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Lage der EU
"Eine Bewährungsprobe historischen Ausmaßes"

Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande haben zu mehr Solidarität in der EU aufgerufen. Ihr gemeinsamer historischer Auftritt im Europaparlament sollte diese Forderung unterstreichen. Merkel mahnte, die gemeinsamen europäischen Werte aktiv zu leben. "Wenn wir das missachten, verraten wir uns selbst."

07.10.2015
    Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande im Europaparlament.
    Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande haben in einem historischen Auftritt vor dem Europaparlament mehr Solidarität in Europa gefordert. (picture alliance / dpa / Patrick Seeger)
    Aus Sicht der Bundeskanzlerin und des französischen Staatspräsidenten braucht es ein starkes Europa, um die vielen verschiedenen Krisen zu bewältigen. Es brauche nicht weniger Europa, sondern mehr, betonten beide in ihren Reden.
    Im 25. Jahr nach der Deutschen Einheit sei Europa wieder in einer Zeit, in der große Herausforderungen zu bewältigen seien, sagte Angela Merkel: "Europa steht vor einer Bewährungsprobe historischen Ausmaßes." Im Fokus ihrer Rede stand dabei die Bewältigung der Flüchtlingskrise, wie auch unser Korrespondent Jörg Münchenberg berichtet.
    Die europäischen Staaten forderte Merkel auf, die Fluchtursachen zu bekämpfen - vor allem im Bürgerkriegsland Syrien. Der Schutz der Außengrenzen werde nur erfolgreich sein, "wenn wir die Krisen bewältigen, die an unserer Haustür stattfinden".
    Hollande warnt vor "totalem Krieg" im Nahen Osten
    Der französische Präsident sagte dazu, die Syrer bräuchten "eine andere Perspektive als Präsident Assad oder den IS". Er sprach sich dafür aus, dass alle europäischen Staaten Druck ausübten, um einen Übergang zur Demokratie in Syrien zu erwirken. Sollte Europa diesen Konflikt ignorieren, drohe sich der Krieg im Nahen Osten auszuweiten, sodass er Europa erreichen könne. Wörtlich warnte François Hollande vor einem "totalen Krieg" in der Region.
    Merkel und Hollande forderten außerdem, die europäischen Länder zu unterstützen, die zurzeit besonders viele Flüchtlinge aufnehmen, wie etwa Griechenland, Italien oder die Türkei. Die bisherige europäische Regelung zur Aufnahme von Flüchtlingen muss aus Sicht der Kanzlerin überarbeitet werden: "Seien wir ehrlich, das Dublin-Verfahren in seiner jetzigen Form, ist obsolet", so Merkel. Sie setze sich dafür ein, dass ein neues, faires System etabliert werde.
    Mit den bisher nach Europa gekommenen Flüchtlinge müssen die EU-Länder aus Sicht von Merkel verantwortungsvoll umgehen. Zwar könne man "mit gutem Recht" erwarten, dass sich die Menschen integrieren und die jeweilige Landessprache lernen, aber man müsse ihnen mit Respekt begegnen und humanitäre Mindeststandards bei der Unterbringung der Menschen erfüllen.
    Merkel mahnt, europäische Werte zu achten
    Immer wieder beschworen Merkel und Hollande Werte wie Solidarität und Verantwortung der EU-Mitgliedsstaaten untereinander. Eine Rückkehr zum nationalstaatlichen Denken lehnten sie ab.
    Wenn die EU ihre Werte missachte, dann "verraten wir uns selbst", sagte Merkel. Wenn die EU diese Werte aber beachte, dann werde sie die Bewährungsprobe bestehen. Aus den aktuellen Krisen könne Europa ökonomisch und gesellschaftlich gestärkt hervorgehen.
    Der gemeinsame Auftritt von Holland und Merkel im Europaparlament ist historisch. Der letzte gemeinsame Auftritt eines deutschen Regierungschefs und eines französischen Präsidenten in Straßburg liegt fast 26 Jahre zurück. Wenige Tage nach dem Fall der Mauer hatten Helmut Kohl und François Mitterand zu den Abgeordneten gesprochen.
    (pr/ach)