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„La Pastorale“ an der Oper Bonn
Ballett mit Sexappeal

Die Tanzwelt hat Beethovens 6. Sinfonie für sich entdeckt. Der französische Choreograf Thierry Malandain wurde zum Beethoven-Jahr damit beauftragt, die 1808 entstandene "Pastorale" zu vertanzen. Er kombiniert das musikalische Natur-Paradies mit einer düsteren Rahmenhandlung.

Von Nicole Strecker | 23.12.2019
"La Pastorale" - Das Ballett zum Beethoven-Jahr des Malandain Ballet Biarritz in Bonn
Viel süße Seligkeit in "La Pastorale", dem Ballett zum Beethoven-Jahr des Malandain Ballet Biarritz in Bonn (Theater Bonn / © Olivier Houeix)
Wer so sehr für die Freiheit kämpft wie Beethoven, der muss wohl im Käfig sitzen. Es hat also eine gewisse Logik, dass Bühnenbildner Jorge Gallardo den Raum mit einem Metallgitter verstellt. Lauter Ballettstangen, die die Tanzfläche in geometrische Quadrate unterteilen. Eine sperrige Begrenzung für einen Ballettabend, aber optisch effektvoll.
Hier stürmen nun die Tänzer gegen ihr Gefängnis an, in den hochgeschlossenen schwarzen Brokat-Kleidern von Höflingen. Sie ziehen sich an den Stangen hoch, werfen die Körper gegen sie, baumeln über ihnen wie Leichen, umschmiegen sie aber auch schon mal wie Poledancer - tänzerisch holt Choreograf Thierry Malandain alles aus seinem Bühnenbild heraus. Zeitgenössisches Ballett mit Sexappeal, man hat es bei einer Kompanie aus Frankreich nicht anders erwartet. Und dazu eine ziemlich exzentrische Musikauswahl: Chorgesänge aus einem der skurrilsten Werke Beethovens: "Die Ruinen von Athen".
Die "Ruinen von Athen" als düstere Rahmenhandlung
Nach einem Libretto von August von Kotzebue komponierte Beethoven das Festspiel für die Eröffnung eines Theaters im heutigen Budapest. Ein ziemlich wirres Geschehen, in dem erst der Zustand der Welt beklagt und dann im neu gebauten Musentempel das antike Ideal gefeiert wird. Von diesem Handlungsverlauf hat sich Choreograf Thierry Malandain vage inspirieren lassen. Die "Ruinen von Athen" sind für ihn eine düstere Rahmenhandlung, um dann zur eigentlichen Musik des Abends zu kommen, zu Beethovens "Pastorale".
So viel süße Seligkeit - es gibt wohl kaum Schwierigeres für einen Choreografen als 45 Minuten Harmonie. Man kann also gut verstehen, dass Malandain vorab ein Reich der Finsternis gebraucht hat. Tatsächlich sind die ersten fünfzehn Minuten choreografisch die aufregendsten des Abends. Dann folgt das Paradies: Tänzer in knappen weißen Tuniken posieren wie hellenistische Götter. Sie zeigen viel nacktes, hohes Bein, imitieren die Körperhaltungen von griechischen Vasen. Und weil das nicht zum ersten Mal in der Tanzgeschichte geschieht, denkt man an diesem Abend immer auch die Götter der Sparte mit: Isadora Duncans weltentrücktes Schweben im Mädchenreigen. Vaslav Nijinskys faunisches Halbprofil, die eckig abgeklappten Hände und gebeugten Knie. Auch Georges Balanchines neoklassischer "Apollon musagète" tanzt mit in der wiederkehrenden Formation eines Heroen mit drei Musen.
Einlullendes Schäferspielchen
Das ist betörend schön, zumal wenn es eine so attraktive Kompanie wie das "Malandain Ballet Biarritz" tanzt. Die zeigt sich hier nicht mit gestählten Spitzentanz-Athletinnen, sondern zelebriert auf weicher halber Spitze die Anmut als Ausdruck von Freiheit und der Verschmelzung von Sinnlichkeit und Intellekt - ganz im Sinn von einem anderen Kenner der Antike, Friedrich Schiller.
Für seinen feinnervigen Umgang mit Musik ist Choreograf Thierry Malandain bekannt. Und natürlich ist der Franzose zu ironisch, um sein Elysium im Pathos zu ertränken. So kriechen in einer Szene auch mal drei Tänzer mit Schneckengehäusen über die Bühne - statt Beethovens Waldvögelchen also Weichtiere, und vermutlich darf man darin auch eine Anspielung auf die Gehörschnecke des tauben Titans sehen. Trotz solcher Gags lullt das Schäferspielchen auf Dauer ein, es fehlen die ästhetischen Brüche in Arkadien. Und auch wenn man Malandains choreografische Fantasie bewundert: Das Ende ist nun wirklich überflüssig, wenn er ans Beethoven-Medley eine weitere Komposition hängt, einen Auszug aus "Meeresstille und glückliche Fahrt". Alle Lust will Ewigkeit - aber vielleicht doch nicht auf einer Ballettbühne.