Freitag, 19. April 2024

Archiv

Landtagswahl in Rheinland-Pfalz
Wie sich die Ampelkoalition im Wahlkampf die Bälle zuspielt

SPD, FDP und Grüne signalisieren vor der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz, dass sie weiter zusammen regieren wollen. Auch wenn sie im Wahlkampf Kritik aneinander vermeiden, so gehen ihre politischen Standpunkte doch auseinander – was in den vergangenen fünf Jahren Ampelkoalition auch für Streit sorgte.

Von Anke Petermann | 09.03.2021
Anne Spiegel (l-r, Bündnis90/Die Grünen), Familienministerin in Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz, und Volker Wissing (FDP), Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz, kommen zur Pressekonferenz. Die Parteien der Ampelkoalition aus SPD, FDP und Bündnis90/Die Grünen geben eine Pressekonferenz zur Vorstellung der Bilanz ihrer Koalition.
Koalitionspartner Anne Spiegel (l-r, Bündnis90/Die Grünen), Familienministerin in Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz, und Volker Wissing (FDP), Wirtschaftsminister ( picture alliance/dpa | Andreas Arnold)
Rot-Gelb-Grün in Rheinland-Pfalz unter Attacke: Auf dem Mainzer Schillerplatz schlagen Anfang März Köche, Gastwirte und Hoteliers Topfdeckel zusammen. Kurz vor der Landtagswahl am 14. März lässt der Hotel- und Gaststättenverband die Muskeln spielen. Er fordert, dass die Ampel-Regierung die Gastronomie öffnet. Soeben ist der Einzelhandel fast überall im Land unter Auflagen wieder erlaubt.
Der Pfälzer Christian Baldauf, Spitzenkandidat der oppositionellen CDU, bestärkt die protestierenden Gastronomen: "Die Außengastronomie kann unverzüglich aufgemacht werden, da ist es aber auch Hausaufgabe des Landes zu testen."
Der Applaus dafür ist Christian Baldauf sicher. Doch seine CDU, lange mit Abstand stärkste Kraft, ist in den Umfragen von ARD und ZDF ausgerechnet in der Vorwahlwoche erstmals unter 30 Prozent gerutscht. Und damit hinter die Sozialdemokraten mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer an der Spitze. Die haben sich auf über 30 Prozent hochgeschraubt.
Außenaufnahme Landtagsgebäude in Mainz mit der Aufschrift "Landtag Rheinland-Pfalz"
Landtagswahl Rheinland-Pfalz 2021 - Wahlthemen, Spitzenkandidaten - das Wichtigste im Überblick
Der Auftakt mit den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wird auch als Stimmungsbarometer für die Bundestagswahl im September gesehen. Besonders die SPD in ihrem Bundes-Tief blickt erwartungsvoll nach Rheinland-Pfalz mit ihrer starken Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Ein Überblick.
Auch die Freien Wähler legten zu, katapultierten sich in den jüngsten Umfragen auf vier, fünf Prozent. Vor elf Jahren gründeten sie einen Landesverband in Rheinland-Pfalz, nun hoffen die Außerparlamentarischen, in den Mainzer Landtag einzuziehen. Ihre Forderung an Land und Bund: "Öffnet die Hotels und Gaststätten!"
Joachim Streit, Spitzenkandidat der Freien Wähler und Landrat im Eifelkreis Bitburg-Prüm, spricht die protestierenden Gastro-Unternehmer im Publikum direkt an: "Wir testen jeden, der zu Ihnen in den Betrieb kommt. Wir machen Sie nicht zum Opfer, sondern zur Lösung der Pandemiebekämpfung."
Damit fährt Streit an diesem sonnigen März-Vormittag mehr Beifall ein als der stets etwas zurückgenommene CDU-Politiker Christian Baldauf. Der fordert Ministerpräsidentin Malu Dreyer bei der rheinland-pfälzischen Landtagswahl Ende der Woche heraus.

Kein gegeneinander Profilieren der Koalitionspartner

Ihre Ampelkoalition will jetzt noch keine Lockerungen für das Gastgewerbe. Das machen an diesem Morgen auch drei Vertreterinnen der Landesregierung klar, vor dem Protest-Publikum haben sie es schwer damit. Doch selbst im Wahlkampf widersteht das Trio der Versuchung, sich gegeneinander zu profilieren. Im Gegenteil: Finanzministerin Doris Ahnen von der SPD spielt ihrer FDP-Kollegin aus dem Wirtschaftsministerium einen Ball zu. "Wir haben auch eigenes Geld in die Hand genommen, zum Beispiel bei unserem Tourismusprogramm, da wird sicherlich gleich noch Daniela Schmitt etwas zu sagen."
Daniela Schmitt, stellvertretende FDP-Landesvorsitzende und Spitzenkandidatin für die kommende Landtagswahl, spricht beim Landesparteitag der rheinland-pfälzischen FDP. Die Freien Demokraten beschlossen hier ihr Programm für die bevorstehende Landtagswahl im März.
FDP-Spitzenkandidatin Daniela Schmitt (picture alliance / dpa | Frank Rumpenhorst)
Wirtschaftsstaatssekretärin Daniela Schmitt, als neue Spitzenkandidatin der FDP besonders im Wahlkampf-Fokus, bemängelt, dass das Corona-Hilfsgeld aus dem Bundeswirtschaftsministerium von Peter Altmaier, CDU, nicht fließt, sie spielt damit den Ball ins Feld der Sozialdemokratin zurück. "Ich bin Doris Ahnen dankbar für das, was sie gesagt hat, denn wir kämpfen seit Monaten."
Um Hilfsgeld und Öffnungsperspektiven, meint Schmitt. Das ist der gemeinsame Nenner der drei Koalitionsfrauen. Neben Ahnen und Schmitt gehört am Tag der Demo auch die Grünen-Abgeordnete Jutta Blatzheim-Rögler dazu. Die Solidarität der drei wirkt nicht gezwungen, sondern geübt. Obwohl SPD, FDP und Grüne im Wahlkampf keine Koalitionsaussagen machen: die Bündnispartner wissen, was sie aneinander haben. Eine gemeinsame Zukunft kann sich Ministerpräsidentin Malu Dreyer über den Wahltermin Mitte März hinaus durchaus vorstellen. Doch derzeit steht für die SPD-Spitzenkandidatin etwas Anderes im Vordergrund:
"Wir kämpfen jetzt einfach darum, dass wir eine starke SPD werden. Aber klar ist auch: Wir haben in der Ampel sehr gut regiert, und wenn diese Konstellation nach der Wahl möglich sein sollte, würde ich mich persönlich sehr darüber freuen."

SPD führte wechselnde Koalitionen an

Imagefilm: "Sozial gerecht, wirtschaftlich stark und ökologisch verantwortlich." Das ist bis heute der gemeinsame Slogan der Ampel. Im Frühjahr 2016 startete das Dreier-Bündnis zunächst allerdings nicht als große Liebe, vor allem nicht zwischen Grünen und Liberalen. Die rheinland-pfälzischen Sozialdemokraten hatten unter Kurt Beck aber schon bewiesen, dass sie beides können: sozialliberal und rot-grün. Bei der vergangenen Landtagswahl vor fünf Jahren schafften die Liberalen mit Volker Wissing an der Spitze erneut den Sprung in den Landtag.
Die Grünen mit Anne Spiegel als junger Frontfrau waren zu ihrer eigenen Enttäuschung nur knapp drin. Die Familien- und Integrationsministerin übernahm Anfang des Jahres auch das Umweltressort. Wegen gerichtlich gerügter Beförderungspraxis in ihrem Beamtenapparat hatte ihre Vorgängerin, die Grünen-Politikerin Ulrike Höfken, zurücktreten müssen.
Vor simulierter Hotel-Kulisse mit Bett und Teppich: Joachim Streit, Spitzenkandidat der Freien Wähler in Rheinland-Pfalz, entrollt ein Plakat mit seiner Wahlkampf-Forderung: „Hotels und Gaststätten sofort öffnen – mit Schnelltest“.
Landtagswahl Rheinland-Pfalz - Werden die freien Wähler zu Senkrechtsstartern?
Obwohl die SPD in Rheinland-Pfalz seit 30 Jahren ununterbrochen regiert, ist ein Wahlsieg für Ministerpräsidentin Malu Dreyer am 14. März kein Selbstläufer. CDU und SPD liefern sich in den Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen – mit den Freien Wählern als überraschenden Nebenaspekt.
Anne Spiegel, neue Superministerin und Spitzenkandidatin der Grünen, blickt zufrieden zurück: "Am Anfang gab es ja viele Unkenrufe und auch skeptische Stimmen, ob das was wird mit der Ampel. Wir wurden ja ein Stück weit auch bundesweit beobachtet und ich glaube, es hat sich auf jeden Fall bewährt."
So sehr, dass Malu Dreyer ihren Parteifreunden die Ampel als Alternative zur großen Koalition auch im Bund empfiehlt. Wer glaubte, solch ein Bündnis sei noch nicht mal auf Landesebene wegen der verhärteten Fronten zwischen FDP und Grünen möglich, den belehrte die SPD-Politikerin in Rheinland-Pfalz eines Besseren. Es gelang ihr, die Fronten aufzuweichen – ohne dass das Mobiliar Schaden nahm. Malu Dreyer: "Ich kann mich jetzt nicht mehr daran erinnern, dass ich mal so in den Tisch hätte beißen müssen, dass man das heute noch sieht."

Das Rezept für die Stabilität der Koalition

Inzwischen hält Rot-Gelb-Grün in Mainz länger als jede andere Ampelkoalition der Republik zuvor. "Weil wir Vertrauen zueinander hatten und weil die Vertragstreue unglaublich stark war", begründet Wirtschaftsminister Wissing. "Und alle hatten immer das Ziel, dass diese Regierung erfolgreich ist. Dann Vertrauen, Kompromissbereitschaft und Konstruktivität in den Gesprächen, also ein ehrliches Ringen."
Wertschätzung, gönnen können – das Rezept für die Stabilität der rheinland-pfälzischen Ampel. Für geräuschloses Regieren, das Bürger bekanntermaßen mehr schätzen als lauten Streit. War es zuweilen nicht sogar zu leise, muss sich Regierungschef Malu Dreyer fragen lassen.
"Ich fand es total gut, dass wir immer Wege gefunden haben, Probleme miteinander zu lösen und damit auch geschlossen nach außen aufzutreten und unsere Politik zugunsten der Menschen hier im Land zu machen. Also, das ist eigentlich auch das Verständnis, was ich als Demokratin habe."

Die Ruhe über fünf Jahre hinweg sicherte unter anderem eine strategische Aufgabenverteilung. Der Ökolandbau ging an die Grünen und ihr Umweltministerium, die Landwirtschaft an die FDP. Wegen Doppelstrukturen, unklarer Zuständigkeiten und konkurrierender Förderlinien würde CDU-Spitzenkandidat Christian Baldauf das sofort rückgängig machen, wenn er ans Ruder käme. Aber in der Ampel-Regierung hat dieser Ressortzuschnitt Konflikte minimiert.
"Wir haben aus Rheinland-Pfalz einen der führenden Smart-Farming-Standorte in Deutschland gemacht", rühmt sich Landesagrarminister Volker Wissing. Mit digitaler Technik könnten Umweltauswirkungen der konventionellen Landwirtschaft reduziert werden – Widerspruch seitens der Grünen bleibt da aus, selbst wenn sie an technische Lösungen fürs Gülle- und Nitrat-Problem kaum glauben.
Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, besucht ein Werk der Firma Schott in der Landeshauptstadt. In Rheinland-Pfalz wird am 14. März ein neuer Landtag gewählt.
Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) im Wahlkampf (picture alliance/dpa | Boris Roessler)

Den Herausforderer kennen viele Bürger nicht

Aber sie mischen sich nicht ein. Im Umweltressort arbeiten sie stattdessen daran, den Ökolandbau auszuweiten – ihre Lösung fürs sauberere Grundwasser. Nur ein Beispiel dafür, wie Regierungschefin Dreyer aus Konkurrenz Kooperation geschmiedet hat.
Dass die beiden kleineren Koalitionspartner jeweils zwei Ressorts bekamen, bejubelte Dreyers SPD anfangs nicht. Doch die Frontfrau hatte sich was dabei gedacht: selbst in Vorlage zu gehen fürs gute Miteinander. Wichtig ist ihr auch, dass qualifizierte Frauen zum Zug kommen. Drei von fünf SPD-geführten Ressorts besetzte sie weiblich. Und die Ministerpräsidentin selbst beginnt ihre Reden stets so: "Meine sehr verehrten Herren und Damen".
"Ohne mich, dieser Frauenwahn", empört sich in Mainz ein Passant über die rheinland-pfälzische Regierungschefin. "Die Frau sagt ja schlicht und ergreifend, du bist eine Frau, du bist ja sowieso besser. Das Einzige, was ich bei ihr gut finde, ist, dass sie sagt: Sehr geehrte Herren und Damen. Das finde ich gut, das ist nun wiederum konsequent gehandelt."
Bezeichnend, dass selbst dieser Kritiker zumindest eine gute Seite an Malu Dreyer findet. Was die Ministerpräsidentin sagt und tut, prägt sich politisch Interessierten ein. Dreyers Kontrahent Christian Baldauf hingegen kennen immer noch viele Rheinland-Pfälzer nicht, obwohl er als CDU-Fraktionschef Oppositionsführer im Land ist. Zufallsumfrage im pfälzischen Schifferstadt, keine 20 Kilometer südlich von Baldaufs Heimatort Frankenthal.

"Den Herrn Baldau, wie heißt der nochmal? Der Herr Baldau, also von den Plakaten her hab‘ ich den schon gesehen." In diesen Tagen ist der CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz ausnahmsweise bundesweit medial präsent. In mehreren Nachrichtensendungen ist zu hören, dass Christian Baldauf die Geschäfte von zwei Bundestagsabgeordneten der Union mit Corona-Masken "höchst unanständig, beschämend und moralisch verwerflich" findet.
"Also mit der Not anderer Geschäfte zu machen, halte ich für unmöglich, das passt nicht in unsere Partei. Klar ist auch, wenn solche Menschen meinen, ihre Mandate für so etwas herzugeben, dann müssen sie gehen. Und das haben sie jetzt ja auch getan, und ich erwarte auch, dass die Gelder, die sie eingenommen haben, spenden. Das wäre nur recht", sagt der CDU-Spitzenkandidat dem Deutschlandfunk. Und mit Blick auf den eigenen Wahlkampf-Endspurt: "Nachdem das jetzt schnell und sauber auch mit klaren Forderungen erledigt wurde, gehe ich davon aus, dass es kein großer Schaden sein wird."
Günther Schartz, stellvertretender Landesvorsitzender der rheinland-pfälzischen CDU, Christian Baldauf (CDU), Fraktionsvorsitzender der rheinland-pfälzischen CDU, und Julia Klöckner (CDU), Bundeslandwirtschaftsministerin
CDU-Spitzenkandidat Christian Baldauf (m) (dpa / Uwe Anspach)

Die zerstrittene Landes-CDU geeint

Rückhalt im eigenen Landesverband hat Baldauf. In den vergangenen Jahren gelang es ihm, die ehemals zerstrittenen rheinland-pfälzischen Christdemokraten zu einen, gemeinsam mit Landeschefin Julia Klöckner. Im Wahlkampf war sie jedoch – auch digital – selten an Baldaufs Seite zu sehen. So dass man sich fragen konnte, ob sie an seinem Erfolg zweifelt.
Zurück nach Schifferstadt, zu der Spaziergängerin, die den Namen des CDU-Spitzenkandidaten vergessen hatte. "Ich glaube, dass es schon was ausmacht, ob einem die Person einfach sympathisch ist, die Frau Dreyer ist halt sehr bekannt."
In der Coronakrise taucht die Regierungschefin oft in bundesweiten Nachrichten und den Talkshows von Plasberg, Will, Lanz und Co. auf. "Sie ist halt eher jemand, wo man sagt, ja, fand ich gut, ist mir sympathisch, während man die anderen Kandidaten halt vielleicht nicht so wahrgenommen hat, weil das öffentliche Auftreten nicht so da ist." – "Ich bin auch sehr zufrieden mit der Frau Dreyer, sie ist einfach ein Sympathieträger", sagt ein Mann.
Eine Sympathieträgerin, das räumen auch diejenigen in der Landeshauptstadt Mainz ein, die keine Fans der Ampelkoalition und ihrer Chefin sind. Eine Straßenumfrage:
"Also, die verkauft sich sehr gut, ganz toll, aber inhaltlich hat‘s mir nicht gereicht." – "Sie war stets bemüht, würde ich mal sagen." – "Sie hat eine gute mediale Wirkung, sie ist besonnen." – "Sie verkauft sich besser als ihre Politik ist, denn sie hat die Defizite in der Bildung, in der digitalen Anbindung mit zu vertreten. Aber sie verkauft sich natürlich sehr gut."

Getrübte Harmonie in der Koalition

Wie Defizite in der schulischen Bildung anzugehen sind, diese Frage trübte die Harmonie der Ampelkoalition im vergangenen Jahr allerdings gewaltig. Die liberale Bildungspolitikerin Helga Lerch wollte sich mit der klaren Kompetenzaufteilung innerhalb des Bündnisses nicht abfinden.
Die ehemalige Gymnasialleiterin und langjährige Ingelheimer FDP-Kommunalpolitikerin hielt sich nicht daran, dass die Sozialdemokraten in der Schulpolitik das Sagen haben sollten. Im Landtagsplenum erinnerte Lerch vor laufenden Kameras an ein teures, personalintensives Wahlversprechen der eigenen Partei. Die FDP hatte 2016 eine 105-prozentige Unterrichtsversorgung zugesagt. Eine Quote auf dem Papier, die dafür sorgt, dass real alle Schulstunden auch stattfinden können.
"Und es kann nicht sein, dass eine Mitbetreuung von Klassen als Unterricht definiert wird. Deshalb ist es wichtig, klar zu sagen, das ist Unterricht, und das ist zum Beispiel Aufsicht, um dann auch zum Schluss zu kommen, wir brauchen den Schlüssel von 100 oder 105 Prozent, um die Unterrichtsversorgung landesweit abzudecken." Was Bildungsgewerkschaften seit langem vergeblich fordern.
Eine ältere Frau hat einen Laptop auf dem Schoss und tippt darauf
Landtagswahl in Pandemiezeiten - Wahlkämpfende Senioren vor dem Bildschirm
Wahlkampf in der Fußgängerzone ist in Coronazeiten wenig erfolgversprechend. Das zwingt viele ältere Wahlkämpfer vor die Bildschirme – oder zurück zur althergebrachten Telefonkette. Ein Blick nach Rheinland-Pfalz, einen Monat vor der Landtagswahl.
Bildungspolitik, Unterrichtsversorgung – im Landtagswahlkampf das wichtigste Thema, sagen Umfragen, nicht erst im Corona-Schulbetrieb. Umso schlimmer in den Augen der Ampelkoalition, dass eine Liberale das eigene Lager darin kritisierte.
Parteifreunde legten es Lerch als Affront aus – und als Illoyalität gegenüber Bildungsministerin Stefanie Hubig von der SPD. Genauso Lerchs Kritik daran, dass die Schulaufsicht Vermerke über sexuelle Übergriffe von Lehrern zu früh aus den Personalakten tilge.
"Aber gerade diese Vorvergangenheit ist doch wichtig, um den Kollegen zu begleiten und ihm auch Hilfestellung zu geben, damit das nicht mehr passiert."
Damit ging die Mittsechzigerin in den Augen ihrer Parteifreunde zu weit. Sie warfen Lerch aus der FDP-Fraktion. Die Regierung muss seither mit einer Stimme Mehrheit auskommen. "Das kann disziplinieren", kommentierte Ministerpräsidentin Dreyer knapp.
Als FDP-Direktkandidatin nominiert vom Kreisverband Mainz-Bingen, hofft Helga Lerch auf ein zweistelliges Ergebnis. Ein Ziel, das ihre Partei landesweit nicht zu formulieren wagt, denn derzeit bewegen sich die Liberalen in den Umfragen bei sieben Prozent. Bei elf, zwölf Prozent rangieren die Grünen.

Warum es die Grünen schwer haben

Im eher landwirtschaftlich geprägten, strukturkonservativen Rheinland-Pfalz hat es die Öko-Partei ohnehin schwer. Jetzt fällt ihr auch noch die Debatte über den Neubau von Einfamilienhäusern auf die Füße. Bei vielen Häusle-Bauern hat sich Anne Spiegel mit der sogenannten Solardach-Pflicht längst unbeliebt gemacht. Denn fürs grüne Klimaprogramm sollen sie teilweise mitzahlen. Ziel der Spitzenkandidatin:
"Wir wollen die Verdreifachung der Photovoltaik im Land, und wir zeigen auch wie wir dahin kommen, über eine Solarpflicht bei Neubauten und Dachsanierungen, über ein Solarförderprogramm."

So sprudelt Spiegel bei einer ihrer Videokonferenzen mit Parteichef Robert Habeck los. Die Liberalen in der Ampelkoalition wollen für diese grünen Wahlkampfideen nicht in Mithaftung genommen werden.
Wahlplakate - Landtagswahl in Rheinland-Pfalz 2021 am 08.03.2021 im Landkreis Neuwied Ein Wahlplakat der Partei Bündnis 90 / Die Grünen - Verantwortung, Mut und Leidenschaft - Anne Spiegel Die Wahl zum 18. Landtag von Rheinland-Pfalz findet am 14. März 2021 statt. Foto: Revierfoto
Grünen-Spitzenkandidatin Anne Spiegel auf einem Wahlplakat (picture alliance/dpa/Revierfoto | Revierfoto)
Deshalb teilt die freundliche FDP-Spitzenkandidatin Daniela Schmitt da mal aus: Solardachpflicht verfassungswidrig, Grüne agieren als Mietentreiberpartei, konstatiert sie. Die Koblenzer Rhein-Zeitung belohnt sie dafür mit einer Schlagzeile – Zitat: "Die FDP kämpft für Freiheit im Eigenheim". Ist es mit der Koalitions-Harmonie in der Endphase des Wahlkampfs nun doch vorbei? Schmitt wiegelt ab:
"In Rheinland-Pfalz leben wir in einem Land, das von ländlichen Räumen geprägt ist, und da ist es für viele Menschen auch ein Traum, sich ein eigenes Haus zu verwirklichen. Wenn sie aber das Gefühl haben, die Grünen bauen ein Stück mit, dann ist das schon sehr einschneidend. Es sollte schon auch eine freiheitliche Entscheidung sein, wie man den Garten gestaltet", sagt die FDP-Spitzenkandidatin in Anspielung auf das von den Grünen ebenfalls geforderte Verbot von sogenannten "Schotter-Gärten", also pflegleichten Steinwüsten.
Aber: "Die Blumen gehören für uns auch dazu", lacht Schmitt und deutet auf die Riesen-Plakatwand hinter sich, die ihr Porträt in einem bunten Blumenmeer zeigt.
In den vergangenen fünf Jahren schluckten die Grünen die Straßenbau-Politik des liberalen Verkehrsministers Volker Wissing erstaunlich gelassen. Rieben sich vielleicht im Hinterzimmer die Hände, weil der Etat auch dafür begrenzt war. Doch im Wahlkampf traut sich die grüne Spitzenkandidatin Anne Spiegel zu sagen: Im Radwegebau über Stadt- und Kreisgrenzen hinweg ist Baden-Württemberg mit Parteifreund Winfried Hermann als Verkehrsminister einfach besser.
Was nicht heißt, beeilt sich Anne Spiegel beim Ortstermin in der Pfalz zu versichern, dass die rheinland-pfälzischen Grünen noch vor der Wahl das Verkehrsressort für sich beanspruchen. Aber mit dem Durcheinander, das die Planung überregionaler Pendlerrouten für Radler behindert, will sie aufräumen. "Wir werden letztlich nur über einen Radverkehrsbeauftragten weiterkommen, jemand, der das zur Chefsache macht, der auch Ansprechperson für die Kommunen ist, um dieses Thema voranzutreiben."
Anne Spiegel ist selbst mit S-Bahn und Fahrrad aus Speyer nach Schifferstadt gekommen. Sie will dort besichtigen, wie eine Radroute nach angenehmem Auftakt auf einem grünen Wirtschaftsweg versackt.

Auch Schwarz-Grün nicht ausgeschlossen

"Wenn wir jetzt hier ein Stückchen fahren würden, dann würden wir gleich sehen: Die Radwege werden ganz schmal, oder man steht auf einmal in einem Wohngebiet und weiß gar nicht, wo der Fahrradweg weitergehen soll."
Da ist Luft nach oben, glaubt die grüne Spitzenkandidatin. Bei aller Koalitionstreue, die Tür zur CDU lässt Spiegel offen. Spitzenkandidat Christian Baldauf, als zäher Rennradler bekannt, könnte hier in Schifferstadt durchaus aufkreuzen, sein Heimatort Frankenthal ist nah.
"Da haben wir keine Hemmungen, der Radweg soll durchaus bis nach Frankenthal gehen", witzelt Spiegel. Ein Radweg bis vor Baldaufs Haustür, warum nicht.
Der CDU-Spitzenkandidat muss sich allerdings derzeit schwer abstrampeln. Seine Beliebtheitswerte liegen unter 30 Prozent, während Malu Dreyer als Ministerpräsidentin von über der Hälfte der Rheinland-Pfälzer direkt gewählt werden würde, wenn das möglich wäre. Aufholjagd ohne Rückenwind aus Berlin – für Dreyers SPD war das bislang normal.