Samstag, 20. April 2024

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Kusch: Selbstmord ist Grundrecht eines jeden Menschen

Der Vorsitzende des Vereins "Dr. Roger Kusch Sterbehilfe e. V.", Roger Kusch, hat die Sterbebegleitung für eine 79-jährige Rentnerin verteidigt. Es sei ihr Wunsch gewesen, mit ihrem Tod "die deutsche Öffentlichkeit etwas wachrütteln zu können". Der Sterbewunsch sei ein legitimer Wunsch eines jeden freien Menschen und keineswegs ein Zeichen von Hilflosigkeit. Das Problem liege vor allem darin, dass das deutsche Standesrecht Ärzten verbiete, Sterbehilfe zu leisten, fügte Kusch hinzu.

Moderation: Sandra Schulz | 03.07.2008
    Sandra Schulz: Die politische Diskussion über die Sterbehilfe ist voll entbrannt. Auslöser war ein Video, das der frühere Hamburger Justizsenator Roger Kusch am Montag Journalisten vorgeführt hat. Zu einer kleinen Präsentation hatte er geladen. Zu sehen war die 79-jährige Bettina S, die jetzt tot ist. Sie hat sich in ihrer Wohnung in Würzburg das Leben genommen mit einem tödlichen Medikamenten-Cocktail. Dabei hat sie Roger Kusch unterstützt, der Vorsitzende des Vereins "Dr. Roger Kusch Sterbehilfe e. V." und ihn begrüße ich nun am Telefon. Guten Morgen!

    Roger Kusch: Guten Morgen Frau Schulz.

    Schulz: Herr Kusch, um wen ging es eigentlich? Um Frau S. oder um Sie?

    Kusch: Die Frage verstehe ich nicht ganz. Natürlich ging es ausschließlich um Frau Schardt. Sie erlauben, dass ich den Namen voll nenne, denn sie hat mich dazu autorisiert und deshalb brauche ich das nicht abzukürzen.

    Kusch: Warum haben Sie den Tod denn zu einem öffentlichen Akt gemacht?

    Kusch: Diesen Tod habe nicht ich zu einem öffentlichen Akt gemacht, sondern er ist ein öffentlicher Akt und ich war mir mit Frau Schardt in vielen Gesprächen einig, dass die Situation in Deutschland höchst unbefriedigend ist. Es war ihr eine gewisse Freude, neben ihrem eigenen Wunsch zu sterben noch als eine Art Begleiteffekt vielleicht die deutsche Öffentlichkeit etwas wachrütteln zu können.

    Schulz: Es wird jetzt diskutiert über eine Verschärfung des Strafrechts, eben mit dem Ziel, Sterbehilfe zu behindern, einzuschränken. War der Vorstoß also kontraproduktiv?

    Kusch: Nein. Diese Diskussion, die jetzt entbrannt ist, ist Zeichen der Hilflosigkeit, denn erstens geht es gar nicht darum, so wie sich das einige vorstellen, irgendetwas zu bestrafen. Suizid ist in Deutschland, ist in einer freien Gesellschaft ein Grundrecht eines jeden Menschen. Da kann niemand kommen und das unter Strafe stellen. Und der Versuch, Sterbehilfeorganisationen jetzt mit dem neuen Gesetzentwurf unter Strafe zu stellen, ist zum Scheitern verurteilt. Der bisher vorliegende Entwurf jedenfalls ist eklatant verfassungswidrig. Der wird nie im Bundesgesetzblatt stehen.

    Schulz: Sie sagen, Sie wollen die Öffentlichkeit wachrütteln. Bildet die Debatte, so wie sie jetzt geführt wird, denn ab, dass Ihnen das gelungen ist?

    Kusch: Das allerdings muss ich Ihnen zugeben kann ich erst in einiger Zeit wissen, ob die Debatte in die richtige Richtung gegangen ist. Jedenfalls ein Symbol der richtigen Richtung der Debatte habe ich in dem E-Mail-Postfach unseres Vereins. Es haben sich eine große Zahl von Menschen an uns gewandt mit unterschiedlichsten Anliegen - überwiegend Zustimmung zu dem Vorgehen - und damit ist es gelungen, Menschen, die sich mit dem Thema Sterbehilfe, mit dem Thema wie kann ich selbst in Würde sterben beschäftigen, eine Alternative zu bieten zu der Meinung - übrigens der falschen Meinung -, man müsse zum Sterben nach Zürich fahren.

    Schulz: Sie bringen das Stichwort, "Sterben in Würde zu ermöglichen". Das ist der Anspruch Ihres Vereins. Ist Ihnen das denn gelungen im Fall der Frau Schardt?

    Kusch: Ja, und zwar was man im Leben ja wirklich selten kann zu 100 Prozent.

    Schulz: Das müssen Sie erklären. Frau Schardt war nicht krank. Der Grund, warum sie sterben wollte - so ist es in der Aufzeichnung zu sehen -, war, dass sie sich davor fürchtete, in ein Pflegeheim zu kommen. Wenn Sie Frau Schardt helfen wollten, warum hatten Sie dann keine anderen Möglichkeiten? Warum konnten Sie nicht für psychologischen Beistand sorgen, sie finanziell unterstützen oder mit Ihrem Einfluss vielleicht auch andere Hilfsschritte ergreifen?

    Kusch: Beispielsweise Ihre Frage nach dem Finanziellen stellte sich gar nicht. Frau Schardt war vermögend genug, die Ziele, die sie erreichen wollte, mit dem Geld, das sie hatte, auch zu erreichen. Sie hätte beispielsweise auch das Geld gehabt, nach Zürich zu fahren. Nein! Frau Schardt hat sich zu einem Zeitpunkt an mich gewandt, als ihr Entschluss bereits feststand, sterben zu wollen und das Leben mit den enormen Belastungen, das es tagtäglich für sie bedeutete, nicht mehr weiter zu ertragen. Als Frau Schardt - das war der 8. April dieses Jahres - sich in einer E-Mail an mich wandte, stand der Entschluss fest. Und wenn ich mich so verhalten hätte wie jetzt all diejenigen, die relativ heuchlerisch ihre Meinung zum besten geben, es von mir erwarten würden, hätte Frau Schardt vermutlich den Kontakt ganz schnell zu mir wieder abgebrochen, denn der Unterschied meiner Einstellung zum Sterbewunsch eines anderen Menschen zu dem, was ich jetzt so viel höre und lese, besteht ganz einfach darin, dass ich den Mitmenschen, also auch Frau Schardt, voll und ganz ernst nehme. Der Sterbewunsch ist ein prinzipiell legitimer Wunsch eines jeden freien Menschen und keineswegs, wie viele jetzt behaupten, ein Zeichen von Hilflosigkeit oder gar Krankheit.

    Schulz: Gleichzeitig sprechen Sie, Herr Kusch, von "grauenvollen panischen Horrorvisionen der Einsamkeit in einem Pflegeheim". Schüren Sie mit solchen Formulierungen nicht auch Ängste?

    Kusch: Sorge vor dem Pflegeheim, da brauche ich keine Ängste zu schüren. Die sind bei alten Menschen weit verbreitet - und zwar übrigens weniger unbedingt wegen der Zustände im Pflegeheim. Es mag gute und schlechte Pflegeheime geben. Aber nein: Es geht auch um die Situation der Pflegebedürftigkeit, die als solche als Horror empfunden wird. Frau Schardt war ein außerordentlich willensstarker Mensch, der sehr darauf achtete, dass das Leben sich in den Bahnen abspielt, die sie sich vorstellt. Die Horrorvision war nicht das Pflegeheim als Institution, sondern sie hatte mir das in verschiedenen Formulierungen und bei verschiedenen Gesprächen gesagt. Die Vorstellung, dass nunmehr ihr Leben von Fremden bestimmt wird, dass sie in irgendeinem Bett liegt, eine Schwester mit mildem Lächeln kommt und sie morgens fragt, wie es ihr geht, diese Vorstellung war für sie grauenvoll, weil sie ihr Leben, wann wer ihr Zimmer betritt, selber regeln wollte. Und das wollte sie nicht.

    Schulz: Herr Kusch, bleiben wir bei der Arbeit Ihres Vereins. Ludwig Minelli, der Gründer des Schweizer Vereins "Dignitas", fordert kundige Hilfe beim Suizid. Womit haben Sie sich dafür eigentlich qualifiziert? Mit Ihren juristischen Staatsexamina?

    Kusch: Ja. Mit Ihrer Frage sprechen Sie ein Problem an, das leider aber nicht in meiner Person liegt, sondern im Standesrecht der Bundesärztekammer. Es ist ein unhaltbarer, wirklich ein geradezu unmenschlicher Zustand, dass nach den Standesregeln des deutschen Standesrechts Ärzte nicht beim Suizid helfen dürfen. So bleibt überhaupt nichts anderes übrig, als dass jemand wie ich, der kein Arzt ist, diesen Part übernimmt. Ich habe mich bemüht, mit größter Sorgfalt die medizinischen Kenntnisse, das medizinische Wissen so zu bündeln, im Übrigen Frau Schardt auch mit Ärzten in Kontakt zu bringen. Es war nicht so, dass nur ich mit Frau Schardt Kontakt gehabt hätte; es waren auch approbierte Ärzte bei ihr in der Wohnung. Deshalb war die Rolle, die ich dann übernommen hatte, mit den Fähigkeiten, nämlich zunächst mal einem juristischen Staatsexamen und leider keinem medizinischen, für mich schwierig, aber ich habe mich bemüht, diese Schwierigkeiten zu meistern.

    Schulz: Sie werden selbst von Befürwortern der Ausweitung der Sterbehilfe kritisiert, so die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben. Sie moniert, dass die Medikamente, die Sie verwendet hätten, so wörtlich "keinen so zügigen Suizid ermöglichten, wie dies in der Schweiz mit Natrium-Pentobarbital möglich sei". Stellen Sie damit Ihr Anliegen nicht selbst in Frage?

    Kusch: Bei Kritik höre ich dann sehr sorgfältig zu, wenn der Kritiker eine gewisse Überzeugungskraft hat. Die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben ist ein bedauerlicher kläglicher Papiertigerverein. Seit Jahrzehnten schreiben diese Leute Papier voll und es ist nichts passiert. Zigtausend Mitglieder dieser Organisation zahlen jährlich ihren Mitgliedsbeitrag in der Hoffnung, irgendwie irgendwann mal Hilfe von diesen Leuten zu bekommen. Und was ist Frau Schardt passiert, als sie bei der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben anrief? Irgendein Mitarbeiter sagte ihr ja, man munkele, auch in Würzburg gäbe es Ärzte, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Auf die Frage, ob sie vielleicht freundlicherweise die Telefonnummer dieser Ärzte geben könnten, wurde ihr geantwortet "nein, das sei natürlich leider nicht möglich". Die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben ist wirklich ein bedauerlicher Verein.

    Schulz: Roger Kusch, der Vorsitzende des Vereins "Dr. Roger Kusch Sterbehilfe e. V.", heute Morgen im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Vielen Dank.