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Lambsdorff: Kampf gegen Korruption muss erst erfolgreich sein

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will den Beitritt von Bulgarien und Rumänien in die Schengen-Zone verhindern. Technisch seien die beiden Länder dazu in der Lage, erklärt Alexander Graf Lambsdorff (FDP), aber nicht hinsichtlich Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Christiane Kaess | 06.03.2013
    Christiane Kaess: Dass diese Ankündigung von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich in den betroffenen Ländern auf Empörung stoßen würde, das war klar. Friedrich hatte erklärt, er werde verhindern, dass Rumänien und Bulgarien dem Schengen-Raum beitreten, notfalls mit einem deutschen Veto. Die Reaktionen kamen prompt und ebenso eindeutig. Der rumänische Innenminister polterte, Deutschland habe eine Gelegenheit verpasst, den Mund zu halten, und Ministerpräsident Victor Ponta trotzte, der Schengen-Beitritt gehöre von nun an nicht mehr zu den Prioritäten seiner Regierung. Morgen treffen sich die Innenminister der Europäischen Union in Brüssel, um – so war es zumindest geplant – über einen möglichen Beitritt Rumäniens und Bulgariens zum Schengen-Raum zu sprechen. – Am Telefon ist Alexander Graf Lambsdorff, Vorsitzender der FDP im Europäischen Parlament und dort Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten. Guten Morgen!

    Alexander Graf Lambsdorff: Ja guten Morgen, Frau Kaess.

    Kaess: Herr Lambsdorff, lassen Sie uns zu Beginn des Interviews kurz auf ein anderes Thema schauen: auf die Nachricht über den Tod des venezuelanischen Präsidenten Hugo Chávez, die uns gestern Abend erreicht hat. Ihre erste Reaktion?

    Graf Lambsdorff: Nun, menschlich ist das bedauerlich. Hugo Chávez war 58 Jahre jung, er hat den Kampf gegen den Krebs verloren. Was das politisch bedeutet für das Land, ist noch zu früh. Sein Vizepräsident, der von ihm eingesetzt worden ist, hat sicher nicht dasselbe Standing, dasselbe Charisma wie er selber. Das heißt, wie jetzt die Wahlen ausgehen werden, die binnen 30 Tagen abgehalten werden müssen, das wird man abzuwarten haben. Politisch ist es natürlich darüber hinaus, über Venezuela selber hinaus, der Tod einer Symbolfigur. Chávez und der Chavismo, das ist ja eine neue Bewegung gewesen in den 90er-Jahren, eine Wiederauflage, wenn man so will, des Sozialismus nach dem Ende der Sowjetunion, die allerdings sich gepaart hat mit wirklich sehr unappetitlichen Allianzen auf der ganzen Welt, mit dem Iran, mit Nordkorea, also mit anderen Worten ein sehr gemischtes Fazit, eine sehr gemischte Bilanz, die man da ziehen muss.

    Kaess: Wenn Sie über diese Ikone der Linken sprechen, was wird sich denn da mit seinem Tod ändern, glauben Sie?

    Graf Lambsdorff: Nun, das wird sehr davon abhängen, ob es einen Erben gibt für diese Politik. Ob das Evo Morales in Bolivien sein kann oder nicht, ich habe da meine Zweifel. Die Castros in Kuba sind es ganz sicher nicht mehr. Ich glaube, dass vielleicht die globale Linke sich da von einer Galionsfigur verabschieden muss, aber dann eben auch von vielen ihrer Illusionen, denn nachhaltig war die Politik von Chávez natürlich nicht. Venezuela sitzt auf großen Ölreserven; das war der Grund, warum er sich diese Politik leisten konnte, die ja mitunter sehr originelle Züge trug. Er hat ja zum Beispiel Familien in den USA, die ihre Heizungsrechnungen nicht bezahlen konnten, direkt mit Öllieferungen unterstützt. Also unoriginell war Chávez nicht, aber politisch war das natürlich kein nachhaltiges Modell.

    Kaess: Und für den Westen – das haben Sie ja auch schon kurz anklingen lassen – war er ja kein einfacher Partner. Er hat den USA oft Imperialismus vorgeworfen. Hoffen Sie auf einen einfacheren Nachfolger?

    Graf Lambsdorff: Also ich hoffe ganz allgemein, dass sich die Beziehungen der lateinamerikanischen Länder zu den USA etwas entspannen, dass man in der westlichen Hemisphäre wieder zu einer besseren Zusammenarbeit zurückkehrt. Leider sind auch die Beziehungen zwischen Brasilien und den USA sehr angespannt, nicht in gleichem Maße logischerweise wie die zwischen Bolivien oder Venezuela und den USA. Insgesamt aber wäre eine bessere Kooperation in der Hemisphäre für uns alle von Vorteil.

    Kaess: Kommen wir zur Diskussion um Bulgarien und Rumänien. Eine bulgarische Zeitung hat die Äußerungen von Bundesinnenminister Friedrich kommentiert mit den Worten, "Bulgar in Westeuropa zu sein wird immer unangenehmer. Die Kampagne gegen uns und gegen die Rumänen ist wie eine Lawine." Ist Bundesinnenminister Friedrich damit übers Ziel hinausgeschossen?

    Graf Lambsdorff: Nein, das glaube ich nicht. Der Bundesinnenminister hat die Aufgabe, die Sicherheit des deutschen Staatsgebiets sicherzustellen. Er musste abwägen vor diesem Treffen der Innenminister in Brüssel, ob die Berichte, die vorliegen zum Zustand des Kampfes gegen die organisierte Kriminalität in Rumänien und Bulgarien, jetzt bereits eine Zulassung der beiden Länder zum Schengen-Raum erlauben, und er hat dann nach Abwägung entschieden, dass das nicht der Fall ist. Man kann sich mit Fug und Recht fragen, ob er das in einem "Spiegel"-Interview dann auch noch verkünden musste, aber in der Sache, glaube ich, liegt Hans-Peter Friedrich hier richtig.

    Kaess: Aber Friedrichs Vorstoß kam ja kurz nach seinen umstrittenen Äußerungen, die Freizügigkeitsrechte dürften nicht missbraucht werden, um Sozialleistungen zu kassieren. Da meinte er vor allem viele Roma, die nach Deutschland kommen. Das hört sich doch ein bisschen nach Wahlkampf an.

    Graf Lambsdorff: Nun, das ist eine völlig andere Thematik und das ist richtig, Frau Kaess, da haben Sie völlig recht: Hier wird eine populistische Suppe gekocht, wenn man so will. Wenn man die Freizügigkeit in der Europäischen Union einschränken will, dann begibt man sich auf ein gefährliches Niveau, und das sollte der Bundesinnenminister auf keinen Fall tun. Natürlich gibt es Probleme, die darf man auch nicht kleinreden. Ich finde auch, dass der Bund hier die Kommunen, die Städte und Gemeinden, nicht alleine lassen darf. Es war ja eine Politik des Bundes, die dazu geführt hat, dass Bulgarien und Rumänien letztendlich zu früh beigetreten sind in die Europäische Union. Das was wir jetzt in Dortmund, in Mannheim, in Duisburg sehen, sind Folgen dieser Politik, und von daher haben die Städte und Gemeinden recht, wenn sie darauf hinweisen, dass man sie hier nicht alleine lassen darf.

    Kaess: Wenn wir noch mal zur Diskussion über den Schengen-Raum kommen. Die Korruption in Rumänien und Bulgarien, das ist ja nicht neu. Warum ist man denn nicht früher auf die Bremse getreten?

    Graf Lambsdorff: Nun, die Bundesregierung tritt seit Langem auf die Bremse, das ist nichts Neues. Die Bundesregierung ist hier auch keineswegs allein, ich will das deutlich sagen. Auch die Franzosen, die das ungern öffentlich machen, sind dagegen, dass Bulgarien und Rumänien in die Schengen-Zone hineinkommt, das gleiche gilt für die Finnen, für die Niederlande, für einige andere, die sich hier hinter einem deutschen Veto, ich sage mal, es sich relativ bequem einrichten. Aber es ist vollkommen klar: Die Berichte der Europäischen Kommission sind maßgeblich für die Empfehlungen, die da gegeben werden, und diese Berichte sind negativ ausgefallen. Das heißt: Auf der einen Seite gibt es technische Vorbereitungen, technisch wären Rumänien und Bulgarien in der Lage, in den Schengen-Raum einzutreten, aber sie sind es nicht vom Status ihrer Rechtsstaatlichkeit, vom Status des Kampfes gegen die organisierte Kriminalität und auch nicht in der Korruptionsbekämpfung. Von daher ist diese Entscheidung richtig und sie ist keineswegs ein deutscher Alleingang.

    Kaess: Und diese technische Ausrüstung, die Sie ansprechen, da hat man ja mitgeholfen, ein modernes Überwachungssystem der Grenzen aufzubauen. Waren diese Investitionen also übereilt und umsonst?

    Graf Lambsdorff: Nein, keineswegs. Im Gegenteil! Ich glaube, das, was dort gemacht worden ist, dass man Seehäfen, Flughäfen, die Außengrenzen der Europäischen Union ertüchtigt, auch mit deutscher Hilfe, ist völlig richtig. Aber zur technischen Ausrüstung einerseits gehört natürlich, ich sage mal, menschliche Software andererseits, und wenn wir da nicht sicher sein können, dass bulgarische und rumänische Behörden einwandfrei vorgehen, wenn es darum geht, Visa an Angehörige von Drittstaaten zum Beispiel im Ausland zu erteilen, oder bei Grenzübertritten Kriterien eine Rolle spielen, die mit den formellen Kriterien nichts zu tun haben, sprich, wenn dort Korruption vorkommt, dann sind das Gründe, warum man auch bei guter technischer Ausrüstung sagen kann, ihr müsst noch ein paar Jahre Erfolge im Kampf gegen die organisierte Kriminalität erzielen, dann können wir weiterreden. Und ich muss sagen, ich habe mich über die Mitteilung von Premierminister Ponta gefreut, zu sagen, das wird jetzt nicht mehr prioritär verfolgt, sondern prioritär werden jetzt andere Dinge verfolgt, und das ist sicher richtig, denn es ist ein Thema, das ansonsten immer weiter für Spannungen sorgen würde.

    Kaess: Herr Lambsdorff, Sie haben es schon kurz angesprochen: Andere Länder wie zum Beispiel Frankreich oder auch die Niederlande waren ja auch gegen einen schnellen Beitritt zum Schengen-Raum. Von denen ist jetzt nichts mehr zu hören. Sind die denn ganz froh, dass Deutschland für sie spricht und den Ärger auf sich zieht?

    Graf Lambsdorff: Ja, das habe ich ja gerade gesagt. Das ist in der Europäischen Union nicht unüblich. Wenn ein Land eine prononcierte Position hat und andere Länder diese Position teilen, dann wird das eine Land vorgeschickt. Es ist nicht so, dass Deutschland das nicht auch gelegentlich mit anderen Ländern so vereinbaren würde. Ich denke mal an die Haushaltsberatungen jetzt zum mehrjährigen Finanzrahmen, da war auch die Bundesregierung ganz froh, dass England derartig prononciert eine Einsparung forderte. Das ist dann auch so geschehen. Also, das ist ein völlig übliches Verfahren in der Europäischen Union, dass man ein Land sich dann sozusagen die Prügel abholen lässt und die anderen aber trotzdem ganz froh sind, dass es so läuft.

    Kaess: Aber das Grundproblem der Europäischen Union, dass sie offenbar zu schnell gewachsen ist und die Unterschiede zu groß waren, das vermag Friedrich mit seinem Veto ja nicht zu lösen.

    Graf Lambsdorff: Genau, und deswegen sind die Äußerungen zur Freizügigkeit auch etwas völlig anderes. Die Freizügigkeit, eine der vier Grundfreiheiten der Europäischen Union, darf nicht infrage gestellt werden, das ist vollkommen klar. Und die Fehlentwicklung, die da eingetreten ist, dass Bulgarien und Rumänien zu früh beigetreten sind, ist die Konsequenz einer Politik, dass man in der Erweiterung Ende der 90er-, Anfang der 2000er-Jahre weggekommen ist vom ursprünglichen Modell, das Klaus Kinkel favorisiert hatte, das Regattamodell. Das heißt, alle verlassen den Hafen zur gleichen Zeit, aber laufen zu unterschiedlichen Zeiten, je nach Reformgeschwindigkeit, dann in der Europäischen Union ein. Man hat das Modell aufgegeben zugunsten des sogenannten Big Bang: Alle Länder treten gleichzeitig bei. Das ist 2004 passiert. Da sind Rumänien und Bulgarien rausgenommen worden und sind dann 2007 noch nachgezogen.

    Kaess: Und da müssen wir leider abbrechen. Danke schön! – Alexander Graf Lambsdorff, Vorsitzender der FDP im Europäischen Parlament und Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten. Danke für das Interview!

    Graf Lambsdorff: Danke Ihnen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.