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Landärztemangel
Sachsen lockt mit Gratis-Studium in Ungarn

In der sächsischen Provinz sind 230 hausärztliche Stellen unbesetzt. Die Kassenärztliche Vereinigung und das Sozialministerium des Landes gehen nun einen ungewöhnlichen Weg: Sie vergeben Stipendien für ein Studium in Ungarn. Bedingung: Die Studenten müssen später auf dem Land arbeiten.

Von Claudia Euen | 22.07.2014
    Der Landarzt Wolfgang Dinslage behandelt am 31.01.2012 in seiner Praxis in Merzenich bei Düren einen Patienten.
    Landärzte finden häufig keinen Nachfolger. (dpa / Oliver Berg)
    "Szia Christian vagyok, orvostanhallgató. Das heißt so viel wie: Hallo, ich bin Christian und ich bin Medizinstudent."
    Christian Damm sitzt in der Küche und versucht sich in ungarisch. Es klappt ganz gut, wirklich sicher fühlt er sich aber noch nicht. Seit einem Jahr lernt er die Sprache an der Universität Pécs in Ungarn, parallel zum Medizinstudium. Da bleibt nicht viel Zeit zum Vokabeln pauken, denn sein Fokus liegt auf den Vorlesungen in Chemie, Anatomie oder Histologie. Die sind zum Glück auf deutsch, denn ungarisch wird er in seiner sächsischen Heimat kaum brauchen, sagt Christian Damm:
    "Der Vertrag sagt, dass wir nach dem Abschluss fünf Jahre in einer Kleinstadt außerhalb von Chemnitz, Leipzig und Dresden praktizieren und Geringswalde bietet sich auch an, weil mein Vati dort eine Praxis besitzt und wahrscheinlich, wenn ich mit meinem Studium fertig bin, in Rente gehen wird, wie viele andere Ärzte."
    Ärztemangel auf dem Land: Allein in der sächsischen Provinz sind derzeit 230 hausärztliche Stellen unbesetzt. Der demografische Wandel wird das Problem weiter verschärfen. 25 Prozent der Hausärzte sind heute 60 Jahre und älter. In ein paar Jahren werden viele Menschen kaum noch einen Arzt in ihrer Region finden oder sie müssen lange Strecken zurücklegen. Deshalb lässt die Kassenärztliche Vereinigung in Sachsen pro Jahr 20 zukünftige Landärzte in Ungarn ausbilden. Ein ziemlich weiter Weg, immerhin verfügen zwei der vier sächsischen Universitätsstädte über eine medizinische Fakultät. Für Dr. Klaus Heckemann, Hausarzt und Vorstandsvorsitzender der KV in Sachsen, bietet das Auslandsstudium besondere Privilegien:
    "Also Verzweiflungstat ist es sicher nicht. Ich glaube auch, das ist der ganz wichtige Punkt, den wir hier beeinflussen können, nämlich: Wo kommt derjenige her? Also wenn Sie an einer Universität in Berlin ausschließlich Studenten aufnehmen, die in Berlin geboren, aufgewachsen sind, dann werden Sie wahrscheinlich keinen finden, der in die Uckermark geht. Man muss doch einfach die Leute räumlich dort abholen, wo sie herkommen. Es gibt viele, die nicht das primäre Ziel haben, sie wollen unbedingt in der Großstadt wohnen."
    Landarzt-Dasein ist nicht für jeden attraktiv
    Die Sache selbst ist für viele Medizinanwärter durchaus attraktiv. Nicht nur, dass die KV die Studiengebühren von 6600 Euro pro Semester übernimmt, auch müssen die aus Sachsen stammenden Studierenden nicht einen überdurchschnittlich guten Numerus clausus vorweisen. Viel wichtiger ist ihre Bereitschaft, als Hausarzt im Gegensatz zu anderen Fachärzten auf renommierte Kliniken und Forschungsinstitute sowie auf höhere Gehälter zu verzichten und lange Anfahrtswege in Kauf zu nehmen. Das ist nicht unbedingt attraktiv, weiß die sächsische Sozialministerin Christine Clauß:
    "Ich kann ja niemanden zwingen, in die ländlichen Regionen zu gehen. Das ist ein multifaktorielles Geschehen. Vereinbarkeit von Familie und Beruf, kulturelle Möglichkeiten und vieles andere mehr, entscheiden, ob Stadt oder Land, wir haben aber auch medizinische Versorgungszentren, bis hin zu Kommunen, die das für sich auflegen können. Das müssen wir alles angehen, eins alleine würde nicht reichen."
    Auch das Sozialministerium vergibt 20 Stipendien pro Jahr an zukünftige Landärzte. Die Anzahl der Nachwuchsärzte reicht laut KV aber nicht aus, um frei werdende Hausarztpraxen zu besetzen. Deshalb startet bald der zweite Jahrgang in Pécs. Das Studium in Ungarn hat einen entscheidenden Vorteil: Es kostet weniger als die Hälfte als ein Studium an einer deutschen Universität und es umgeht das deutsche Gesetz. Hierzulande ist es laut Verfassungsrecht nicht zulässig, Studierende zu verpflichten, als Hausarzt auf dem Land zu praktizieren. Es wäre ein nicht gerechtfertigter Eingriff in die Freiheit der Berufswahl. Christian Damm aber fühlt sich in keiner Weise unfrei - Landarzt war schon immer sein Traumberuf:
    "Auch, weil es familiärer da ist. In der Großstadt sind dann doch schon mehr Patienten, die man nicht kennt und auf dem Land - man kennt die Leute irgendwann und wenn die ein halbes Jahr später wiederkommen, dann kennt man die immer noch und hat sie nicht vergessen. Das macht's einfacher, die Krankheitsbilder zu studieren."
    Mit seiner Abiturnote von 1,9 hätte Christian Damm mehrere Jahre auf einen Studienplatz warten müssen. Nun hat er schon die ersten Prüfungen bestanden - ziemlich gut sogar.