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Landespolitik
Hannover zwischen Machtzentrum und drögem Image

Den Autor, Filmemacher und Medienprofessor Lutz Hachmeister hat die Diskrepanz Hannovers zwischen drögem Image und großer Politik bewogen, sich ihr in einem ganzen Buch zu widmen. "Hannover. Ein deutsches Machtzentrum" ist nicht nur eine Beschreibung wie diese Stadt, sondern wie Landespolitik überhaupt funktioniert.

Von Ulrike Winkelmann | 09.05.2016
    Drei Arbeiter in grünen Warnwesten mit der Aufschrift "Presse" arbeiten an dem fast komplett aufgerollten Teppich. Einer fegt Schneegraupel weg.
    Ein roter Teppich für die Ankunft von US-Präsident Barack Obama wird 24.04.2016 auf dem Airport Hannover nach einem Graupelschauer gefegt. (Peter Steffen / dpa)
    "Zu hässlich für München / Zu dumm für Berlin / Zu trendy für Bautzen / Zu männlich für Wien / Zu pleite für Hamburg / Zu reich für Schwerin / Dann komm nach Hannover / Denn da gehörst Du hin" sangen im Jahr 2002 die "Aromaboys" in ihrem "Hannoverlied". Damit führten sie aus, was der berühmte Sohn der Stadt, Theodor Lessing mit dem "Paradies des Mittelstandes, der Bemittelten und jeder Mittelmäßigkeit" gemeint haben könnte.
    Andererseits: Gerhard Schröder, Christian Wulff, Philipp Rösler, Sigmar Gabriel, Jürgen Trittin, Frank-Walter Steinmeier und Ursula von der Leyen: Über Jahre sah es so aus, als würde das politische Spitzenpersonal der Bundesrepublik vor allem in Hannover rekrutiert. Und dann gewann auch noch eine junge Hannoveranerin namens Lena den Eurovision Song Contest.
    Genau an dieser Stelle, als Lena Meyer-Landrut am 30. Mai 2010 unter großem Jubel in Hannover aus dem Flugzeug steigt und sich die komplette deutsche Presse fragt, ob Hannover die heimliche Hauptstadt der Republik ist, steigt Lutz Hachmeister mit seiner Analyse ein.
    Der Ruf, so wirklich ganz und gar unbesonders zu sein, haftet Hannover nicht erst an, seitdem es als eine monumentale, autogerechte Bausünde nach dem Krieg wieder errichtet wurde. Ist es nun möglich, dass sich unter der Tarnkappe der Durchschnittlichkeit ein Milieu entwickeln konnte, das durchsetzungsfähige Menschen gleich in großer Zahl hervorbringt?, fragt sich Hachmeister.
    "Mit diesem Egalitarismus und den kurzen politischen Wegen über Parteigrenzen hinweg übt Hannover offenbar eine hohe Integrationskraft aus, die den Aufstieg in die bundespolitische Arena erleichtert. Je weniger Hannover für Außenstehende kenntlich war, desto stärker konnten niedersächsische Ministerpräsidenten wie Ernst Albrecht, Gerhard Schröder, Sigmar Gabriel und Christian Wulff bundespolitischen Einfluss reklamieren."
    Geschichte der Leine-Stadt
    Hachmeister blättert in seinem Buch "Hannover. Ein deutsches Machtzentrum" die Geschichte der Leine-Stadt in jede Richtung auf - und steigt in die berühmt-berüchtigten Wein- und Partykeller hinab, wo Gerhard Schröder mit seinen Freunden und Förderern zu kickern – in Hannover sagt man krökeln – pflegte. Hier findet Hachmeister das Netzwerk trinkfester Männer mit zum Teil großem Vermögen; Leute, die sich gegenseitig helfen und auch einmal Feuerschutz geben, wenn die Zeiten schlechtere werden.
    So vertrat etwa der Anwalt Götz von Fromberg nicht nur über Jahre treu den Hells-Angels-Chef und Bordell-Betreiber Frank Hanebuth, sondern bot auch Gerd Schröder Unterkunft, als der bei seiner damaligen Gattin Hillu herausgeflogen war. In Frombergs Keller feierte Schröder mit den Handels- und Industriegrößen der Region.
    "Also, das ist sehr 20. Jahrhundert, die sogenannte Hannover-Connection, mitunter sogar 19. Jahrhundert, dieses auch Militärisch-preußisch-Männerbündische, das zusammen mit dem Welfischen eben Hannover ausmacht, das spürt man da noch sehr. Götz von Frombergs Herrenabend ist auf der einen Seite ein Unikum, aber auf der anderen Seite mit dem Ausschluss von Frauen bis 24 Uhr auch sehr signifikant für Hannover – eben hemdsärmelig männerbündisch bis zur Basta-Politik von Schröder. Das passt alles stilistisch sehr gut zusammen – das hat übrigens dazu geführt, dass der Wulff ein totaler Außenseiter war, der da nie mitspielen durfte. Der war sehr froh, dass Maschmeyer ihn in seine Arme genommen hat."
    "Hannover-Connection"
    Diese "Hannover-Connection" ist vielen möglicherweise noch sehr präsent, umso größere Vorsicht wäre bei der Darstellung etwa der Bedeutung des Finanzunternehmers Carsten Maschmeyer geboten gewesen. Dessen Einfluss auf die Gestaltung der Riesterrente übertreibt Hachmeister reichlich. Wer sich damals mit Sozialpolitik beschäftigte, weiß: Traurigerweise brauchte die SPD keinen windigen Finanzproduktehändler, um das Rentensystem zu beschädigen.
    An anderer Stelle arbeitet Hachmeister wichtige kleine Szenen heraus, die nicht jedem geläufig sind. Was etwa einen niedersächsischen Ministerpräsidenten immer schon von anderen Landesfürsten unterschieden hat, ist sein Aufsichtsratsmandat beim mächtigen Autobauer Volkswagen.
    Hachmeister beschreibt, wie Christian Wulff hier einen Frontalangriff wagte:
    "Die Macht der kombinatsartigen VW-Querfront in Wolfsburg und Hannover aus Piech, der IG Metall, Schröder und Hartz war Wulff schon in seiner Zeit als Oppositionspolitiker schmerzlich bewusst geworden. Im Grundsatz war das unappetitliche Bonus- und Lustreisen-System rund um den VW-Betriebsratschef Klaus Volkert allen Eingeweihten bekannt, über das dann auch der spendable Peter Hartz stürzte, aber Wulff und seine Crew warteten bis 2005, also genau bis ins Vorfeld des Bundestagswahlkampfs, bis die Skandale um Bordellbesuche und betriebsbezahlte Geliebte via Focus öffentlich gemacht wurden."
    Man muss schon ein sehr engmaschiges Interesse an der Politik der letzten 20 Jahre haben, um Hachmeister in alle Winkel seiner Schilderungen zu folgen. Doch viele Momente, die weiter zurückliegen, bereitet er lehrreich und vielsagend auf – etwa wie 1976 der vom Keks-Magnaten Werner Bahlsen gesponserte CDU-Kandidat Ernst Albrecht plötzlich Ministerpräsident wurde. Bei einer rein formalen Abstimmung enthielten sich einige unbekannte sozialliberale Landtagsabgeordnete überraschend der Stimme. Es wird bis heute nicht ausgeschlossen, dass hier Geld geflossen war, um auch den Politikwechsel im Bund mit vorzubereiten.
    Machtmodell Hannover im Abstieg
    Insgesamt aber sieht Hachmeister das Machtmodell Hannover im Abstieg begriffen – er zieht Parallelen zur SPD alten, machohaften Zuschnitts und zum Fußballverein Hannover 96.
    Es gibt immer noch gewichtige Minister im Kabinett, da ist noch viel Niedersachsen im Bund. Aber der ganz große Hype - man hat schon das Gefühl, so wie der Fußballverein jetzt absteigt, ist auch die politische Szenerie in Hannover in die Zweite Liga gelangt. Wobei man schon sagen muss, dass der Stefan Weil eine Art stiller Star ist. Es war schon mal schillernder, glänzender."
    Hachmeisters Buch ist mehr als eine Reihe von Anekdoten aus einer Provinzhauptstadt. Hannover wird nicht nur unter die Lupe genommen - es wird selbst zur Lupe für eine Beschreibung, wie Landespolitik funktioniert; denn dass der Filz etwa in Nordrhein-Westfalen oder Bayern dünner wäre als in Niedersachsen, glaubt auch Hachmeister nicht. Er zeigt deutlich, wie viel enger die personellen Verflechtungen auf regionaler Ebene sind als im Bund – auch solche, bei denen Geld im Spiel ist. Eine wichtige Botschaft ist das nicht zuletzt an die Lobsänger des Föderalismus in Deutschland und an solche, die immer meinen, in der Bundeshauptstadt sei das Verderben zu Haus.
    Lutz Hachmeister: Hannover. Ein deutsches Machtzentrum. DVA