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Landtagswahl in Bremen
"FDP ist bundesweit im Kriechgang auf dem Weg"

Den Wahlerfolg der FDP und der Einzug in die Bremer Bürgerschaft lasse sich nicht einfach auf die Bundesebene übertragen, sagte der Politikwissenschaftler Jürgen Falter im DLF. Dazu müssten sich die Liberalen künftig von anderen Parteien, namentlich der SPD, programmatisch abgrenzen. Die geringe Wahlbeteiligung in Bremen erklärte Falter mit geringem politischem Interesse und einem Strukturdefekt im Wahlsystem.

Jürgen Falter im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 11.05.2015
    Prof. Jürgen Falter, Politikwissenschaftler, Universität Mainz
    Prof. Jürgen Falter, Politikwissenschaftler, Universität Mainz (picture alliance / Erwin Elsner)
    Tobias Armbrüster: Es ist zwar das kleinste Bundesland, aber trotzdem sorgen die Wahlen gestern in Bremen auch heute für einiges an Schlagzeilen. SPD und Grüne können zwar weiter regieren, haben aber beide deutlich verloren. Die Wahlbeteiligung lag gerade mal bei 50 Prozent, das ist ein absoluter Minusrekord, und einer der ganz großen Gewinner ist die FDP. Mit knapp sieben Prozent kehrt die Partei wieder in die Bürgerschaft zurück, nachdem sie vor vier Jahren dort rausgeflogen ist. Sind die Liberalen also wieder zurück? Das ist eine der Fragen, die man sich heute auch in Berlin stellt. Dort hat natürlich jeder seinen ganz eigenen Blick auf diese Wahl gestern.
    Am Telefon begrüße ich Jürgen Falter, Politikwissenschaftler an der Universität Mainz. Schönen guten Tag, Herr Falter.
    Jürgen Falter: Guten Tag, Herr Armbrüster.
    Falter: Herr Falter, lassen Sie uns zunächst auf einen der großen Gewinner dieser Wahl blicken. Die FDP hat 6,5 Prozent geholt, zieht damit wieder in die Bürgerschaft ein, nachdem sie vier Jahre lang draußen war. Wie ist dieser Wiederaufstieg der Liberalen zu erklären?
    Falter: Ich glaube, es hat unter anderem etwas damit zu tun, dass man den Hamburg-Wahlkampf in einer gewissen Hinsicht wiederholt hat mit einer attraktiven Spitzenkandidatin, die in diesem Falle noch nicht einmal in der FDP war und es bisher nicht ist, aber wohl reingehen wird, und einem sehr frischen, lebendigen, optimistischen Wahlkampf, und der ist angekommen. Und man sollte eines nicht vergessen:
    Die FDP ist ja auch bundesweit so ganz langsam im Kriechgang im Augenblick auf dem Weg, doch relativ solide die fünf Prozent zu erreichen und dann wahrscheinlich demnächst auch zu übersteigen, denn das Potenzial für die FDP ist ja nicht mit einem Mal weggebrochen, nur der Wille, sie zu wählen, war weg.
    FDP-Erfolg im Flächenland schwieriger
    Armbrüster: Kann die Partei denn das, was sie da jetzt in Hamburg und Bremen gemacht hat, diesen Wahlkampf, kann sie den so problemlos auch im Bund auf Bundesebene wiederholen?
    Falter: Schon in den Flächenländern ist das schwieriger. Das hat Möllemann mal in Nordrhein-Westfalen hingekriegt, übrigens mit sehr großem Erfolg. Auf der Bundesebene ist das weitaus schwieriger. Da wird auch sofort die Seriositätsfrage gestellt, die ja im Zusammenhang mit dem Spaßwahlkampf von Guido Westerwelle und dem Guido-Mobil damals entstanden ist und was der FDP nachhaltig geschadet hat. Da geht es um andere Dinge. So ohne Weiteres kann man diesen Wahlkampf nicht wiederholen, sondern da geht es darum zu zeigen, wir sind die einzige wirtschaftlich-liberale, an Marktpositionen orientierte, auch an Ludwig Erhard orientierte Partei, die anderen sind alle Sozialdemokraten. In die Richtung wird es wahrscheinlich gehen.
    Armbrüster: Wenn man sich diese Wahlkämpfe der FDP in Bremen und in Hamburg anguckt, wie sind denn da eigentlich die Meinungen innerhalb der Partei selbst? Wird das alles freudig zur Kenntnis genommen, oder gibt es da auch Stimmen die sagen, da bewegen wir uns vielleicht ein bisschen zu sehr wieder in Richtung Spaßpartei?
    Falter: Im Vorfeld hat man das anders interpretiert als im Nachhinein, denn nichts ist erfolgreicher als der Erfolg und in diesem Falle hat man natürlich gesehen, das war erfolgreich. Insofern sind die Unkenrufe vielleicht leiser geworden. Aber es gibt schon Sorgen darum, dass man sagt, die Partei muss natürlich ernsthaft bleiben. Was sie will ist ja auch: Sie verlangt den Bürgern etwas ab, sie verlangt ihnen Selbstständigkeit, Selbstentscheidungen ab, sie möchte tatsächlich den freien Bürger, der möglichst wenig vom Staat und von den Parteien gegängelt wird. Und das kann man natürlich tatsächlich nur, wenn man ernsthaft ein Programm vertritt, sodass man glaubwürdig ist. Insofern glaube ich auch, dass die Botschaft aus Hamburg und Bremen im Bund anders gedeutet werden wird, als wir das jetzt im Augenblick vielleicht tun möchten, es aber tunlichst nicht tun sollten.
    Armbrüster: Nämlich wie wird sie gedeutet?
    Falter: Sie wird gedeutet - das hat man bei Christian Lindner gestern schon gemerkt - in dem Sinne, es gibt uns Rückenwind, aber wir müssen ganz klar sagen, wir sind die Partei der Freiheit, der Selbstbestimmung, der Selbstverwirklichung, gleichzeitig aber unter Berufung auf Ludwig Erhard - das kann man nachlesen, wenn man das liest, was er ab und zu schreibt. Ich glaube, es geht eher in diese Richtung hinein, dass man sagt, wir sind die Partei, die die Bürger versucht, mit einem Programm zu bedienen, das die anderen Parteien nicht mehr aufbringen.
    FDP spielt bei Merkels Kalkül weniger eine Rolle
    Armbrüster: Wenn jetzt die FDP auf einmal wieder erste, wenn auch nur zaghafte Erfolge feiert, befeuert das in Berlin auch gleich wieder die Planspiele für eine mögliche Koalition nach der nächsten Bundestagswahl?
    Falter: Es ist natürlich klar, dass Angela Merkel lieber mit einem anderen Partner regieren würde, nach den jetzigen Erfahrungen besonders, als mit der SPD, wo die SPD im Augenblick dabei ist, ein bisschen Opposition in der Koalition zu üben. Aber ob es die FDP ist, oder ob es nicht vielleicht doch die Grünen sind, da muss man ein großes Fragezeichen hinsetzen. Eines ist klar: Angela Merkel möchte weiter regieren, sie hat die besten Chancen, das zu tun.
    Die FDP spielt meines Erachtens in ihrem Kalkül eine geringere Rolle. Das ist anders auf der Länderebene. Wenn nächstes Jahr in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg gewählt wird und die FDP wieder in die Landtage reinkommen sollte in Rheinland-Pfalz, im Landtag bleibt, gestärkt bleibt in Baden-Württemberg, dann könnte es durchaus sein, dass die CDU mit diesem Koalitionspartner die Landesregierung führen möchte und nicht unbedingt mit den doch relativ starken und selbstbewussten Grünen.
    Armbrüster: Und würde sich diese neue FDP denn auch für die Sozialdemokraten interessieren?
    Falter: Die FDP ist offen für eine Sozialdemokratie, die einen klaren Kurs der Mitte verfolgt. Sie täte sich immer schwer mit dem linken Flügel der Sozialdemokraten. Und die Sozialdemokraten generell haben ja doch eine gewisse Abneigung gegen die FDP und insbesondere der linke Flügel. Da gibt es manchmal geradezu Hassgefühle, habe ich festgestellt, was die FDP angeht, und das Schimpfwort "Liberalismus", das existiert als Schimpfwort und nicht als eine reine Beschreibung.
    Strukturdefekt für geringe Wahlbeteiligung verantwortlich
    Armbrüster: Herr Falter, ein anderes Merkmal dieser Wahl, ein herausstechendes Merkmal: die geringe Wahlbeteiligung, gerade mal 50 Prozent, ein absoluter Minusrekord. Was ist Ihre Analyse? Was ist dafür verantwortlich? War es das gute Wetter gestern?
    Falter: Ach Gott, das gute Wetter wird manchmal eingefügt. Aber das gute Wetter kann ja nur eine Rolle spielen bei politisch desinteressierten Menschen. Bei politisch interessierten Menschen spielt das Wetter überhaupt keine Rolle, wenn es um die Wahlbeteiligung geht. Das ist aber tatsächlich dann ein Indiz dafür, dass der Hauptfaktor für niedrige Wahlbeteiligung nach wie vor geringes politisches Interesse ist, und das politische Interesse ist in der Tat in den letzten Jahren und Jahrzehnten zurückgegangen gegenüber den Höhepunkten, die es mal hatte in den 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahren.
    Armbrüster: Und sind dafür auch die Parteien selbst verantwortlich?
    Falter: Die Parteien sind natürlich verantwortlich dafür, für die Art, wie sie Wahlkämpfe führen, vor allen Dingen, wie sie miteinander umgehen. Aber der Hauptverantwortliche ist eigentlich ein Strukturdefekt unseres Systems. Die Parteien im Allgemeinen - in Bremen war es ein bisschen anders - müssen immer Wahlkämpfe so führen, als würden sie alleine regieren. Selbst die kleinen machen das nach der Wahl, was sie gar nicht können. Auch die großen Parteien können es nicht. Und dann kommt es dazu, dass sie Wahlkämpfe führen mit Forderungen, die nachher nicht ganz eingelöst werden können, niemals ganz eingelöst werden können, weil ja ein Koalitionspartner oder zwei Koalitionspartner ebenfalls Wünsche haben und auch Verhinderungswünsche haben. Und so messen die Bürger dann die Parteien an dem, was sie versprochen haben. Sie stellen fest, die halten das nicht, nicht alles, manchmal relativ wenig, und dann tritt politische Frustration auf. Man weist das negativ den Parteien zu als deren Fehler, obwohl es ein Fehler unseres Systems ist.
    Armbrüster: Haben Sie einen Vorschlag, wie man daran etwas ändern könnte?
    Falter: Die einzige Möglichkeit wäre eigentlich mit einer Änderung des Wahlsystems, aber das ist so irreal, dass man das eigentlich gar nicht diskutieren muss, weil das niemand haben möchte. Aber wenn wir Parteien hätten, die verantwortlich gemacht werden könnten nach der Wahl für das, was sie vorher versprochen haben, wenn sie eine Mehrheit im Parlament hätten, dann kann man sie echt verantwortlich machen, so wie man das bei der CSU in Bayern kann. Dann kann man sie auch abstrafen, wenn sie nicht das tun, was sie versprochen haben.
    Armbrüster: Aber das müssten ja eigentlich die Wähler selbst machen, oder?
    Falter: Das müssten die Wähler selbst machen.
    Armbrüster: Die könnten das auch schon heute sagen. Die könnten auch schon heute nachprüfen, da habt ihr euch aber nicht dran gehalten.
    Falter: Ja, aber das ist ja das Problem. Deswegen entsteht ja dieser Frust. Aber die Parteien sind schwerer abzustrafen, weil sie sich herausreden können - das ist kein Herausreden, sondern erklären können -, wir sind in einer Koalition, wir haben Koalitionsverhandlungen geführt und können nicht alles durchsetzen, was wir eigentlich möchten.
    Armbrüster: Der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter heute live hier bei uns in den „Informationen am Mittag". Vielen Dank, Professor Falter, für Ihre Zeit und für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.