur dann, wenn wir die afghanische Führung ertüchtigen in den nächsten Monaten und wenigen Jahren, wenn wir die afghanische Führung ertüchtigen, ihre Sicherheitsaufgaben mit eigenen Kapazitäten zu erfüllen. Diese Kapazitäten müssen wir aufbauen, ausbauen, schneller, als uns das in der Vergangenheit gelungen ist.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Steinmeier: Auf Wiederhören, danke!