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Landgang für Roboter

Robotik. - Forscher grübeln seit Jahren, was sich wohl am Nervensystem und an der Fortbewegung geändert hat, damit aus Wassertieren Landlebewesen werden. Schweizer Forscher haben jetzt einen künstlichen Salamander entwickelt, mit dem sie dem Geheimnis auf der Spur sind. In der aktuellen "Science" berichten sie darüber.

Von Sabine Goldhahn | 09.03.2007
    Über 300 Millionen Jahre ist es her, da passierte an den Küsten der Urkontinente etwas Seltsames. Den Wassertieren genügte das Wasser nicht mehr. Die ersten Quastenflosser haben ihre Flossen an Land gesetzt und schon bald folgten ihnen andere Tiere.

    Lausanne 2007: Hier wird im Kleinen das nachvollzogen, was vor Jahrmillionen auf der Erde passierte. In einem knapp zwei Meter langen Wasserbecken schwimmt ein knallgelber Salamandervon etwa 85 cm Länge. Sein Körper ist etwa 5 cm dick und in neun Segmente aufgeteilt, jedes mit einem kleinen Gelenk verbunden. – Das ist keine neue Spezies, sondern ein Roboter. Mit eleganten schnellen Bewegungen schwingt er seinen Schwanz und seinen Körper s-förmig hin- und her und schwimmt dabei vorwärts. Plötzlich bekommen seine vier schwarzen Stummelfüße Bodenkontakt. Sie beginnen sich zu drehen und über ein kleines Holzbrett geht es hinaus aus dem Wasser. Der Salamander-Roboter erobert sich das Land.

    "Im Gegensatz zu anderen Wirbeltieren hat der Salamander seine Füße seitlich am Körper und nicht darunter. Damit er überhaupt laufen kann, muss er diese große wellenförmige Bewegung seines Körpers machen und sie mit der Fußbewegung koordinieren."

    Für Auke Ijspeert von der Ecole Polytechnique Fédérale in Lausanne ist der Salamander das ideale Studienobjekt. Er kann laufen und schwimmen, und seine Verwandten gab es in ähnlicher Bauweise schon vor 300 Millionen Jahren, beim Übergang vom Wasser- zum Landleben. Wie andere Wirbeltiere hat er ein Nervensystem mit Gehirn und Rückenmark, das die Muskeln des Körpers und der Gliedmaßen steuert. Für seine Forschungen hat Ijspeert das Salamander-Nervensystem in ein sogenanntes Rückenmarksmodell zerlegt: mathematisch und im Roboter. Ijspeert:

    "”Wir haben ein Rückenmarks-Modell des Salamanders komplett programmiert. Es besteht aus vielen Impulsgebern, die wie echte Nervenzellen entlang des Rückenmarks miteinander gekoppelt sind und ständig Signale feuern. Dazu hat jedes der vier Beine eigene Impulsgeber, die auch mit denen des Rückenmarks verschaltet sind. Ein externer Computer mit Fernbedienung stellt die übergeordnete Schaltstelle dar, also etwa das Gehirn. Und von dort aus ändern wir nur die Stimulationsfrequenz des Rückenmarks und die Bewegungsrichtung, mehr nicht.""

    Alles andere passiert von allein. Wenn man den Roboter mit hoher Frequenz erregt, bewegt er sich schlängelnd wie ein Aal durchs Wasser. Dann feuern nur die Impulsgeber im Rückenmark, die Beine bleiben ruhig. Bei niedriger Stimulation sind alle Impulsgeber aktiv, sowohl die entlang des Rückenmarks als auch jene für die Beine. Dann krümmt der Roboter seinen ganzen Körper s-förmig und setzt abwechselnd seine Füße auf. Ijspeert:

    "”Wenn man das System zu sehr erregt, sind die Impulsgeber der Beine gesättigt, sie machen dann gar nichts mehr, dann setzt wieder die primitivere Bewegung ein, das Schwimmen, und das geht mit viel schnellerer Frequenz. Sobald die Impulsgeber der Beine wieder aktiv sind, verlangsamen sie das ganze System.""

    Je nachdem, wie Auke Ijspeert sein Salamander-Modell stimuliert, entsteht immer nur eine Bewegung: Schnelle Reize bewirken Schwimmen, langsame hingegen Laufen. Beide Bewegungsformen können nur durch eine kleine Änderung der Reize ineinander umgeschaltet werden. Ijspeert:

    "”Vom Computer oder vom Gehirn sind nur ganz wenige Signale für die Fortbewegung nötig. Anders als man bisher glaubte, ist Fortbewegung nämlich kein reflexartiges Verhalten. Man braucht gar keine Rückkopplung von den Gliedmassen oder den Muskeln. Die Bewegung kann ganz allein durch das Rückenmark gesteuert werden.""

    Der Forscher hofft, dass seine Entdeckungen gleich an mehreren Stellen Nutzen bringen. Mit einem besseren Verständnis des Rückenmarks könnte man vielleicht Therapien entwickeln, um es bei Querschnittsgelähmten elektrisch zu stimulieren. Oder bei Naturkatastrophen schicken Retter per Fernbedienung die Roboter mit einer Kamera ins Wasser, um Überlebende zu suchen. Ijspeert:

    "”Mit diesem Modell kann man in Zukunft auch die Fortbewegung anderer Roboter ganz einfach fernsteuern, denn es müssen nicht mehr alle Motoren einzeln geschaltet werden. So hat der Mensch nicht mehr viel zu tun, fortbewegen kann sich der Roboter dann fast von allein.""