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Landkarten des Lärms

Donnernde Flugzeuge, ratternde Güterzüge, dröhnende Maschinen. Sie zählen sie zu den scheinbar unvermeidbaren Nebenwirkungen unserer Gesellschaft. Doch der Lärm, den sie erzeugen, nervt nicht nur, er macht auch krank. Aus diesem Grund hat die EU dem Lärm den Kampf angesagt.

Von Frank Grotelüschen | 27.06.2010
    "Lärm kann das Gehör stark schädigen."

    "Je lauter der Fluglärm war, umso ausgeprägter zeigten sich bei Kindern, die in der Nähe eines Flughafens zur Schule gingen, Leseschwächen und Gedächtnisdefizite."

    "Einige der schwerwiegendsten Folgen sind Bluthochdruck und ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen."

    Lärm. Begleiterscheinung unserer Gesellschaft, Nebenwirkung der Zivilisation. Lärm nervt nicht nur, Lärm gefährdet die Gesundheit. Deshalb sollen Menschen, die an Flughäfen leben, an Hauptverkehrsstraßen, Bahngleisen und lauten Fabriken, fortan besser geschützt werden. So jedenfalls will es die Europäische Union. 2002 verabschiedete sie eine Richtlinie, die Umgebungslärm-Richtlinie. Eine Kampfansage an den Lärm.

    "Diese Richtlinie besagt","

    Christian Popp, Lärmkontor, ein Beratungsbüro in Hamburg.

    ""dass europaweit mit möglichst einheitlichen Methoden unter einheitlichen Rahmenbedingungen festgestellt wird: Wie laut ist es wo? Welche Schallquellen sind dafür verantwortlich? Und welche Maßnahmen kann ich ergreifen, um es leiser zu machen?"

    Der erste Schritt der Richtlinie: eine Bestandsaufnahme. Ein Überblick darüber, wo es in Europa zu laut ist. Das Ziel: eine detaillierte Landkarte des Lärms. Stadtpläne, die zeigen, wie laut es in jeder Straße, auf jedem Platz ist. Lärmkartierung, so heißt das Verfahren.

    "Stellen Sie sich mal vor, Sie sollen alle zehn Meter einen Punkt messen, möglichst über ein Jahr, um alle meteorologischen Einflüsse und alle Verkehrsbedingungen zu erfassen. Dann bräuchten Sie sehr viele Messgeräte, sehr viele Menschen, die das auswerten. Das würde unendlich lange dauern. Deswegen haben sich alle EU-Mitgliedsstaaten entschieden, Rechenverfahren zu nehmen. Diese Rechenverfahren basieren natürlich auf Messung. Das ist relativ einfach gemacht: Wenn ich weiß, wie laut ein PKW in zehn Meter Entfernung bei der Vorbeifahrt bei einer bestimmten Geschwindigkeit auf einem bestimmten Straßenbelag ist, dann weiß ich auch, wie laut zwei sind, oder wie laut vier sind.""

    Genauso funktioniert das für Züge, Flugzeuge und Fabriken. Außerdem berücksichtigt die Software, wie die Häuser entlang einer Straße den Schall von Autos, Flugzeugen und Fabriken reflektieren – ob sie ihn dämpfen oder aber verstärken.

    "Das Ganze funktioniert in dreidimensionalen Rechenmodellen, die für ein Raster, vielleicht in zehn Meter Abstand, Pegelwerte berechnen. Diese Pegel werden übersetzt in Farben, die von grün, Schlafen bei gekippten Fenstern möglich, bis zu rot, gesundheitsgefährdender Bereich, dargestellt werden."

    Oktober 2009. Die Europäische Umweltagentur veröffentlicht die erste umfassende Lärmkarte Europas. Das Ziel der Umgebungslärm-Richtlinie scheint damit erreicht. Aber:

    "Die Lärmkarte der Europäischen Umweltagentur ist ein Artefakt. Denn noch ist es so, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union alle unterschiedliche Verfahrensermittlung der Lärmpegel benutzen. Alle eine unterschiedliche Einschätzung davon haben, wie laut ein PKW ist, dass die Straßenbeläge unterschiedlich eingestuft werden, dass die Schienenfahrzeuge unterschiedlich eingestuft werden. Ich glaube, das ist nur ein Versuch zu zeigen: Wir haben so etwas wie eine Karte. Viel anfangen kann man damit nicht. Aber sie transportiert das Thema. Das ist das Hauptziel dieser Geschichte."

    Bis eine einheitliche europäische Lärmkarte auf dem Tisch liegt, wird es noch Jahre dauern. Für einzelne Regionen und Städte aber gibt es bereits gute Karten. Nur: Was fängt man damit an?

    "Authorities can see of their City…"

    Erwin Hartog van Banda, Ingenieurbüro DGMR, Den Haag.

    "Die Behörden können sehen, wo genau in ihrer Stadt es zu laut ist, wo die Grenzwerte überschritten werden. Auf dieser Basis können sie dann entscheiden, an welchen Stellen sie aktiv werden und zum Beispiel Lärmschutzwände an einer Straße aufstellen müssen."

    Bandas Firma entwickelt Computerprogramme, mit der sich Lärmkarten erstellen lassen. Und sie geht sogar noch einen Schritt weiter: Zusätzlich erlaubt die Software Vorhersagen – ein nützliches Werkzeug für Lärmschützer und Stadtplaner. Ein Beispiel: Ein Konzern will eine neue Fabrik bauen. Welchen Lärm wird sie machen, und wie viel kommt in der Nachbarschaft davon an? Banda tippt ein paar Befehle in die Tastatur, auf dem Bildschirm erscheint ein digitaler Stadtplan.

    "Es ist ein Hafengebiet. Hier in der Mitte wollen wir ein neues Fabrikgebäude hinsetzen, mit einer Höhe von sagen wir acht Metern. Zuerst gebe ich ein, welche Geräusche von der Fabrik ausgehen werden: Auf dem Dach brummt eine Kühlanlage, außerdem wird die Fabrik laufend von Lastwagen angefahren. Jetzt gebe ich ein, wie laut diese Lärmquellen sind. OK, nun kann ich die Simulation starten und den Computer ausrechnen lassen, wie sich der Bau der Fabrik auf die Umgebung auswirken würde. So, der Rechner ist fertig, ich kann mir das Ergebnis auf dem Bildschirm anschauen. Und Sie sehen: Hier vorn ist es rot, da ist der Lärmpegel gestiegen. Doch hinter der Fabrik ist es grün, da ist es leiser als vorher. Denn die Fabrik schirmt einen Teil des Verkehrslärms von der Straße ab."

    Neue Gebäude können sich also negativ wie positiv auf den Lärmpegel auswirken. Die Software erzeugt Lärmkarten, die die Folgen sichtbar machen. Und die zeigen, wie effektiv eine geplante Lärmschutzwand ist. Doch manche Experten meinen: Mit bunten Karten allein ist es nicht getan.

    "Die Lärmkarten der Zukunft werden anhörbar sein."

    Professor Michael Vorländer, Leiter des Instituts für Technische Akustik, RWTH Aachen.

    "Es ist für die Stadtplaner viel einfacher zu verstehen, wie Lärmschutzwände wirken, wenn man sich das anhören kann und wenn man nicht nur einfach farbige Karten anschaut."

    Vorländer arbeitet an Computerprogrammen, die Lärm simulieren, und zwar akustisch. Auralisation, so heißt das Verfahren.

    "Auralisation ist das Pendant der Visualisierung. Man kann Dinge, die man im Computer generiert, in einer graphischen Darstellung zu Gesicht bringen. Also man kann es sich anschauen, das wäre Visualisierung. Das Ganze für das Ohr würde eine Auralisation bedeuten, sodass man eine Sache, die im Computer modelliert wird, zum Anhören präsentiert. Über Kopfhörer oder über Lautsprecher."

    Wie würde ein Saxofon in einem Klassenraum klingen? Und wie in einem Konzertsaal? Vorländers Software gibt die Antwort – eine akustische Antwort.

    Der Verkehr an einer lauten Straße. Die Planer erwägen, eine Schallschutzwand zu bauen.

    "Dann würde man ein Computermodell der Stadt mit den akustischen Daten generieren. Man würde die Schallausbreitung berechnen. Man würde danach eine Schallschutzwand einfügen, wiederum diese Berechnung machen, und hätte unmittelbar einen Vergleich zwischen dem Zustand vorher und nachher."

    Und so wird aus der lauten Straße per Mausklick eine erträgliche Wohngegend.

    "Am Ende muss man sie ja bezahlen. Und die Motivation, Geld für Lärmschutz-Maßnahmen zu investieren, steigt dann, wenn man eine Akzeptanz schafft und dies über eine Auralisation vermittelt."

    Bislang sind die Verfahren noch zu aufwendig für Stadtplaner, Architekten und Ingenieurbüros. Aber das, meint Vorländer, wird sich bald ändern. Ein weiteres Manko der Lärmkarten: Sie zeigen nicht, welche Art von Lärm die Menschen besonders belastet. Beispiel Fluglärm.

    "Wenn wir uns die 70er Jahre anschauen: Da gab es relativ wenige Ereignisse. Aber die Jets waren sehr, sehr laut."

    Mark Brink, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie, ETH Zürich.

    "Heute haben wir ungefähr 20 Dezibel weniger. Dafür haben wir heute viel, viel mehr Einzelereignisse. Und die Frage, die sich hier stellt: Auf was reagiert man eigentlich mehr – auf ein einzelnes, sehr lautes Ereignis? Oder ist es die schiere Menge an Einzelereignissen, die dazu führt, dass die Leute trotz geringerem Pegel belästigter auf Fluglärm reagieren als früher?"

    Die Antwort auf diese Frage kennen die Forscher noch nicht. Beispiel Zuglärm. Bislang nahmen die Experten an, das Geräusch von vorbeirauschenden Zügen störe die Menschen weniger als Flug- oder Autolärm. Man sprach vom Schienenbonus, bis heute findet er sich in Lärmschutzverordnungen wieder. Offenbar eine veraltete Auffassung:

    "Soviel jetzt bekannt ist, sind es insbesondere nächtliche Zugvorbeifahrten, die ein ausgeprägtes Aufweckpotenzial haben, vor allem wenn man nahe an der Bahnlinie wohnt. Das ist ein Paradigmenwechsel in der Forschung, weil man bisher angenommen hat, dass Bahnlärm am wenigsten belästigend ist."

    Informationen wie diese enthalten die Lärmkarten bislang nicht. Dennoch ist ein Anfang gemacht. Doch wie genau soll es jetzt weitergehen? Die EU-Richtlinie empfiehlt, dass jede Stadt, jede Region in Europa einen Aktionsplan gegen den Lärm entwickelt. Mancherorts sitzen die Experten bereits an solchen Plänen, etwa Christian Popp in Hamburg.

    "Hamburg war relativ schnell fertig mit der Lärmkartierung. Dann sind wir gebeten worden, mal zu überlegen. Das Ergebnis war: Wir machen zunächst eine strategische Aktionsplanung zur Lärmminderung. Jetzt befinden wir uns in der Phase, dass wir die Bürgerinnen und Bürgern beteiligen und sagen: Das haben wir bis jetzt überlegt. Jetzt sagt ihr uns bitte mal, wo ihr ein Problem habt."

    Nun suchen die Experten nach Lösungen: In welchem Wohngebiet könnte eine Lärmschutzwand sinnvoll sein? Wo sollte man eine verkehrsberuhigte Zone einrichten? Was ist überhaupt bezahlbar? Popp:

    "Aus diesen strategischen Aktionsplanungen macht man, hoffen wir, bis 2012 einen gesamtstädtischen Lärm-Aktionsplan, der dann, wo er noch nicht umgesetzt ist, sukzessive abgearbeitet wird."

    Dabei helfen können neue Konzepte und Techniken für den Lärmschutz, an denen Forscher in ganz Europa arbeiten. Beispiel 1: die fast perfekte Lärmschutzwand.

    "A sonic crystal is a periodical structure."

    Victor Sanchez Morcillo, Physikprofessor, Polytechnische Universität Valencia.

    "Ein Schall-Kristall besteht aus einer besonderen periodischen Struktur. Das kann zum Beispiel ein Kunststoffwürfel ein, in den in regelmäßigen Abständen viele zylindrische Löcher gebohrt sind. Oder es sind Abertausende kleine Säulen, regelmäßig angeordnet wie Soldaten auf dem Exerzierplatz. Solche Kristalle kennen wir erst seit einigen Jahren. Und mit solchen Kristallen kann man die Schallausbreitung gezielt beeinflussen."

    Ein Prisma kann einen gebündelten Lichtstrahl stark auffächern. Einen ähnlichen Effekt kann ein akustischer Kristall auf ein Schallsignal haben: Die regelmäßig angeordneten Säulen können die Schallwellen streuen, quasi aus ihrer Richtung ablenken – und zwar so, dass sie sich gegenseitig auslöschen.

    ""So eine Struktur kann bestimmte Frequenzen aus dem Signal filtern. Einige Frequenzen werden dabei komplett entfernt. Für diese Frequenzen ist der Schall-Kristall ein perfekter Absorber. Und das ist sehr hilfreich, wenn man Lärm dämmen will."

    Wie effektiv moderne Dämmmaterialien sind, zeigt ein Beispiel aus dem Fraunhofer-Institut für Bauphysik. Ein Klassenzimmer mit Parkettboden, nackten Wänden und verputzter Decke. Jetzt ist die Decke mit Schallschutz-Platten verkleidet, sogenannten mikroperforierten Platten. Die Raumakustik wird hörbar besser. Jetzt kommen noch Wandabsorber dazu. Die Stimme der Lehrerin ist nun viel besser zu verstehen. Die neuen Schallkristalle von Morcillo und seinen Kollegen könnten den Lärm eines Tages sogar noch wirkungsvoller dämpfen.

    "Nicht alle Frequenzen in einer Schallwelle haben denselben Effekt auf das menschliche Ohr. Gerade die hohen Frequenzen können besonders schädlich sein. Mit unseren neuen Materialien kann man im Prinzip gezielt auswählen, welchen Teil des Frequenzspektrums man wegfiltern will, indem man Größe und Abstand der Säulen präzise auf das jeweilige Problem abstimmt."

    "Dieser Lautsprecher wird angeschaltet, und man hört einen Schall. Dieser Schall wird dadurch hörbar, dass er diese Aluminiumplatte zum Schwingen anregt und wir diese Schwingung außen hören."

    Darmstadt. Am Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit steht der Ingenieur Michael Matthias vor einem Kasten aus Plexiglas. Darin zu sehen: ein Lautsprecher, vor dem ein dünne Platte aus Aluminium aufgestellt ist.

    ""Ich schalte jetzt den Lautsprecher an. Man hört deutlich den Lärm, der aus dieser Platte heraus entsteht. Und wenn ich jetzt die Aktuatoren ansteuere, führt das zu einer Minimierung des Lärms, und ich kann den Lärm deutlich verringern!"

    Matthias und sein Team entwickeln eine Alternative zu herkömmlichen Schallschutzfenstern. Die nämlich sind rein passiv, sie leiten den Schall schlicht und einfach schlecht. Die Fraunhofer-Forscher hingegen arbeiten an einem aktiven Schallschutz. An Systemen, die den störenden Schall mit seinen eigenen Waffen schlagen – mit Antischall. Dazu haben sie das Aluminiumblech, das durch den Lautsprecher zum Schwingen und damit zum Schallabstrahlen gebracht wird, mit winzigen piezoelektrischen Aktuatoren beklebt. Diese Aktuatoren funktionieren ähnlich wie der Vibrationsalarm bei einem Handy.

    "Die Aktuatoren sind aufgeklebt auf dieses Aluminiumblech und dehnen sich aus und ziehen sich zusammen. Durch dieses Ausdehnen und Zusammenziehen leiten sie praktisch eine Verformung in dieses Blech ein. Und diese Verformung führt dazu, dass das Aluminiumblech nicht mehr vibriert. Die Kräfte heben sich auf, wenn man das entsprechend ansteuert."

    Die Ansteuerung ist das Entscheidende: Nur wenn die Aktuatoren präzise im Gegentakt zu den Vibrationen des Lautsprechers schwingen, löschen sich beide gegenseitig aus. Das Resultat: Die Platte hört auf zu schwingen und gibt keinen Ton mehr von sich. Dass die Aktuatoren im Gegentakt schwingen, dafür sorgt eine ausgefeilte Sensortechnik, die den Lärm genauestens analysiert. Das System ist hocheffektiv, sagt Matthias.

    "Wollen Sie jetzt aus ihrem Lärm, der Sie stört, nur ganz bestimmte Anteile raus blenden, dann ist es durchaus möglich, den Schall in der Größenordnung 90 Prozent drunter zu bringen."

    Künftig sollen sich Fensterscheiben und Fassadenelemente mit dieser Technik bestücken lassen, etwa bei Gebäuden in unmittelbarer Flughafennähe. Das Problem:

    "Wenn man ein Gebäude in der Nähe eines Flughafens hat, dann hat man sehr viele Systeme, die man zum Einsatz bringen muss. Da geht es noch um eine Kostenreduktion. Und da geht es auch darum, das Ganze in einem Gebäude auch einbaubar machen zu können."

    Jetzt zeigt Matthias auf ein weiteres Experiment: ein Wasserglas, das auf einer Holzplatte steht. Sie ist an einen Kompressor angeschlossen. Als Matthias ihn einschaltet, verwandelt sich die Platte in einen Rütteltisch.

    "Man sieht im Wasserglas, dass es sich langsam aufschaukelt. Dass die Vibrationen, die der Kompressor erzeugt, dazu führen, dass das Wasser unruhig wird. Das Wasserglas selbst steht auf einem aktiven Lager. Dieses aktive Lager besteht aus piezokeramischen Elementen. Und diese piezokeramischen Elemente erzeugen eine Gegenkraft, die dieser Anregung entgegengesetzt wirkt und dazu führt, dass das Wasser nicht mehr vibriert. Und das kann man sehen, indem ich das Ganze mal einschalte."

    Per Knopfdruck aktiviert Ingenieur Matthias das aktive Lager. Einen Augenblick später bewegt sich das Wasser im Glas kaum noch. Das aktive Lager hat die Vibrationen fast vollständig gedämpft – und damit auch den Lärm, den diese Vibrationen erzeugen.

    "Die Anwendungen liegen in der Lagerung von Aggregaten, Kompressoren, Motoren, Pumpen, Getrieben. Das heißt, Systemen, die irgendwo aufgestellt werden und die durch ihre Arbeitsweise Vibrationen erzeugen und diese Vibrationen in den Untergrund einleiten."

    Der Untergrund leitet die Vibrationen dann weiter und gibt sie in einiger Entfernung ab – als störenden Schall.

    "Es gibt solche Systeme schon für Schiffsmotoren am Markt. Wir gehen, was unsere Technologie ist, einen Schritt weiter. Sie ist etwas aufwändiger, aber auch leistungsfähiger."

    Beispiel 3: Naturgeräusche gegen Lärm.

    "In der Soundscape-Forschung steht der Mensch im Mittelpunkt, so wie er die Umgebung wahrnimmt."

    Brigitte Schulte-Fortkamp, Professorin für Psychoakustik, Technische Universität Berlin.

    "Es hat ganz viel mit der Bedeutung der Geräusche zu tun, ob man eine Umgebung akustisch akzeptiert oder nicht."

    Geräusche werden von Menschen völlig unterschiedlich wahrgenommen. Die laute Straße nervt einfach nur. Das Rauschen des Wasserfalls, obwohl genauso laut wie die Straße, stört viel weniger. Denn für die meisten ist das Geräusch positiv besetzt, mit Assoziationen wie Natur, Freiheit, Frische. Diese Erkenntnisse der Wahrnehmungspsychologie machen sich die Soundscape-Experten zu Nutze. Ihre Strategie, so Schulte-Fortkamp:

    "Man versucht zu maskieren mit anderen Geräuschen oder Klängen, um ein störendes Geräusch etwas in den Hintergrund zu schieben. Man macht einen akustischen Paravent, um in eine Klangwelt zu kommen, die zu den eigenen Wünschen und Bedürfnissen passt."

    Bösen Schall durch guten Schall maskieren – das kann zum Beispiel mit einem Springbrunnen gelingen. Sein Plätschern kann den Verkehrslärm drum herum zumindest teilweise überdecken. Brigitte Schulte-Fortkamp ist in Berlin einen Schritt weiter gegangen. Im September 2009 hat sie den Nauener Platz akustisch renoviert. Er liegt an einer belebten Kreuzung im Stadtteil Wedding.

    "Zusammen mit dem Senat Berlin, mit Architekten ist dieser Platz völlig umgestaltet worden. Ein wahnsinnig lauter Platz, den man maskieren konnte, teilweise mit kleinen Lärmschutzwänden. Auf der anderen Seite haben wir Soundinseln entwickelt. Die Geräusche, die auf diesen Soundinseln abgespielt werden, sind ausgewählt worden von den Menschen, die dort wohnen. Wir haben 80 Anwohnerinnen und Anwohner intensiv befragt und dann dieses Konzept für den Platz entwickelt und umgesetzt."

    Die Soundinseln stehen am Spielplatz in der Mitte des Nauener Platzes. Es sind Parkbänke, futuristisch gestaltet, mit metallenen Knöpfen in den Armlehnen. Drückt man einen der Knöpfe, ertönt Vogelzwitschern oder Wellenrauschen. Schließt man dann die Augen, könnte man sich fast in einem Wald wähnen, oder am Meer. Doch nehmen die Anwohner das akustische Angebot auch an? Wie sind die Erfahrungen mit dem Soundscape-Experiment?

    "Die sind ganz gut. Dieser Bereich, wo der Nauener Platz ist, ist eigentlich ein kritisches Gebiet. Aber es ist alles noch da, es ist nichts zerstört, es ist nichts bemalt oder besprayt. Sondern es wird wirklich genutzt, und es wird auch so genutzt, wie die Leute sich das gewünscht haben. Eigentlich ist der Platz immer noch wonnig, um das mal so zu sagen."

    Die Frage ist nur: Gibt es nicht auch Leute, denen das Vogelgepiepe und Wellenrauschen gehörig auf die Nerven geht? Ja, meinen Skeptiker, und halten das Soundscape-Konzept deshalb nur für bedingt brauchbar. Kein Allheilmittel, höchstens eine Nischenlösung für Sonderfälle. Um dem Umgebungslärm zu entgehen, kann sich schon heute jeder seine eigene Soundscape schaffen. Auf moderne Handys wie das iPhone lassen sich die verschiedensten nervenberuhigenden Geräusche laden – singende Wale, balzende Seetaucher, meditative Windspiele. Popp:

    "Jede Regelung, die von vielen Leuten zusammen entwickelt wird, hat natürlich immer einen Haufen Kompromisse in sich. Das macht die Regelwerke nicht besser, aber das macht sie konsensfähig. So ist das auch bei der Umgebungslärm-Richtlinie. Die hat schon Schwachstellen. Insbesondere dort, wo es darum geht: Wie kriege ich es leiser?"

    Wie man Lärm bekämpft – ob mit Schallschutzwänden oder -fenstern, per Verkehrsberuhigung oder aber durch geschickte Maskierung – das lässt die Umgebungslärm-Richtlinie der EU weitgehend offen. Ebenso wenig legt sie konkret Grenzwerte fest, bei denen man handeln muss. Das bleibt den Mitgliedsländern überlassen.

    "In Deutschland hat man gesagt: Das sollen mal die Bundesländer entscheiden. Und die Bundesländer haben gesagt: Na ja, das müssen die Kommunen schon selbst entscheiden, wo die Grenze liegt. Können Sie sich vorstellen, was da raus gekommen ist? Es gibt zwar einen Trend, aber es gibt eben nichts Einheitliches!"

    Schwammige Vorgaben, wenig Verbindliches, kaum Konkretes. Die Umgebungslärm-Richtlinie hat ihre Schwächen, meint Christian Popp. Dennoch: Für überflüssig hält er sie nicht.

    "Es ist schon ein großer Nutzen in der Umgebungslärmrichtlinie, dass da ein Kommunikationsprozess in Gang gesetzt wurde."

    In manchen Städten hat die Richtlinie das Bewusstsein geschärft und – wie in Hamburg – konkrete Aktionspläne in Gang gebracht. Nur: Diese Pläne umzusetzen, kostet Geld. Geld, das in den Kommunen knapp ist. Und manche Anti-Lärm-Maßnahme scheint politisch kaum durchsetzbar – zum Beispiel ein Tempolimit auf Deutschlands Autobahnen. Das aber wäre hocheffektiv, meint Christian Popp. Denn es würde Autos generell leiser machen.

    "Wir haben 7000 Kilometer Autobahn, die geschwindigkeitsmäßig unbeschränkt sind. Aus meiner Sicht produziert der gesamte Weltmarkt Autos, die auf diesen deutschen 7000 Kilometern hohe Geschwindigkeiten fahren können. Dafür müssen diese Autos Reifen haben, die diese Geschwindigkeiten aushalten. Sie müssen Sicherheitsfeatures haben, die Unfälle bei diesen Geschwindigkeiten soweit abfedern, dass ein Überleben möglich scheint. All das macht die Autos laut. Die sind dann nicht nur laut auf den 7000 Kilometer Autobahn, sondern auch, wenn sie langsam fahren in den Städten."

    Immerhin: Sollten in Zukunft mehr und mehr Elektroautos auf unseren Straßen rollen, dürfte der Lärm spürbar abnehmen. Ein Gewinn nicht nur für die Lebensqualität. Lärmschutz lohnt sich auch wirtschaftlich, meint Popp. Denn Ruhe ist ein Standortvorteil, bringt Touristen in die Stadt – und zahlungskräftige Mieter.

    "Wenn man alles mal rechnet, bin ich der festen Überzeugung, dass jeder Euro, den Sie in die Lärmbekämpfung sinnvoll reinstecken, dass Sie den mindestens wiederkriegen. Das heißt, dass man dem Aspekt Lärm eine größere Bedeutung zumisst und man dadurch ein lärmhygienisch besseres Klima schafft, das die Leute wieder in die Stadt zieht oder nicht wegziehen lässt."