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"Kyrill" trifft ganz Deutschland

Sturmtief "Kyrill" ist in seiner Stärke und Größe eine meteorologische Besonderheit. "Sicherlich kommt so ein Ereignis nur alle vielleicht zehn Jahre mal vor", sagte Meteorologe Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst. Von solch einem einzelnen Orkan könne man keine Rückschlüsse auf den Klimawandel ziehen.

Moderation: Silvia Engels | 18.01.2007
    Silvia Engels: Den Namen "Kyrill" haben die Meteorologen dem derzeit über Deutschland tobenden Sturmtief gegeben. Doch die Folgen der Böen, die stellenweise über 100 Stundenkilometer erreichen sollen, sind alles andere als klangvoll. Entwurzelte Bäume, voll gelaufene Keller, Schäden an Häusern und Autos werden befürchtet, zum Teil bereits gemeldet. An der Nordseeküste droht eine Sturmflut.

    Am Telefon ist nun Andreas Friedrich. Er ist Meteorologe des Deutschen Wetterdienstes in Offenbach. Guten Tag, Herr Friedrich!

    Andreas Friedrich: Ja, hallo! Ich grüße Sie.

    Engels: Können Sie nun, nachdem der Sturm begonnen hat, genauer sagen, wie stark er werden wird und welche Regionen besonders getroffen werden?

    Friedrich: Ja, wir können das praktisch aktuell live verfolgen. Wir kriegen ja auch von den ausländischen Wetterdiensten die aktuellen Windmeldungen, und ich habe mir gerade mal die neuesten Meldungen, die wir schon von 12 Uhr hereinbekommen haben, angeschaut. Momentan ist die stärkste Windgeschwindigkeit von "Kyrill" etwa im Ärmelkanal zwischen Belgien und Südengland. Dort haben wir schon mehr als Orkanstärke. Eine Station meldete um 12 Uhr eine Spitzengeschwindigkeit von 137 Stundenkilometern. In den Niederungen in Deutschland haben wir im Moment schon zweistellige Windgeschwindigkeiten, in der Spitze im Raum Trier.

    Also im ganzen Westen von Deutschland geht es jetzt langsam über 100 Stundenkilometer. Noch heftiger ist es natürlich auf den Berggipfeln. Dort haben wir im Moment schon schwere Orkanböen, zum Beispiel auf dem Brocken mit 158 Stundenkilometern oder auf dem Feldberg im Schwarzwald. Es geht aber erst dem Höhepunkt entgegen, wie es auch schon andere Wetterexperten gesagt haben. Auch wir erwarten die größten Windgeschwindigkeiten von "Kyrill" am Nachmittag. Es wird im Nordwesten jetzt zunächst mal mit orkanartigen und sogar Orkanböen weitergehen. Die Spitzengeschwindigkeiten im größten Teil Deutschlands erwarten wir dann in den Abendstunden. Dort kann es wie gesagt auch im Flachland zu Orkanböen kommen. Das bedeutet mehr als 115 Stundenkilometer.

    Wir haben flächendeckend, auch das ist eine praktisch einmalige Geschichte, für ganz Deutschland Unwetterwarnungen. Das ist auch das Besondere an diesem Orkan "Kyrill". Er deckt ganz Deutschland ab. Innerhalb dieses Orkanfeldes wie gesagt erwarten wir noch extreme Orkanböen auf allen Bergregionen, das bedeutet im Mittelgebirgsraum sowohl im Schwarzwald wie auch ab den Abendstunden im Alpenraum. Dort sollen wirklich Spitzengeschwindigkeiten bis an 180 Stundenkilometer erwartet werden.

    Engels: Sie haben schon gesagt, das ist etwas Einmaliges, dass Sturmwarnungen für das gesamte Bundesgebiet herausgegeben werden. Ist das denn möglicherweise auch eine Reaktion - nach dem Orkan Lothar 1999 gab es Kritik an unzureichenden Warnungen des Deutschen Wetterdienstes -, dass Sie jetzt flächendeckender und vielleicht auch früher warnen, oder ist dieser Sturm wirklich ein Sonderereignis?

    Friedrich: Nein. Man kann das meteorologisch nicht mit diesem Orkan Lothar vergleichen. Lothar war ein sehr engräumiges Sturm- und Orkanfeld, was sehr schnell über Teile von Deutschland hinwegzog. Damals war der Süden von Deutschland betroffen, schwerpunktmäßig der Schwarzwald, der Südwesten, während es im Norden Deutschlands überhaupt keine Schäden gab. Damals war es wirklich von der Unwetterlage nur ein kleiner Teil, und für kurze Stunden waren die Teile von Deutschland betroffen. Hier haben wir einen wirklich riesigen Orkan, der schon vor Tagen von unseren Wettervorhersagemodellen sehr genau prognostiziert war, auch was die Stärke angeht, und damit waren wir wirklich diesmal in der Lage, so frühzeitig schon mit Unwettervorwarnungen über zwei Tage vorher die Bevölkerung und alle Rettungsorganisationen darauf hinzuweisen. Hier haben wir wirklich eine andere meteorologische Situation als bei diesem Orkan Lothar.

    Engels: Ist solch ein Sturm denn noch im normalen Mittelwert, oder doch eine Folge des Klimawandels, wie jetzt die ersten Experten sagen?

    Friedrich: Ob das eine Folge des Klimawandels ist, das kann man an einem einzelnen Ereignis nicht festmachen. Erst wenn sich so etwas statistisch häuft, dann kann man das sicherlich mit Änderungen im Klima zusammenbringen. Man kann einfach sagen, dass dieses Ereignis schon ein sehr seltenes ist: einmal von der Größe des Orkanfeldes, aber auch von der Stärke. Sicherlich kommt so ein Ereignis nur alle vielleicht zehn Jahre mal vor. Wie gesagt 1999 Lothar war in kleineren Regionen Deutschlands so ein Orkan, der mit Spitzengeschwindigkeiten von über 200 Stundenkilometern Verwüstungen anrichtete. Also es ist schon ein sehr seltenes und besonderes Ereignis, dieser Orkan.

    Engels: Andreas Friedrich, Meteorologe des Deutschen Wetterdienstes in Offenbach. Ich bedanke mich für das Gespräch.