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Kurt Beck nennt Hartz-IV-Angebot der Regierung "Betrugsversuch"

"Schlicht und einfach eine Ungehörigkeit ersten Ranges", " hinten und vorne nur vergiftete Köder" - Kurt Beck (SPD) spart nicht mit Wut und Kritik an den Hartz-IV-Regelungen der Regierung: Man brauche ein "anständiges Angebot".

10.02.2011
    Dirk Müller: Fünf Euro stehen gegen elf Euro, die schwarz-gelbe Koalition gegen die rot-grüne Opposition. Nach vielen Gesprächsrunden und unzähligen zermürbenden Stunden sind die Hartz IV-Verhandlungen gescheitert. Schuld ist der jeweils andere. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht eine Neuregelung bei den Hartz IV-Sätzen gefordert bis Anfang dieses Jahres. Doch die Politik, der Gesetzgeber hat versagt, auf beiden Seiten, schreiben heute jedenfalls die meisten Kommentatoren. 5 Euro gegen 11 Euro, ging da wirklich nichts? – Die Sozialverbände haben nun die betroffenen Hartz IV-Empfänger aufgefordert, massenhaft zu klagen. Wieder geht Vertrauen in die politische Klasse verloren. – Am Telefon ist nun Kurt Beck (SPD), Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. Guten Morgen!

    Kurt Beck: Schönen guten Morgen!

    Müller: Herr Beck, jetzt können Sie den gordischen Knoten lösen und morgen im Bundesrat zustimmen. Werden Sie das tun?

    Beck: Ja wenn das so einfach wäre. Aber es ist leider nicht so einfach. Ich glaube, dass es eines neuen Anlaufes bedarf, dafür werde ich mich einsetzen. Aber es war auch so, dass ich zweimal Vorschläge gemacht habe, die mit der Opposition in Berlin abgestimmt waren, dass die Bundeskanzlerin die Spitzen der Länder und der Bundestagsfraktionen einlädt, dass wir gemeinsam einen Korridor abstecken und dann verhandeln. Die Kanzlerin hat sich geweigert, solche Gespräche zu führen, und sie sind dann auch prompt im Unterholz des politischen Streits kaputtgegangen. Ich finde, das ist in der Tat kein Ruhmesblatt. Aber ich will auch dazufügen: Eine der Hauptverantwortlichen ist Frau von der Leyen, die ihre Gesetzentwürfe erst im Herbst vorgelegt hat, trotz intensiver Bitte, das vor der Sommerpause zu tun. Wir wussten ja lange genug, dass wir zum 31. 12. eigentlich hätten handeln müssen, aber sie hat es nicht getan. Entweder sie wollte uns unter Druck setzen, oder es war Streit in der Koalition. Letztendlich war das verantwortlich für den Zeitdruck und für das Chaos, das wir jetzt hier haben.
    Und ein Zweites kommt hinzu: Die Berliner Koalition hat nie als solche verhandelt auf der anderen Seite des Tisches, sondern sie hat immer als unterschiedliche Parteien agiert, und das war wohl letztendlich dann für das Machtwort der Kanzlerin verantwortlich, lieber die Koalition zusammenhalten als einen Kompromiss finden. Ich finde, ganz schlimm.

    Müller: Herr Beck, wenn die Koalition nicht über ihren Schatten springen kann, dann könnten Sie das doch morgen tun.

    Beck: Ja ich könnte natürlich dann morgen mitbeschließen, dass wir unsere Kommunen über den Tisch ziehen, denn das ist ja in dem Paket mit drin. Da sollen zwar aus der sogenannten Grundsicherung im Alter Mittel gegeben werden; die sind aber schon mal zugesagt in der Arbeitsgruppe für den kommunalen Finanzrahmen, und insoweit: Das ist ein richtiger Betrugsversuch, der da gemacht wird und der Öffentlichkeit gegenüber, weil so kompliziert jetzt als Angebot dargestellt. Die Kommunen, egal ob schwarz oder rot, sind ja auch nicht damit einverstanden.

    Müller: Aber wenn wir das richtig verstanden haben, hat Ursula von der Leyen jetzt noch einmal nachgelegt und will die Kommunen und damit ja auch Sie, also auch die Bundesländer, mit Milliarden ködern. Stimmt das nicht?

    Beck: Ich habe kein Angebot auf dem Tisch und alles, was bisher auf dem Tisch ist, ist ein vergiftetes Paket. Wie gesagt, das sind schon mal zugesagte Gelder, die jetzt einfach für das Bildungspaket umgefipst werden. Damit haben die Kommunen zwei Aufgaben vom Bund übertragen, und eine davon ist nur gegenfinanziert. Das kann ich doch nicht machen, das ist doch keine Frage von good will, sondern schlicht und einfach eine Ungehörigkeit ersten Ranges. Dazu kommt noch, dass man von den Kommunen abpressen will, dass sie dann auf unterm Strich rund 10 Prozent der Gewerbesteuer verzichten als Einstieg in die Abschaffung der Gewerbesteuer. Also hinten und vorne nur vergiftete Köder!

    Müller: Könnte Frau von der Leyen Sie noch überzeugen bis morgen?

    Beck: Ich sehe das jederzeit, dass sie es könnte, wenn sie auf Kernpunkte dessen, was wir wollen und brauchen, eingeht. Wir brauchen ein anständiges Angebot - da kann man sicher einen Kompromiss finden zwischen fünf und elf Euro für die Betroffenen -, wir brauchen ein Bildungspaket, das auch die mittleren, die kleineren und mittleren Einkommen mit einbezieht, und wir brauchen eine ordentliche Gegenfinanzierung für die Kommunen. Wenn für das Bildungspaket eine eigenständige Gegenfinanzierung vom Bund kommt, dann können wir auch meinetwegen heute Nacht in Berlin noch mal verhandeln, das ist mir alles recht. Aber eine Art und Weise, uns Brocken hinzuschmeißen, die Öffentlichkeit richtig zu täuschen, man würde ja ordentlich finanzieren, und wenn man dann reinguckt, wenn man rechnet, sieht man, es ist schlicht und einfach der Versuch, einen über den Tisch zu ziehen, das ist keine Grundlage. Diese Bundesregierung handelt absolut unseriös. Sie merken, ich bin richtig engagiert und ärgerlich!

    Müller: Das freut uns heute Morgen im Deutschlandfunk, Herr Beck. Deswegen muss ich Sie noch mal fragen. Die Koalition wirft ja nun auch der Opposition vor, eben wie Beton aufgetreten zu sein. Kann da nicht was dran sein?

    Beck: Nein, da ist nichts dran. Wir haben beispielsweise uns einverstanden erklärt, dass wir sagen, die Gegenfinanzierung stellt ihr dar über einen halben Punkt Mehrwertsteuer, der in die Bundesagentur mal gegeben worden ist. Das war deshalb ein Riesenentgegenkommen, weil die Hälfte dieses Geldes ist Geld der Länder. Das ist ja fifty-fifty verteilt. Vier Milliarden wären das gewesen. Wenn die an die Kommunen gegangen wären, wären wir einverstanden gewesen und wir hätten 2 Milliarden mit auf den Tisch gelegt als Länder - nur als ein Beispiel. Es war angeboten worden ein Mobilitätszuschlag, statt einer Erhöhung des Hartz IV-Satzes. Dann hätte man aufeinander zugehen können. Also es gab viele Angebote und sie sind ziemlich harsch zurückgewiesen worden. Also ich will uns da nicht völlig freisprechen, irgendwann hat man auch mal die Nase voll. Aber wenn man versucht, einen ständig über den Tisch zu ziehen und öffentlich was anderes zu erzählen, als angeboten wird, dann muss man sagen, eine Regierung braucht eine Mehrheit und die Opposition muss sich nicht betrügen lassen und die Länder und die Kommunen müssen sich nicht über den Tisch ziehen lassen, nur um einen Kompromiss zu finden. Das ist schon Sache der Kanzlerin.

    Müller: Herr Beck, in der Öffentlichkeit, bei den Hartz IV-Empfängern, bleibt letztendlich, weil die Thematik auch so kompliziert ist, wohl der Eindruck, die Politik hat versagt, sie hat es nicht geschafft, dieses Problem zu lösen. Wie sehr schadet das Nein auch der SPD?

    Beck: Ich glaube, das schadet insgesamt der Politik und nährt diese sogenannte Politikverdrossenheit. Das ist gar keine Frage. Aber ich sage noch einmal: Wenn wir von vornherein das getan hätten, was wir angeboten haben, nämlich über einen Korridor zu verhandeln, und wenn nicht uns eine harte Linie "mit euch rede ich nicht!" begegnet wäre, dann hätten wir, glaube ich, einen Lösungsweg finden können in den Arbeitsgruppen. So waren die Arbeitsgruppen manchmal sehr weit und sind dann immer und regelmäßig von der Koalitionsseite zurückgepfiffen worden. Ich meine, die FDP strampelt wie ein Ertrinkender und sagt zu allem Nein, und dann erwartet man, dass jetzt SPD und Grüne zu allem, was die nicht wollen, dann Ja sagen. Dass man so nicht zusammenkommt, ist klar. Da wäre es Aufgabe der Regierungschefin gewesen, meinetwegen im Stillen und fünf Stunden nach Mitternacht zu reden und zu sagen, wie ist der Korridor, könnt ihr euch hier ein Stück bewegen und dort ein stück bewegen. Wir haben mal eine Riesensteuerreform unter Gerhard Schröders Zeiten so über die Mehrheiten gebracht, damals gab es andere Mehrheiten im Bundesrat, ich hatte eine Koalition mit der FDP, und wir haben das hingekriegt. Aber Sturheit und Parteitaktik allein auf Koalitionsseite, eine Koalition, die sich über nichts mehr einigen kann und dann nach außen so tut, als würde sie handeln, das ist keine gute Voraussetzung.

    Müller: Ist das wirklich aus Ihrer Sicht besser, Nein zu sagen, beim Nein zu bleiben, als den 5 Euro zuzustimmen?

    Beck: Ja die 5 Euro sollen ausgezahlt werden. Die sind ja nicht streitig. Es ist ja nur streitig, ein Paket darum herum zu schnüren. Und insoweit: die Bundesregierung kann – das behaupte ich – diese 5 Euro auszahlen. Das habe ich im Bundesrat auch schon mal angeboten. Ich biete es jetzt wieder an, damit sind wir sofort einverstanden, denn eine begünstigende Leistung kann man auch im Vorgriff auf eine gesetzliche Regelung durchaus auszahlen. Also die Leute müssten nicht betroffen sein. Wenn die Bundesregierung morgen sagt, Länder, teilt euren Kommunen mit, diese 5 Euro gibt es in jedem Fall, sagen wir ja und die Leute können ihr Geld kriegen, rückwirkend ab dem 1. Januar, wie es die Verfassungsrichter vorgeschrieben haben. Aber auch ein solches Signal kommt nicht. Man will alle unter Druck setzen und, ich muss sagen, regelrecht für die Ideologie dieser Koalition dann auch die betroffenen Menschen als Druckgeisel nehmen.

    Müller: Herr Beck, eine Frage habe ich noch. Sie haben viel telefoniert in den vergangenen Tagen, natürlich auch gestern.

    Beck: Ja, ja.

    Müller: Sind Sie sicher, dass die Front gegen Hartz IV steht?

    Beck: Wir sind alle so empört und unsere Kommunen machen auf uns Druck. Das ist für mich unmöglich. Also ich kann mir es in keiner Weise vorstellen, dass jemand sagt, dann machen wir das doch. Dafür ist wie gesagt zu viel Gift in den Ködern, die da ausgeworfen werden.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Beck: Danke auch! Tschüß!