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Kurze Beine, kurze Wege

Unter Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber wurden in Bayern ländliche Grundschulen reihenweise geschlossen. Mittlerweile hat sich der Trend umgekehrt: Kleinstschulen mit bis zu 26 Schülern in Klasse eins bis vier bleiben erhalten. Eine Herausforderung für die Lehrer, Gemeinden und Schulämter.

Von Susanne Lettenbauer | 17.02.2012
    "Wenn kleine Kinder schon so früh in den Bus steigen müssen, um woanders zur Schule zu gehen, dann wäre das schon schade, dann würde man an den Kindern sparen, was Deutschland doch nicht will, oder?"

    "Wir sind ein kleines nettes Dorf mit einem schönen See. Das ist eine ganz tolle Schule und das wäre sehr schade, wenn diese schöne Dorfschule geschlossen würde. Klar sind es wenig Schüler. Ich sag immer, wenn so eine Schule mal geschlossen ist, dann wird sie auch nicht mehr geöffnet."

    "Die Kinder werden mittlerweile so sehr gefordert, dass sie so halt vielleicht noch Kind sein können nebenbei und nicht gleich alles zack, zack, zack. Schwierig wird es dann, wenn sie in die nächsten Schulen kommen. Und da plötzlich untergehen unter 30 Schülern."

    Wo immer man in der 2500 Einwohner-Gemeinde Bad Bayersoien nachfragt: Die Grundschule gehört zu den ganz wichtigen Einrichtungen im Dorf. Vor einigen Jahren protestierte der gesamte Ort vehement gegen die Schließung - mit Erfolg. Ohne Grundschule wäre das oberbayerische Örtchen für Familien nicht attraktiv. Schon der demografisch bedingte Bevölkerungsrückgang in Bayerns ländlichem Raum sei sehr schwierig, sagt Bürgermeister Eberhard Steiner. Auch wenn sich die EU dagegen stemmt, für Steiner ist das sogenannte Einheimischenmodell, Grundstücke zu besonders günstigen Preisen anzubieten - die einzige Möglichkeit, junge Leute und damit auch Kinder im Dorf zu halten:

    "Wir haben Grundstücke hier. Wenn sie von Saulgrub kommen da ist ein Schild, dass die Gemeinde Baugrundstücke verkauft, vornehmlich an junge Familien. Auf der anderen Seite ist natürlich klar, über das Einheimischenmodell versuchen wir unsere jungen Leute hier zu halten. Wir sind jetzt gerade wieder dabei, ein neues Einheimischenmodell auszuweisen."

    Sieben Minischulen gibt es in Bayern: Grundschulen mit weniger als 40 Schülern. In der Oberpfalz, in Oberbayern, in Unterfranken. "Kurze Beine, kurze Wege" lautet die Parole von Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle. Soll heißen: Alle Grundschulen mit mindestens 26 Schülern insgesamt bleiben künftig erhalten.

    Der Unterricht läuft in jahrgangskombinierten Klassen ab, Erst- und Zweitklässer sitzen in einem Raum, ebenso die Dritt- und Viertklässler. Mittlerweile gäbe es in ihrem Zuständigkeitsbezirk sogar einen Fall, in der die zweite und dritte Klasse gemeinsam lernen, erklärt die Schulrätin Karin Reichelmeier im Schulamt Garmisch-Partenkirchen:

    "Wenn wir den demografischen Wandel anschauen, haben wir einen Schülerrückgang zu verzeichnen. Deshalb wird es immer mal wieder der Fall sein, dass an einer Schule eine jahrgangskombinierte Klasse gebildet wird, damit wir die Schule vor Ort halten können."

    An der Zwergschule von Bad Bayersoien ist gerade Pause. Die Kinder laufen zwischen den alten Obstbäumen hin und her, in Sichtweite liegt der See mit dem Wald. Hinterher geht's wieder in den Klassenraum. An seiner alten Schule in München sei das anders gewesen, sagt Jonathan, dessen Familie vor kurzem nach Bad Bayersoien zog:

    "Besser wie an so einer Riesenschule. Denn da rennen so viele und die haben alle immer geschubst und das war nicht so gut. Hier ist es ein bisschen schöner, weil die Schule so klein ist. In München waren es 800 Schüler und 24 Schüler in der Klasse."

    Dass er als Zweitklässler jetzt in einem Klassenzimmer sitzt mit Erstklässlern, macht dem Jungen nichts aus:

    "Das macht einfach mehr Spaß. Da kann man mit den Erstklässlern arbeiten, da kann man schauen, was die machen."

    "Also ich finde es ganz nett, da macht es mehr Spaß, da kann man mehr machen."

    Sagt auch sein Mitschüler Jonas. Sarah erklärt indes das Prinzip des Zusammenlernens:

    "Manchmal gibt sie uns eine Arbeit und dann schreiben wir oder machen Mathe, und dabei macht sie die erste Klasse. Aber manchmal machen wir auch Aufgaben zusammen. Manchmal kriegt die erste Klasse was auf und dann die zweite."

    "Mein Schreibtisch ist voll in der Klasse."

    Gibt Schulleiterin Angela Neißendorfer zu.

    "Ich habe da meine großen Unterrichtsvorbereitungsordner. Je nachdem, wenn wir mit Buch arbeiten, vor allem in Mathe, dann liegen immer zwei Bücher auf dem Tisch."

    Neißendorfer arbeitet seit 22 Jahren als Lehrerin in Bad Bayersoien, unterrichtet die dritte und vierte Klasse. Ihre einzige Kollegin einen Stock tiefer hat die Kleinen. Zweimal die Woche kommen Fachlehrer für Religion und HSU - Handwerk und Sachunterricht.

    Wie man jahrgangskombiniert arbeitet, habe ihr nie jemand gezeigt, bedauert Neißendorfer. Extra Unterrichtsmaterial wird erst jetzt langsam von Schulverlagen entwickelt. Ab 2014 soll es aber einen speziellen Lehrplan für Kombiklassen geben, heißt es aus dem Kultusministerium. Bis dahin behelfen sich die Kombilehrer im Landkreis mit einer eigenen Arbeitsgruppe. Noch ist es schwierig junge Lehrer für den Kombiunterricht zu begeistern, aber wenn die Entwicklung so weitergeht, dann dürfte das bald Lehrstoff an den Universitäten werden.