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Landeier mit verkorksten Lebensläufen

Die in der Großstadt gestrandeten Landeier mit ihren verkorksten Lebensläufen machten Frank Schulz' Debütroman "Kolks blonde Bräute" 1991 zum Geheimtipp der Kritiker. Nach "Morbus fonticuli" hat Schulz nun den Abschluss seiner Trilogie vorgelegt. Wieder geht es um Sucht, Suff und Sehnsucht, um Heimat und das richtige Leben. Allerdings lässt der Autor "Das Ouzo-Orakel" nicht im regengetränkten Deutschland, sondern unter südlicher Sonne spielen.

Von Nils Kahlefendt | 27.07.2006
    Eigentlich ein Fall für die 1000-Euro-Frage bei Günter Jauch: Hagen gibt es mehrfach. Im großen Westfälischen wurde der Maler Emil Schumacher geboren und 1960 Gabriele Susanne Kerner, besser bekannt als Nena. Frank Schulz stammt aus dem kleinen niedersächsischen Dörfchen Hagen. Als er - einer von exakt sechs ABC-Schützen -1963 in die Schule kommt, hat Hagen 450 Einwohner. Für Schulz ist es die Welt. Eine, die ihn nicht loslassen wird. Auch dann nicht, als er längst in Hamburg wohnt und an seinem ersten Buch arbeitet.

    " Als ich anfing, 1988, da hatte ich eigentlich vor, eine Art "Säufernovelle” zu schreiben, die so um die 90 – 100 Seiten haben sollte. Daraus ist dann eben "Kolks blonde Bräute" mit 300 Seiten geworden. Und während des Schreibens ist mir aber aufgefallen, wie sehr sich das Thema des Dorfes, aus dem ich komme, in den Vordergrund gespielt hat. Oder, sagen wir mal so: In den Hintergrund gespielt! Ursprünglich sollte es eigentlich mal eine rein Hamburger Geschichte werden. Aber dann tauchten eben die Figuren auf, die vom Lande kommen. Und dabei ist mir dann klar geworden, dass ich noch so viel Stoff haben würde, den ich in diesem Roman nie und nimmer würde unterbringen können. Und dass das auch mein Thema auf einige Sicht hin sein könnte. Und insofern habe ich es in einem Anflug von, na so eine Mischung aus – wie soll man sagen? Aus vorauseilender Fairness und Größenwahn habe ich dann gleich drauf geschrieben "Hagener Trilogie I”. Das war mehr so eine Schnapsidee, im Grunde genommen."

    Die in der Großstadt gestrandeten Landeier mit ihren bizarren Geschichten, verkorksten Lebensläufen, ihrer auch von Hektolitern Bier nicht zu stillenden Sehnsucht nach so etwas altmodischem wie Heimat machen Schulz` Debütroman, 1991 bei Haffmanns erschienen, zum Geheimtipp der Kritiker – während es um den Autor für zehn lange Jahre sehr still wird. Das ändert sich schlagartig, als Schulz im Herbst 2001 den Mittelteil seiner Trilogie vorlegt: "Morbus fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien”, ein eng bedruckter Ziegelstein von 760 Seiten. Die eingebildete "Fontanellenkrankheit”, die Schulz`Helden Bodo Morten, genannt "Mufti”, aus der Redaktion des "Elbe-Echos” in die geschlossene Abteilung einer fränkischen Nervenheilanstalt führt, ist fürs Feuilleton das schönste Leiden der Saison: Ein kreativer Sprung in der Schüssel! Doch am Tag der Premierenlesung erreicht den Autor die Nachricht vom Konkurs seines Verlags; während nach und nach die tollsten Rezensionen eintrudeln, wird die Auslieferung von "Morbus” gestoppt. Ein Albtraum. Schulz hat Glück im Unglück: Noch 2002 bringt Eichborn, sein neuer Verlag, "Morbus fonticuli” in den Handel, 2004 legt Gerd Haffmanns eine neu durchgesehene Fassung des lange vergriffenen, bei Ebay zu Spitzenpreisen gehandelten Erstlings für Zweitausendeins auf. Vielleicht ist es diesen mildernden Umständen geschuldet, dass Schulz-Leser nicht erneut zehn Jahre bis zur Wiederbegegnung mit Bodo Morten warten mussten. Wieder geht es, wie auch anders, um Sucht, Suff und Sehnsucht, um Heimat und das richtige Leben im falschen. Allerdings lässt der Autor den letzten Band seiner Trilogie nicht im regengetränkten Norden Deutschlands, sondern unter südlicher Sonne spielen.

    " Inhaltlich ist bei mir schon der Entschluss gereift, ihn nach Griechenland zu schicken, während ich noch an "Morbus fonticuli” schrieb. Der Impetus war schon viel früher: 1987 war ich mit meiner Frau zum ersten Mal in Griechenland. Und ich glaube, so 1990 … Richtig! Da waren wir auf dem Peleponnes, mit mehreren Freunden. Und damals hab ich schon gedacht: Das ist im Grunde ein ideales Milieu für einen Roman. Bin damals noch davor zurückgeschreckt, weil ja diese ganzen mythologischen Komponenten, und Weltliteratur … Das erschlägt einen ja geradezu! Aber so um den Dreh hatte ich zumindest schon mal die Idee, da was spielen zu lassen. Und als ich dann eben in der Schlussphase von "Morbus fonticuli” war, dachte ich, dass es ganz schön wäre, wenn er … das passt auch! Er kommt halt aus der Klapse, und kriegt kein Bein hier auf die Erde – und verduftet dann eben! Das fand ich schlüssig. "

    Bodo Morten hat der heiligen Dreifaltigkeit legaler Rauschmittel – Alkohol, Nikotin, Sex – abgeschworen und sich nahe eines Fischerdorfs am Ionischen Meer angesiedelt. In seiner "Villa Arkadia” mit Blick auf jene Bucht, wo Odysseus einst den Zyklopen geblendet haben soll, geht er einem per Stundenplan penibel geregelten Tagwerk nach. Homer, Griechisch-Vokabeln, Meditation, Gymnastik und halbgare Dichtversuche. Einziges geselliges Vergnügen sind die allabendlichen Besuche in der Taverna Plaka, in der sich griechische Ureinwohner, Touristen und deutsche Alltagsflüchtlinge mischen.

    Bodo, Plebejer mit Magisterabschluss, schwurbelt kräftig mit, bleibt seinen asketischen Grundsätzen jedoch treu. Nur zu gut hat er das Wort seiner Therapeutin im Ohr: "Ihr Problem, Herr Morten, ihr Problem ist DAS WEIB." Die gynäkologische Gelassenheit, die sich Bodo in seiner Zeit am Ionischen Meer anmeditiert hat, gerät aus den Fugen, als eine gewisse Monika Freymuth in der Taverna Plaka auftaucht.

    Die deutsche Touristin entpuppt sich als Bodos erste, vergebliche Liebe: Seine Kinderschützenprinzessin vom Beeckdörper Dorfschützenfest 1969. Bodo Mortens selbst gebasteltes Arkadien gerät aus den Fugen.

    In bacchantischen Nächten in der Taverna Plaka, im ouzo-befeuerten Stimmen-Chor der Spießer und Spinner, Schnorchler und Taucher, Schrauber und Camper aus aller Herren Länder läuft Schulz`O-Ton-Soundmaschine auf Hochtouren. Eckard Henscheid, Heino Jaeger und, ja, auch Olli Dittrichs "Ditsche” lassen grüßen. Seinen von der eigenen Vergangenheit eingeholten Helden indes nimmt der Autor sprachlich an die Kandare. "Getting old is not for sissies”, Altwerden ist nichts für Waschlappen - Bette Davis` goldene Worte gelten für Frank Schulz wie für sein alter ego Bodo Morten.

    " Stilistisch gesehen war es so, dass ich mich wirklich sehr schwer getan hab, für den dritten Roman einen neuen Ton zu finden. Und ich wollte aber einen neuen Ton finden! Ich hab mit dem alten experimentiert, und es hing mir zum Hals raus. Ich wollte nicht, dass der noch genau so weiter geifert und cholerisch da seine Worthülsen drechselt. Und ich hab lange dran rumgedoktert, wie ich das mache. Wie ich das machen kann – ohne mich selber zu verleugnen, oder zu verlieren. Oder was auch immer. Aber ich konnte es ums verrecken nicht übers Herz bringen – oder über die Feder – so weiterzumachen wie in "Morbus”. Das schien mir für mich selber nicht stimmig. Und auch nicht für Mufti! Wer nicht mal mehr "Mufti” genannt werden will, der muss doch wenigstens etwas gelernt haben. Das war mir doch dann wichtig. Also, dieses Aufgeregte, das Cholerische, das Wütende und ständig mit einem dicken Hals schreiben – das wollte ich ihm nicht mehr zumuten! Mir auch nicht! Vor allen Dingen mir nicht …"

    Bodo Morten, "Buhmann", der heillose Melancholiker und abstinent lebende Frührentner, wird rückfällig. Der erotische Wiederholungstäter greift zur Ouzo-Bombe und lässt sich einen Leberhaken nach dem anderen verpassen. Eigentlich will er noch immer zurück, ins Dorf seiner Kindheit. "Sehnsucht ist schlimmste Sucht, die gibt. Kriegst Du niemals weg”, weiß Theo, das Ouzo-Orakel. Der in seinem Campingbus auf einem Berggipfel lebende griechische Einsiedler, der seinen Schopenhauer und Musils "Mann ohne Eigenschaften” im Original liest, schiebt Bodo sacht auf den Boden der Tatsachen: "Wart ihr Prinz und Prinzessin, aber sie hat gelebt Leben, was du bist geflohen… Heimat gibt nur in Kindheit.” Die Realität hat unseren Helden wieder.

    " Ich hätte mir kein anderes Schicksal für ihn vorstellen können als dieses. Also, sowohl von der Anlage der Geschichte her - das MUSS scheitern mit Monika, das ist ja ganz klar! Und vor allen Dingen muss es auch metaphorisch scheitern: Weil, es gibt halt dieses "Paradies”, oder "Arkadien” nicht. Jedenfalls nicht, wenn man es so betrachtet wie Buhmann es tut. Insofern muss er da leider durch! Tut mir ja selber weh … ich muss aber auch sagen, dass es mir auch Spaß gemacht hat, ihn so voll in die Falle laufen zu lassen! Das kann ich nicht abstreiten … Also, Buhmann als Odysseus – dat haut eigentlich nich richtig hin. Also, von Hagen nach Griechenland und zurück, OK (lacht) Aber ob DAS eine Odyssee genannt werden kann? Wage ich doch zu bezweifeln!"

    Ein erzkomischer und zugleich hemmungslos sentimentaler Roman, der Kitsch und Kunst, E und U auf wunderbare Weise versöhnt, ist Schulz, dem Mann mit dem nahezu absoluten Gehör für gesprochene Sprache, immerhin gelungen. Frank Schulz spürt die Zäsur, die der Schlussstein seiner Trilogie auch für ihn selbst bedeutet. 15 Jahre hat er mit seinen Figuren, ihren Macken und Milieus gelebt – jetzt reicht es! Seine Leser indes würden wohl nur zu gern wissen, wie es mit Bodo, Satschesatsche, Strong Man und Erwin, den "Bakchen” Karin und Manu und all den anderen, deren kleine Marotten und große Gefühle man längst lieb gewonnen hat, weitergeht.

    " Also, Sie berühren da durchaus einen wunden Punkt. Ich weiß es noch nicht, wie das weiter geht. Ich könnt mir vorstellen, dass ich – was das Personal angeht – den ein oder anderen Spin off, wie es ja beim Film heißt, mache. In Form von Erzählungen, beispielsweise. Aber im Grunde ist der ursprüngliche Impuls, über den wir vorhin gesprochen haben, was die Trilogie angeht … im Grunde ist dieser ursprüngliche Impuls, also so ein Räsonnement über Heimat, oder Meditation über Heimat im soziologischen Sinne, eigentlich abgeschlossen. Das Thema interessiert mich allenfalls noch weiter akademisch – aber nicht mehr als Schriftsteller. Glaube ich. Vielleicht kommt es ja irgendwann noch mal wieder. Aber im Grunde bin ich schon sehr froh, dass ich Bodo vom Hals hab. Mit dem will ich eigentlich erst mal nichts weiter zu tun haben. Vielleicht in 20 Jahren mal wieder. "

    Frank Schulz: Das Ouzo-Orakel.
    Eichborn Berlin 2006.
    545 Seiten
    24.50 EURO.