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Lage der SPD
Michael Roth: Die GroKo ist nicht schuld an allem

SPD-Politiker Michael Roth warnt davor, die Beteiligung in der Großen Koalition als Hauptproblem seiner Partei zu sehen. Derzeit stelle sich Europa inhaltlich und personell neu auf. "Da brauchen wir eine klare handlungsfähige Regierung", sagte Roth im Dlf. Partei-intern sei ein neues Team-Gespür nötig.

Michael Roth im Gespräch mit Silvia Engels | 03.06.2019
Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt (SPD)
Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt und Mitglied der SPD-Bundestragsfraktion (dpa / picture alliance / Geert Vanden Wijngaert)
Silvia Engels: Am Telefon ist Michael Roth. Er ist für die SPD Staatsminister im Auswärtigen Amt. Doch heute haben wir ihn vor allem in seiner Funktion als Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion und Befürworter des Regierens mit der Union zum Interview gebeten. Guten Morgen, Herr Roth!
Michael Roth: Guten Morgen, Frau Engels.
Engels: Wir haben es gerade schon gehört. Sollte die SPD über den neuen Vorsitzenden, die neue Vorsitzende in einer Urwahl abstimmen, und am besten vorneweg, ob sie überhaupt in der Großen Koalition bleiben will?
Roth: Wir sind in einer solch dramatischen Lage, dass wir jetzt nicht einfach irgendetwas vorschnell vom Tisch wischen sollten. Jede Idee ist willkommen, die uns dabei hilft, dass wir aus diesem tiefen Loch herausfinden, und Mitgliederbeteiligung ist ein ganz wichtiges Element. Was mir aber mindestens ebenso wichtig zu sein scheint ist, dass wir uns öffnen und dass wir uns nicht ständig nur mit uns selbst befassen, also weniger interne Gremienbefassung, eher auch das Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern. Das würde vielleicht auch helfen, dass wir wieder als eine relevante Kraft, die etwas zu sagen hat, wahrgenommen werden.
"Ich weiß, dass viele müde sind"
Engels: Nehmen wir mal diesen Aspekt auf, den Simone Lange bei uns im Programm aufgegriffen hat. Sie will nicht nur, dass der Parteichef per Urwahl bestimmt wird, sondern sie will auch über den Verbleib in der Regierung abstimmen. Ist das per Basisentscheid eine gute Idee?
Roth: Wir wollen ja sowieso im Herbst darüber entscheiden und wir wollen einen Parteitag damit beauftragen, eine breite Debatte darüber herbeizuführen, und diese Debatte läuft ja schon. Ich weiß, dass viele müde sind und dass viele auch die Beteiligung in der Großen Koalition als das Hauptproblem der SPD ausmachen.
Ich bitte nur, zwei Punkte doch zu beachten. Der eine, weil das auch in meinen eigenen Verantwortungsbereich fällt: Derzeit stellt sich Europa inhaltlich und personell neu auf. Da brauchen wir eine klare handlungsfähige Regierung und da brauchen wir vor allem auch eine selbstbewusste Sozialdemokratie, die dafür sorgt, dass der soziale Zusammenhalt in Europa gestärkt wird, dass wir den Klimaschutz voranbringen und dass da ordentliches Personal diese Europäische Union vertritt.
Ein weiterer Punkt, der mir wichtig ist: Wenn wir erst mal in der Opposition sind, dann dürften sich nur noch wenige für die Sozialismus-Thesen von Kevin Kühnert oder für das Grundrenten-Konzept von Hubertus Heil interessieren. Damit habe ich überhaupt kein heißes Herz, wenn es um die Große Koalition geht. Ich will aber, dass wir unsere Arbeit jetzt so lange fortsetzen, solange wir uns dazu entschieden haben, dies zu tun, und ich bin da völlig offen.
Noch einmal: Wenn wir jetzt wieder irgendetwas wegmoderieren, wenn wir jetzt irgendetwas gleich mit einem klaren Nein versehen, dann werden wir neue Konflikte in der SPD aufbrechen sehen. Das möchte ich nicht, weil wir brauchen jetzt ein neues Team-Gespür, denn daran krankt es ja. Einmal brauchen wir eine klare Solidarität nach innen, die uns auch Menschen abnehmen, und es muss auch wieder ein bisschen Freude machen, in der SPD mitzuarbeiten. Denn das, was wir in den letzten Wochen erlebt haben, das war ja nur noch erschreckend und abschreckend.
"Viele sagen, GroKo ist schuld an allem"
Engels: Da kommen wir gleich hin. Zuvor noch die Frage, wie es in der Regierung weitergeht. Rechnen Sie mit Neuwahlen noch in diesem Jahr?
Roth: Das hängt ja von vielen verfassungsrechtlichen Bedingungen ab. Das ist nicht ganz einfach.
Engels: Aber wenn es um die SPD allein geht?
Roth: Die SPD kann es ja nicht alleine entscheiden, und jetzt sollten wir erst einmal dafür sorgen, dass diese Regierung auch wieder ein klares Mandat hat, um ihre Hausaufgaben zu erledigen, und dass die SPD dafür sorgt, dass jetzt unsere Projekte vom Einwanderungsgesetz über die Grundrente bis zu einem ordentlichen Europa, bis zu mehr Klimaschutz auch wirklich auf den Weg gebracht werden.
Aber natürlich weiß ich auch darum, dass viele bunt sind in der SPD und dass viele noch einmal sagen, diese GroKo ist schuld an allem. Ich finde, das ist ein bisschen zu einfach. Da machen wir es uns auch zu einfach. Aber die SPD sollte keine Angst vor gar nichts haben, aber sie sollte vor allem auch jetzt keine Angst davor haben, weiterhin in der Verantwortung zu stehen.
Vernünftigen Umgang miteinander vermisst
Engels: Sie haben – und damit kommen wir zu dem anderen Thema, nämlich zur Stimmungslage in der SPD – selbst gestern das Verhalten einiger in der SPD gegenüber Andrea Nahles "schändlich" genannt. Wen meinen Sie?
Roth: Erst einmal gehöre ich ja auch nicht nur zu den Freundinnen und Freunden von Andrea Nahles. Wir kennen uns sehr lange. Wir haben bei den Jusos auf ganz unterschiedlichen Seiten der Barrikaden gekämpft. Aber ich fand es immer essentiell für eine Partei, die Solidarität vor sich herträgt und vor allem auch im Herzen tragen sollte, dass sie vernünftig miteinander umgeht, und das habe ich vermisst. Ich habe das auch am Freitag oder in der vergangenen Woche auch in der Fraktionssitzung vermisst, dass diejenigen, die sich für besser geeignet halten, dann auch einfach mal sagen, ja, wir sind unzufrieden, wir ringen genauso wie Du, Andrea, um die SPD und um den Weg in eine bessere Zukunft, aber wir bieten auch etwas an und wir stehen dann bereit und wir treten an. Ich habe das so nicht gehört, und das finde ich unfair.
Wir müssen es schaffen, dass wir unsere Konflikte menschlich anständig austragen und dass wir sie auch da austragen, wo sie hingehören: in die Gremien. Es gibt ja auch viel zu kritisieren, denn auch ich bin ja am Ende zu der Erkenntnis gelangt, dass es Andrea Nahles kaum noch gelingen dürfte, dieses Mindestmaß an Vertrauen aufzubauen, was man braucht, um eine Partei in einer solch schwierigen Lage zu führen. Aber andererseits wissen wir doch auch alle: Die SPD hat so oft ihr Führungspersonal ausgewechselt. Das alleine löst doch kein Problem. Und das fand ich auch unfair, dieser Eindruck, der von einigen ganz bewusst erweckt wurde, wir haben vor allem ein Problem mit der Parteivorsitzenden. Zur Parteiführung gehören viele und jeder von uns – ich bin ja auch Mitglied des Parteivorstandes – muss sich fragen, was hat er eigentlich mitzuverantworten, inwieweit kann ich mich selber auch dazu verpflichten, die Lage zu verbessern, vielleicht trage ich auch Mitschuld an dem, was in den vergangenen Wochen und Monaten alles schiefgelaufen ist. Diese Selbstkritik, die fehlt mir bei einigen völlig, und da will ich jetzt gar keine Namen nennen. Nur das hat sich so eingeschliffen in die SPD und das tut uns allen nicht gut und die Leute wenden sich auch wirklich angewidert ab und sagen, nee, mit denen wollen wir erst mal nichts zu tun haben. Deswegen muss das jetzt wirklich ein Knall sein, den wirklich alle gehört haben, egal wo sie leben und arbeiten und politische Verantwortung tragen.
"Intern den Laden befrieden"
Engels: Diese Kritik, die Sie haben, auch wenn Sie keine Namen nennen wollen, betrifft ja auch Teile der SPD-Fraktion. Die Spaltung wird von vielen beschrieben, die dort vorherrscht, wahrscheinlich jetzt auch über den Rücktritt von Andrea Nahles hinaus. Wie kann sich die SPD-Fraktion überhaupt noch auf einen gemeinsamen Vorsitzenden oder eine gemeinsame Vorsitzende einigen und wer könnte das sein?
Roth: Am Ende des Tages wäre mein Ratschlag, sich für ein Team aufzustellen. Es gibt ja zwei große Aufgaben, die die SPD zu erfüllen hat, und da spielt die Fraktion eine ganz, ganz wichtige Rolle. Einmal sicherlich intern den Laden zu befrieden, die kreativen Momente, die es ja auch bei uns nach wie vor gibt – wir haben ja wunderbare Menschen in unserer SPD -, zusammenzuführen. Aber was mir mindestens genauso wichtig zu sein scheint, ist dieser Blick nach außen. Wir müssen alle Fenster, alle Türen öffnen. Diese SPD muss wieder als interessant wahrgenommen werden. Das heißt, wir brauchen auch Menschen an der Spitze unserer Partei, an der Spitze der Fraktion, die nicht nur professionell managen können, sondern die auch begeistern können, die deutlich machen, die SPD ist wieder auf der Höhe der Zeit. Denn das eigentlich Dramatische ist ja: Die Ideen der Sozialdemokratie sind ja nach wie vor hoch populär. Aber die SPD ist es überhaupt nicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.