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Lafontaine: "Politik ist kein Kindergarten"

Er habe kein Verständnis dafür, dass manche Sozialdemokraten mit ihm nicht zusammenarbeiten wollten, sagt Oskar Lafontaine, Fraktionsvorsitzender Die Linke im saarländischen Landtag. Er selbst würde seine Befindlichkeiten gegen führende Sozialdemokraten zurückstellen, um Themen wie Mindestlohn und eine verbesserte Rentenformel zu ermöglichen.

Oskar Lafontaine im Gespräch mit Christoph Heinemann | 31.08.2012
    Christoph Heinemann: Die Linke soll sich nach dem Willen ihrer Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger im Bundestagswahlkampf 2013 die Möglichkeit als Regierungspartei offenhalten. Die Bedingungen haben die beiden auf Seite 6 eines neun DIN-A4-Blätter umfassenden Papiers formuliert. Die Partei sei zur Beteiligung an einer Linksregierung bereit, sofern diese erstens Reichtum couragiert besteuert, zweitens sicherstelle, dass kein Mensch unter 1000 Euro im Monat fällt und drittens eine friedliche Außenpolitik betreibe, wozu ein sofortiger Stopp von Rüstungsexporten und die Ablehnung von Militäreinsätzen im Ausland gehöre. Auf Seite 7 wird eine unglaubwürdige und ängstliche SPD beschrieben, die in die Große Koalition strebe. Blättert man weiter, erfährt man, dass die Grünen die Westentaschenreserve von Kanzlerin Merkel sind – wie gesagt aus Sicht der beiden Vorsitzenden der Linkspartei, die in den alten Bundesländern zuletzt krachende Niederlagen eingefahren haben.

    - Ausnahme Saarland, und jetzt kann man die Konjunktion "denn" einfügen. Der Fraktionschef der Linken im Landtag von Saarbrücken heißt Oskar Lafontaine. Guten Morgen!

    Oskar Lafontaine: Guten Morgen.

    Heinemann: Sind die beschriebenen drei die Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei?

    Lafontaine: Das sind wesentliche Bedingungen. Wir wollen ja nicht in erster Linie ein Ministeramt erreichen, sondern wir wollen einen Politikwechsel erreichen und ein gerechtes Steuersystem. Stichwort Reichensteuer, müsste in der jetzigen Situation, wo Milliarden verbraten werden, um Banken zu retten und deren Kunden zu retten, doch eine pure Selbstverständlichkeit sein. Wir haben natürlich Gründe. Wir zweifeln, dass die SPD hier irgendetwas Vernünftiges im Sinne hat, weil einer der vorgesehenen Kanzlerkandidaten, Frank-Walter Steinmeier, schon bei der letzten Wahl zur Bedingung gemacht hat, dass die Vermögenssteuer nicht in der Regierung realisiert wird.

    Heinemann: Herr Lafontaine, die Reichensteuer ist ja in den drei Punkten enthalten. Noch mal die Frage: Sind das die drei Punkte für eine Regierungsbeteiligung?

    Lafontaine: Das sind drei Punkte, aber ...

    Heinemann: Nein die drei Punkte, nicht irgendwelche, sondern die entscheidenden drei Punkte!

    Lafontaine: Es gibt noch entscheidende Punkte, beispielsweise der gesetzliche Mindestlohn. Es dürfte doch klar sein: Wenn acht Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland nicht mehr anständig bezahlt werden – und mit Schuld daran ist die SPD, die wir jetzt seit Jahren versuchen, dazu zu bewegen, im Bundestag für den Mindestlohn zu stimmen...

    Heinemann: Entschuldigung. Der Mindestlohn steht ja in diesen drei Punkten drin. Das ist diese Regelung mit 1000 Euro im Monat mindestens.

    Lafontaine: Ja.

    Heinemann: Ich frage mal anders herum: Wo ist die Forderung nach der Abschaffung der NATO, die Abschaffung von Hartz IV zum Beispiel?

    Lafontaine: Die Abschaffung der NATO ist ja eine Forderung, die man präzisieren muss. Die Linke ist für ein kollektives Verteidigungsbündnis, das hat sie ausdrücklich mehrfach gesagt und auch beschlossen. Wir sind aber gegen ein Bündnis, was die NATO ja mittlerweile geworden ist, das interveniert, um Ölkriege zu führen. Und deshalb muss das insoweit präzisiert werden. Das steht ja auch in der Forderung, keine Militäreinsätze mehr, denn letztendlich muss ja jeder zugeben, dass beispielsweise in Afghanistan die Bundesregierung und damit auch der SPD, die ja diesen Einsatz mit zu verantworten hat, komplett gescheitert ist.

    Heinemann: Machen wir es bitte noch mal konkret, Herr Lafontaine: Keine Militäreinsätze ist doch was anderes als die Forderung einer Abschaffung der NATO und ein Mindestlohn ist auch was anderes als die Forderung nach der Abschaffung von Hartz IV.

    Lafontaine: Das ist richtig, deswegen habe ich dies ja präzisiert. Es ist nun einmal so: Wenn man Schlagworte hat, dann kann der eine das, der andere das verstehen. Wir sind für ein Bündnis kollektiver Verteidigung, wir sind aber gegen ein Bündnis, das Militäreinsätze in der ganzen Welt plant und auch durchführt, um beispielsweise Energieversorgung zu sichern. Das ist ja ein bekannter Streitpunkt über viele Jahre gewesen. Und die 1000-Euro-Forderung muss ja jetzt konkretisiert werden. Die SPD will angeblich den Mindestlohn, sie stimmt aber im Bundestag immer wieder dagegen. Und deswegen müssen wir über den Mindestlohn reden. Ich sage noch einmal: Wenn eine Regierung heute ernsthaft das soziale Leben der Bundesrepublik betrachtet und verbessern will, muss sie für acht Millionen Menschen, muss sie den gesetzlichen Mindestlohn einführen. Und der kann nicht bei 8,50 Euro liegen, denn dann haben wir sofort das nächste Problem: Dann haben wir millionenfache Altersarmut programmiert. Von einer sozialdemokratischen Partei muss man erwarten, dass sie einen gerechten Lohn haben will und dass sie Altersarmut vermeiden will.

    Heinemann: Sie würden aber nicht, um noch mal auf die beiden Punkte zurückzukommen, der SPD die Pistole auf die Brust setzen oder beziehungsweise Rot-Grün und sagen, bevor wir eine Regierung unterstützen oder mitmachen, muss auch die Forderung Abschaffung der NATO und Hartz IV umgesetzt werden? Das heißt, Sie haben da, die Linkspartei frisst langsam Kreide?

    Lafontaine: Ich habe zur Frage der NATO klar mich erklärt, da geht es um...

    Heinemann: Es steht aber nicht in den Forderungen Ihrer Parteivorsitzenden.

    Lafontaine: Ja nun, aber ich habe es ja erklärt. Wir haben das ja nun über Jahre diskutiert.

    Heinemann: Was gilt denn, das was Sie sagen, oder was die Vorsitzenden sagen?

    Lafontaine: Darf ich vielleicht meinen Satz zu Ende führen?

    Heinemann: Bitte.

    Lafontaine: Wir haben ganz klar gesagt, es geht um Militäreinsätze im Ausland, das steht auch in diesem Papier. Und wie gesagt: Die zwei Forderungen, für Millionen Arbeitnehmer einen vernünftigen Lohn durchzusetzen und für Millionen Rentnerinnen und Rentner Altersarmut zu vermeiden, das müsste doch auch Sie begeistern, sodass ich auch hoffe, Sie jetzt überzeugt zu haben, uns zu unterstützen.

    Heinemann: Schauen wir mal! – Zwischen SPD und Linkspartei, Herr Lafontaine, steht ein Name, und zwar Ihrer. Sie gelten vielen Sozialdemokraten als Renegade, als Abtrünniger. Haben Sie Verständnis dafür, dass Sozialdemokraten mit Ihnen und mit einer Linkspartei, in der Sie noch mitmischen, nichts zu tun haben wollen?

    Lafontaine: Nein, dafür habe ich nicht das geringste Verständnis, denn Politik ist kein Kindergarten. Wenn man sieht, dass das soziale Leben in einem Lande sich in die falsche Richtung entwickelt. Und wenn man eben erkennt, dass man selbst daran mitgewirkt hat, Stichwort Hartz IV und Agenda 2010, dass die Löhne gesunken sind, die Renten gesunken sind, dann ist man doch in der moralischen Pflicht, hier etwas zu ändern. Und dann kann man nicht sagen, ich habe Probleme, dass es den oder den in der anderen Partei gibt. Es kommt immer in der Politik darauf an, was man durchsetzt. Und deshalb habe ich immer wieder gesagt, auch ich habe einige Befindlichkeiten gegenüber sozialdemokratischen Führungspersonen, ich würde aber jederzeit solche kindischen Befindlichkeiten zurückstellen, wenn es darum geht, den Mindestlohn durchzusetzen oder die Rentenformel wieder zu verbessern. Wer ernsthaft Politik macht, kann sich eine solch alberne Haltung, wie Sie sie gerade formuliert haben, nicht leisten.

    Heinemann: Oskar Lafontaine, der Fraktionschef der Linken im Landtag von Saarbrücken. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Lafontaine: Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.