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Lambsdorff: Griechische Parteien müssen zuammenarbeiten

Der griechische Ministerpräsident will sich am Abend einer Vertrauensabstimmung im Parlament stellen. Noch ist vollkommen unklar, wie das Votum ausgehen wird. Mögliche Neuwahlen würden nach Ansicht des Europaparlamentariers Lambsdorff aber auch die Chance bieten, eine breitere Mehrheit für die Sparprogramme zu finden.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Anne Raith | 04.11.2011
    Anne Raith: Kurzzeitig schien, die innenpolitische Krise in Griechenland gestern einen Schritt näher an einer Lösung zu sein, zumindest sehr viel näher als in den vergangenen Wochen und Monaten. Ministerpräsident Papandreou hatte Abstand genommen von seiner Idee, das Volk abstimmen lassen zu wollen, Regierung und Opposition gingen aufeinander zu und wollten Gespräche führen. Dann aber forderte die oppositionelle Nea Dimokratia Papandreous Rücktritt als Voraussetzung für eine Übergangsregierung. Papandreou wiederum will die Vertrauensabstimmung heute Abend im Parlament abwarten. Die Lage bleibt also verworren.
    Am Telefon begrüße ich jetzt Alexander Graf Lambsdorff. Er ist Vorsitzender der FDP-Gruppe im Europaparlament. Schönen guten Morgen!

    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Frau Raith.

    Raith: Herr Lambsdorff, Referendum ja/nein, Übergangsregierung, aber nur, wenn Papandreou geht, dann die Vertrauensfrage. Können Sie im Moment erkennen, wohin Griechenland steuert?

    Lambsdorff: Also nach dem abgesagten Referendum steuert Griechenland trotz aller Wirren auf einem Kurs, der auf eine Zustimmung zu den Maßnahmen vom 27. Oktober hinausläuft. Das Problem ist nur: Wer wird in Griechenland jetzt in den nächsten Monaten, in den nächsten Jahren vielleicht das Land führen. Der Hintergrund ist natürlich der, die konservative Opposition Nea Dimokratia, wie Ihr Korrespondent auch gerade erwähnt hat, die hat dieses Schlamassel im Wesentlichen ausgelöst. Dann kam die Partei von Herrn Papandreou an die Regierung, hat versucht, dieses Maßnahmenpaket in Griechenland umzusetzen, was ja sehr, sehr schmerzhaft ist, und wurde dabei aber weiterhin von der konservativen Opposition angegriffen. Ich glaube, dass jetzt aber den Konservativen auch langsam dämmert, dass, wenn sie einfach die Regierung übernehmen, sie es sind, die diese harten Sparmaßnahmen vertreten müssen in der Bevölkerung, und das macht einen nicht populär. Das sieht man an Papandreou: Der innenpolitische Druck auf ihn ist eben gewaltig.

    Raith: Wenn Sie das so schildern, was macht Sie optimistisch, dass wir auf einem guten Weg sind?

    Lambsdorff: Nun, weil es, glaube ich, keine Alternative gibt für Griechenland, die kostengünstiger oder die realistisch wäre. Der Austritt aus der Euro-Zone, den ja Präsident Sarkozy und die Bundeskanzlerin völlig zurecht ins Gespräch gebracht haben, nach diesem unabgestimmten Vorstoß für ein Referendum, der hat den Griechen, glaube ich, deutlich gemacht, dass sie sich an die Beschlüsse halten müssen, dass sie in der Euro-Zone bleiben müssen, und dafür ist es nötig, weiterhin Sparmaßnahmen zu ergreifen, weiterhin auf dem Weg der Konsolidierung voranzuschreiten. Das macht niemanden populär. Das heißt, ich glaube, auch Samaras ist inzwischen klar, dass das, was er hier spielt, nämlich ein Vabanquespiel zulasten des Landes, auf Dauer nicht durchzuhalten ist.

    Raith: Aber hätte ein Referendum vielleicht nicht doch eine klarere Antwort gebracht? Das hätte dann ganz Griechenland gezwungen, sich in irgendeiner Weise mit dieser Situation auseinanderzusetzen.

    Lambsdorff: Nun, das mag man so sehen. Andererseits haben wir ja Beschlüsse gefasst am 27. 10., bei denen Griechenland ja am Tisch saß. Es ist ja nicht so, als ob über die Köpfe der Griechen hinweg das Ganze entschieden worden wäre. Man hat einen 50prozentigen Schuldenschnitt für das Land immerhin hinbekommen, man hat die nächste Tranche in Aussicht gestellt aus dem ersten Hilfspaket. Also mit anderen Worten: Da ist ja durchaus für Griechenland auch etwas dabei gewesen, was konstruktiv ist und was nach vorne weist. Und dass das unabgestimmt infrage gestellt wird, das geht einfach nicht in einer Europäischen Union und insbesondere in einer Euro-Zone, wo es eine gemeinsame Währung mit gemeinsamen Regeln und auch einer gemeinsamen Verantwortung gibt. Das war einfach ein völlig unmögliches Vorgehen.

    Raith: Was muss in Griechenland denn Ihrer Meinung nach jetzt passieren, unmittelbar, um die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen?

    Lambsdorff: Also ich glaube, Herr Bormann hat das eben treffend geschildert. Es ist klassischerweise so, dass die Konservativen und die Sozialisten dort wirklich nahezu verfeindet sind. Es gibt eine kleine liberale Partei in der Mitte, es gibt dann einige extremistische Parteien. Ich glaube, dass, sollte es zu Neuwahlen kommen in Griechenland, die Parteienlandschaft dort einigermaßen durcheinandergewirbelt werden wird und man wird dann in dem Land politisch zu einer Koalitionskultur kommen müssen, denn man kann ein so hartes Sparprogramm nicht alleine und im Streit durchsetzen. Das ganze geht nur, wenn dort alle an einem Strang ziehen. Dass das gleich wirklich alle sein werden, ist angesichts der politischen Kultur in Griechenland kaum zu erwarten, aber es müssen deutlich mehr sein als eine einzige Partei, die Pasok von Herrn Papandreou.

    Raith: Aber die Krise in Griechenland zieht sich nun schon über Monate, ohne dass eben genau das passiert ist, dass man an einem Strang zieht.

    Lambsdorff: Das ist richtig. Aber ich glaube, dass die Referendumsankündigung, so unglücklich sie insgesamt war, doch einen positiven Effekt hatte, nämlich dass jetzt den anderen auch klar ist, es ist hop oder top, entweder man setzt das um, was in Europa beschlossen wird, oder man verlässt die Euro-Zone, und ich glaube, dass die Geduld in Deutschland, auch bei den Hörerinnen und Hörern, bei unseren Wählerinnen und Wählern, ja inzwischen erschöpft ist. Das gleiche gilt für die Franzosen, es gilt übrigens auch – das sollte man bitte nicht vergessen – für Portugal und Irland, die sich völlig klaglos an die Auflagen halten, die versuchen, die Konsolidierung voranzutreiben, die ja auch mit Entsetzen auf dieses griechische Schauspiel schauen. Ich glaube, dass der Punkt jetzt erreicht ist, an dem die Griechen sich ehrlich machen müssen und einen vernünftigen Weg nach vorne definieren müssen. Ich glaube übrigens auch, dass es dafür Personen gibt. Loukas Papadimos ist eben im Bericht nicht erwähnt worden, ehemaliges Mitglied des europäischen Zentralbankrats, der wäre zum Beispiel ein Übergangsregierungskandidat, weil der allgemein respektiert ist, auch in Finanzkreisen. Also es gibt durchaus Leute, die das machen und gestalten können, aber es ist ein Wandel der Kultur in Griechenland erforderlich.

    Raith: Leute, auf denen sich dann auch die Pasok-Partei und die Nea Dimokratia einigen könnten? Wir haben hier vor einer Stunde mit zwei griechischen Politikern gesprochen und das hörte sich nicht nach Einigung an.

    Lambsdorff: Nein. Also wenn es nicht zu einer Einigung kommt auf eine Übergangsregierung – das wissen wir ja heute um Mitternacht, wie die Vertrauensabstimmung ausgegangen ist, und dann in den nächsten Tagen, wenn die Gespräche da laufen -, wenn das nicht gelingt, dann wird es Neuwahlen geben, sehr schnell, denn Mitte Dezember ist die Liquidität des Landes erschöpft. Das heißt, Anfang Dezember braucht man eine neue Regierung, die in der Lage ist, den internationalen Gläubigern gegenüberzutreten und das Programm umzusetzen. Wenn es also zu einer Neuwahl kommt, dann wird man eine Koalitionsregierung haben, denn ich kann nicht absehen, dass entweder die Pasok, oder die Nea Dimokratia eine absolute Mehrheit erringen werden. Das heißt, es wird auf jeden Fall auf eine Koalitionskonstellation hinauslaufen.

    Raith: Was passiert in der Periode bis zur Wahl? Wie verträgt sich der Wahlkampf mit den tiefgreifenden Reformen, mit den Strukturreformen, die da anstehen?

    Lambsdorff: Also ich glaube, dass das gar nicht so verkehrt wäre. Dann hätte man nämlich genau die Debatte, die man auch für ein Referendum gehabt hätte. Auf der einen Seite steht der Austritt aus der Euro-Zone mit allen Konsequenzen, Wiedereinführung der Drachme, dramatische Abwertung der Drachme, bei gleichzeitigem Fortbestehen der Schuldenlast in Euro auf der einen Seite und auf der anderen Seite Fortsetzung des Konsolidierungs-, des Sparkurses mit all den Problemen, die das macht, innenpolitisch. Man hat dann eine ganz klare profilierte Kampagne, in der die Wähler sich anschließend entscheiden können, für was sie stimmen wollen.

    Raith: Sie haben eben schon über die Geduld der Euro-Zone, der Europäer gesprochen, die langsam zur Neige geht. Inwiefern kann oder darf oder muss sich die EU denn einmischen? Es ist ja eigentlich eine innenpolitische Krise, die natürlich ausstrahlt auf die ganze Euro-Zone.

    Lambsdorff: Ja, aber, Frau Raith, wir sind natürlich in der Euro-Zone nicht mehr in der Situation, dass jedes Land vollständig souverän ist in seinen Entscheidungen. Wir haben uns alle gemeinsam auf einen Satz von Regeln verpflichtet. Dieser Satz von Regeln ist dann gebrochen worden, 2003/2004, übrigens durch Deutschland und Frankreich. Das darf man bitte nicht vergessen bei der ganzen Geschichte. Aber die Vorstellung, dass in der Euro-Zone jedes Land völlig souverän wäre und tun und lassen kann was es will, insbesondere dann, wenn es die Solidarität der anderen Mitgliedsstaaten einfordert, was im Prinzip okay ist in der Europäischen Union, diese Vorstellung, die ist nicht mehr relevant. Wir müssen gemeinsame Regeln beachten und da muss man dann auch sich einer gemeinsamen Verantwortung stellen und kann nicht beispielsweise, wie Papandreou das eben getan hat, Beschlüsse, die gemeinsam gefasst werden am 27. Oktober, dann einem Referendum vorwerfen, nach dem Motto, jetzt schauen wir mal, ob die Griechen das auch mitmachen. Das verkennt einfach, dass auch Präsident Sarkozy einen innenpolitischen Kontext hat, der hat im nächsten Frühjahr Wahlen, das verkennt, dass Angela Merkel und die Bundesregierung einen innenpolitischen Kontext haben, das ist ja in Deutschland keineswegs populär, dass wir den Euro so stabilisieren, es ist aber dennoch der richtige Weg. Und insofern hat Papandreou hier sich auf eine Art und Weise verhalten, die, ich sage mal, im Souveränitätsdenken des 19. Jahrhunderts vielleicht noch nachvollziehbar gewesen wäre, aber ganz sicher nicht mehr in der Euro-Zone des 21. Jahrhunderts.

    Raith: Was muss dann die Euro-Zone aus den vergangenen Tagen lernen?

    Lambsdorff: Eine ganz klare Verlässlichkeit der Regeln, eine klare Absprache der Maßnahmen untereinander, an die man sich anschließend auch hält, wirklich die Realisierung bei allen Regierungschefs in der Euro-Zone, bei allen Mitgliedern von Regierungen von Ländern in der Euro-Zone, dass man eben einen Teil der Souveränität in der Euro-Zone gepoolt hat, zusammengelegt hat, und über den kann man nicht mehr allein national entscheiden. Das muss im europäischen Kontext geschehen, wenn man eine erfolgreiche Währungsunion haben will.

    Raith: …, sagt Alexander Graf Lambsdorff, er ist der Vorsitzende der FDP-Gruppe im Europaparlament. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.

    Lambsdorff: Ich danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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