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Lachen über die Kulturrevolution

"Dem Volke dienen" - diese Kapitelüberschrift aus der sogenannten Mao-Bibel wurde zu einer Losung im kommunistischen Kampf. Vierzig Jahre sind vergangen, seit die Mao-Bibel zusammengestellt wurde, Mao selbst ist seit gut dreißig Jahren tot. Zeit, die alten Sprüche ironisch aufs Korn zu nehmen, dachte sich der Autor Yan Lianke. Er nennt seinen Roman ebenfalls "Dem Volke dienen", deutet das Dienen darin aber ein wenig um.

Von Katharina Borchardt | 21.11.2007
    Als Wu Dawang zum ersten Mal Liu Lians Schlafzimmer betritt, bleibt ihm die Luft weg: Liu Lian sitzt auf der Bettkante und trägt nichts außer einem durchscheinenden Nachthemd. In der Hand allerdings hält sie - moralisch scheinbar unanfechtbar - die "Ausgewählten Werke" von Mao Zedong, eine Art Liebestöter. Wu Dawang weiß nicht, was er tun soll. Er ist schließlich nur ein einfacher Soldat, der im Hause seines Divisionskommandeurs Dienst tut, und Liu Lian ist dessen Ehefrau. Während Wus Kameraden draußen exerzieren und die Losungen der Kulturrevolution skandieren, ist er nur dafür zuständig, Küche und Garten seines Kommandeurs in Ordnung zu halten. Von dessen Frau aber hat er sich fernzuhalten. Dies schärft ihm der Kommandeur deutlich ein, als er zu längeren Beratungen nach Peking gerufen wird. Der brave Wu käme gar nicht darauf, sich der Anweisung seines Kommandeurs zu widersetzten. Deshalb wird ihm mulmig, als Liu Lian ihn in ihr Schlafzimmer im ersten Stock des Hauses ruft:

    Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Es war das erste Mal in seinem Leben, dass Wu Dawang eine Frau im Nachthemd zu Gesicht bekam, noch dazu eine Frau, die einen so betörenden Osmathusblütenduft verströmte, einen Duft, der unter dem bewussten Nachthemd seinen Ursprung hatte und sich langsam im ganzen Zimmer ausbreitete.

    Nur mit Mühe gelingt es dem jungen Wu seiner - Zitat - "hochgradig unvernünftigen bourgeoisen Anfechtungen Herr zu werden" und seine Erregung zu unterdrücken. Fluchtartig verlässt er den Raum. Doch Liu Lian lässt nicht locker: Immer wieder ruft sie ihn unter allerlei Vorwänden ins Obergeschoss - und zwar indem sie eine Holztafel mit der Aufschrift "Dem Volke dienen" auf die unterste Treppenstufe legt. "Dem Volke dienen" ist eine der bekanntesten Losungen Mao Zedongs und stand in den sechziger, siebziger Jahren auf Plakaten und Hauswänden, auf Ansteckern - und eben auch auf Holztäfelchen. Fast blasphemisch mutet es also an, dass Yan Lianke diese Parole zum Titel seines neuen Romans machte. Schließlich wird sie für den braven Soldaten Wu Dawang zum erotischen Befehl. Man kann es sich denken: Es dauert nicht lange, da entbrennt ein hemmungsloses Verhältnis zwischen Wu und Liu. Sie treiben es so wild, dass sie im Rausch sogar die heiligen Mao-Porträts zerfetzen, die im Schlafzimmer hängen, und eine Mao-Statue zerschmettern. Ein Befreiungsschlag gegen die kommunistische Prüderie im Leben und in der Literatur, sagt der Sinologe Ulrich Kautz. Er hat das Buch übersetzt:

    " Wir dürfen ja nicht vergessen, dass es in der chinesischen Literatur schon seit Jahrhunderten eine ganz hoch entwickelte und sehr differenzierte Tradition erotischer Literatur gibt. Die ist natürlich 1949 mit Gründung der Volksrepublik ganz rigide unterbrochen worden. Aber seit Anfang der 80er Jahre und verstärkt seit den 90er Jahren ist diese Tradition der erotischen Literatur wieder aufgelebt. Das ist ein gewisser Nachholbedarf, der da Ausdruck findet "

    Deshalb wird Sex in der chinesischen Literatur augenblicklich ziemlich klar, manchmal überdeutlich, beim Namen genannt. Das wirkt zuweilen ein bisschen platt, ist in dem Roman "Dem Volke dienen" aber doch vorwiegend ziemlich witzig gelungen: Die berühmte Mao-Losung wird immer wieder ins Feld geführt, und mit jeder Wiederholung wirkt sie abstruser. Eine schöne Persiflage auf den real existierenden Zwang, Parolen nachzuplappern - und von Ulrich Kautz gekonnt übersetzt. In China selbst aber wurde der Roman, der zuerst in einer Zeitschrift erschien, ziemlich schnell aus dem Verkehr gezogen. Ulrich Kautz:

    " Kurz nach Erscheinen in dieser Zeitschrift Anfang 2005 hat die Propagandaabteilung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei einen Ukas herausgegeben, der den Inhalt hatte, dass dieses Buch zu verbieten ist und dass auch der weitere Vertrieb dieser Zeitschrift im ganzen Land untersagt ist. Man hat also gesagt, es darf nicht kritisiert werden, es darf nicht besprochen werden, es darf nicht in Auszügen veröffentlicht werden, es darf überhaupt nicht darüber berichtet werden. Und man hat zur Begründung angefügt, dass darin Mao Zedong und sein edler Gedanke "Dem Volke dienen" herabgewürdigt würden, dass die Volksarmee herabgewürdigt würde, dass die Revolution und überhaupt die ganze chinesische Politik herabgewürdigt würden und dass die Gedanken der Menschen in eine falsche Richtung damit gelenkt würden. "

    Da passt die Kommunistische Partei bis heute auf. Dass Liu Lian Wu Dawang gegenüber immer wieder ihre Machtposition als Höhergestellte ausspielt, ihn anfangs fast zum Sex zwingt, ihn herumkommandiert und schließlich stehen lässt, hat die Partei offensichtlich nicht nachdenklich gemacht. Die Grenzen der Gleichheit der Menschen in der Volksrepublik hat Yan Lianke mit seinen beiden Hauptfiguren klar umrissen. Liu Lian bleibt immer die Mächtige, Wu Dawang immer der Untergebene. Die Charaktere der beiden Figuren selbst gestaltet Yan Lianke allerdings wenig tiefgründig. Darin lebt die Pflicht zum sozialistischen Realismus weiter, die so lange geherrscht hat, meint der Übersetzer Ulrich Kautz:

    " Yan Lianke ist eigentlich ein sehr traditioneller Schriftsteller, würde ich sagen. Also, er hat keinen zumindest in diesem Werk keinen so sehr ausgeprägten Individualstil. Das steht alles noch in der realistischen Tradition, die ja in der Volksrepublik bis in die jüngste Vergangenheit noch dominierte. "

    "Dem Volke dienen" ist daher ein Buch seiner Zeit: Es dokumentiert den Drang, das maoistisch-kommunistische Korsett zu sprengen, doch noch ohne genau zu wissen, was man an dessen Stelle setzen möchte: Individualismus und Liebesfähigkeit sind im Roman noch wenig ausgeprägt, und von einem neuen Gesellschaftsentwurf ist überhaupt nicht die Rede. Was aber schon da ist, ist ein großer Witz. Lachen über die Kulturrevolution - das ist doch mal ein erleichternder Zugang zu dieser zerstörerischen Periode der chinesischen Geschichte.