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Landtagswahl Sachsen
"Das wird die CDU ganz sicher Stimmen kosten"

Bei der Landtagswahl in Sachsen am kommenden Sonntag steht nach Ansicht des Politologen Werner Patzelt die CDU als Sieger schon fest - nur der Koalitionspartner nicht. Den Preis, den dieser zahlen müsse, um mitzuregieren, habe die CDU mit einer Aussage besonders hochgetrieben, sagte Patzelt im Deutschlandfunk.

Werner Patzelt im Gespräch mit Thielko Grieß | 25.08.2014
    "AfD wählen!" Ein Flugzeug fliegt mit einem Transparent über Dresden, hier an der Spitze der Katholischen Hofkirche vorbei.
    "AfD wählen!" Ein Flugzeug fliegt mit einem Transparent über Dresden, hier an der Spitze der Katholischen Hofkirche vorbei. (dpa / picture-alliance / Matthias Hiekel)
    Die Aussage des sächsischen Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU), "Linke und NPD schließen wir aus", werten Beobachter als Signal dafür, dass eine Koalition mit der Partei Alternative für Deutschland (AfD) noch im Rennen ist. Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt sagte im DLF, damit versuche die CDU, "den Preis in den Koalitionsverhandlungen - denn danach wird es aller Wahrscheinlichkeit nach hinauslaufen - besonders hochzutreiben, denn wenn man ohne jegliche Alternative dasteht, ist man in den Händen des Verhandlungspartners." Er betonte jedoch: "Ernsthaft wird Tillich keine Sekunde daran gedacht haben, mit der AfD zu koalieren." Der Einzug der AfD werde die CDU ganz sicher Stimmen kosten.
    Dass die CDU auch nach dem 31. August weitere fünf Jahre regieren werde, liege an der "konsistenten" Politik in punkto Haushalt, Wissenschaft, Wirtschaft und Infrastruktur, sagte Patzelt. Die Opposition habe im Wahlkampf lediglich einen Angriffspunkt ausgemacht: die Schul- und Bildungspolitik. Die Konkurrenten der CDU täten "sich schwer, eine Alternative plausibel zu machen". Wunschpartner der CDU sei zwar die FDP, doch "das Prinzip Hoffnung prägt den Wahlkampf" der Freidemokraten. Eine Koalition mit der SPD sei aber am wahrscheinlichsten, denn die sächsische CDU habe "sehr stark sozialdemokratische Anschlussstellen".

    Das vollständige Interview zum Nachlesen:
    Thielko Grieß: Am Telefon ist jetzt Werner Patzelt, Politologe und Parteienforscher an der Technischen Universität Dresden. Guten Morgen, Herr Patzelt.
    Werner Patzelt: Einen schönen guten Morgen!
    Grieß: Sachsen wird seit 1990 von der CDU regiert, in wechselnden Koalitionen, zwischendurch auch mal allein. Was macht die CDU, was macht im Augenblick Stanislaw Tillich so stark?
    Patzelt: Die CDU ist dadurch stark geworden, dass sie von Anfang an einen konsistenten stetigen Kurs eingeschlagen hat, der sich dann auch noch als im Wesentlichen richtig und dem Lande nützlich erwiesen hat. Das merken die Sachsen. Das merken auch jene, die eigentlich lieber eine andere Partei wählen wollten, weswegen der Ministerpräsident selbst in den Reihen der gegnerischen Parteien hohes Ansehen genießt.
    Grieß: Sie machen Erfolge der CDU in Sachsen aus. Welche?
    Patzelt: Zu den Erfolgen gehört die stabile Haushaltspolitik, wo Sachsen unter den neuen Bundesländern Vorreiter ist, was dann auch im Haushalt entsprechende Investitionsspielräume eröffnet. Zu den Erfolgen gehört das Bildungssystem, wo bei den Pisa-Studien Sachsen regelmäßig mit Baden-Württemberg und Bayern ganz an der Spitze abschneidet. Zu den Erfolgen gehört die Pflege des Wissenschaftssystems, das in Sachsen traditionell ein sehr dichtes ist. Und schaut man auf die wirtschaftspolitischen und infrastrukturellen Entscheidungen, ist die Leuchtturmpolitik für die drei großen Zentren gut ausgegangen, für das flache Land freilich noch nicht so gut.
    Grieß: Von der Dichte des Wissenschaftssystems profitieren Sie dann natürlich auch, Herr Patzelt. – Gibt es denn Themen, die die Opposition, die die Mitbewerber für sich nutzen können in Sachsen?
    Patzelt: Das eine Thema, was wirklich eine Achillesferse der Union darstellt, ist die Schul- und Bildungspolitik, wo jahrelang versäumt worden ist, die allmählich in die Pensionszone gelangenden Lehrer durch Einstellung von Referendaren abzulösen, weswegen es in den Sternen steht, ob das sächsische Bildungs- und Schulsystem seinen hohen Stand halten kann. Das ist dann aber auch schon der einzig wirkliche Angriffspunkt der Opposition. In anderen Bereichen wie Braunkohleabbau ist die Opposition selbst nicht einer Meinung. Und was andere Themen betrifft wie Zuzug von Asylbewerbern, Sicherung der Grenzen, ist die Union voll und ganz im Mainstream dessen, was die staatstragenden Parteien in Sachsen wollen. Infolgedessen tut sich die Opposition in der Tat schwer, eine Alternative plausibel zu machen.
    Grieß: Nehmen wir die politische Landschaft in Sachsen in den Blick. Sie könnte, zumindest was die Vertretung im sächsischen Landtag angeht, nach dem nächsten Sonntag bunter werden, zahlreicher und vielfältiger. Zum Beispiel sieht es nach Umfragen ja so aus, als ob die Alternative für Deutschland, die AfD, in den Landtag einziehen wird. Das könnte die CDU in Sachsen Stimmen kosten. Stanislaw Tillich hat aber bislang so darauf reagiert, dass er eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht explizit ausgeschlossen hat. Warum tut er das?
    Patzelt: Der Eintritt der AfD wird der Union ganz sicher Stimmen kosten. Eine Koalition mit der AfD von vornherein auszuschließen, hieße den Preis in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD, denn darauf wird es aller Wahrscheinlichkeit nach hinauslaufen, besonders hochzutreiben, denn wenn man ohne jegliche Alternative dasteht, ist man natürlich in den Händen des Verhandlungspartners. Ernsthaft wird Tillich keine Sekunde daran gedacht haben, mit der AfD zu koalieren, denn dafür ist sie zum einen personell viel zu instabil und man weiß zum anderen gar nicht, was sie denn programmatisch will, wenn sie denn überhaupt auf Landesebene etwas Klares will.
    Grieß: Ist es klug vonseiten der SPD, die Sie gerade kurz angesprochen haben, sich schon vor den Wahlen so ganz offensichtlich auf eine Koalition mit der CDU zu freuen?
    Patzelt: Dass die SPD gerne regiert, ist bekannt und ist ja auch richtig. Dass die SPD sich kenntlich freut, hat auch damit zu tun, dass unter sämtlichen Regierungsbündnissen, die theoretisch möglich sind unter den Sachsen, sich eine CDU/SPD-Koalition der größten Popularität erfreut. Und es sind die wechselseitigen Erinnerungen an die letzte Unions/SPD-Koalition ja auch nicht wirklich schlecht. Gewiss ist für die Union die FDP der Wunschpartner, aber mit der SPD kann man gut, zumal die sächsische Union zu den Unionsteilen in Deutschland gehört, die sehr stark auch sozialdemokratische Anschlussstellen haben.
    Grieß: Dann kommen vielleicht noch die Grünen ins Spiel. Auch sie bringen sich selber ins Spiel, sagen, Antje Hermenau zum Beispiel, die Spitzenkandidatin in Sachsen, wir würden gerne mit der CDU regieren und ein ähnlich schwarz-grünes Bündnis auflegen, wie es zum Beispiel in Hessen vor etwa einem Jahr entstanden ist. Ist das der unbedingte Regierungswille oder ist das einfach die Einsicht, dass man an der CDU in Sachsen nicht vorbeikommt?
    Der Politikwissenschafter Werner Patzelt, aufgenommen im Jahr 2003.
    Über Werner Patzelt
    Geboren 1953 in Passau, Bayern. Der Wissenschaftler studierte bis 1980 Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichte an den Universitäten München, Straßburg und Ann Arbor. 1984 promovierte er an der Universität Passau und habilitierte dort auch bis 1990. Zwischen 1991 und 1992 übernahm er die Gründungsprofessor des Instituts für Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dresden und leitet dort seit 1992 den Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich. Er beschäftigt schwerpunktmäßig mit der vergleichenden Analyse politischer Systeme, der Parlamentarismusforschung, politischer Kommunikation, der vergleichenden historischen Analyse politischer Institutionen sowie evolutionstheoretischen Modelle in der Politikwissenschaft.
    Patzelt: Das ist der unbedingte Mitregierungswille von Frau Hermenau und das ist die Überzeugung eines nennenswerten Teils der Grünen, die freilich noch in der Minderheit sind. Frau Hermenau hat innerparteilich viel Federn lassen müssen, um überhaupt diese Koalitionsoption innerparteilich offenzuhalten. Es ist aber so, dass die Union in einem Bündnis mit den Grünen sich nicht auf einen wirklich rundum koalitionswilligen Partner verlassen könnte, auch ihrerseits wesentlich unbequemere Positionsveränderungen vornehmen müsste als in einem Bündnis mit der SPD. Und infolgedessen wird mit großer Wahrscheinlichkeit in Sachsen das hessische Beispiel nicht neu aufleben, obwohl es nach meiner persönlichen Einschätzung sowohl den Grünen als auch der CDU sehr gut täte.
    Grieß: Was bleibt für Die Linke übrig, ja die stärkste Oppositionspartei in Sachsen?
    Patzelt: Die Linke ist irgendwo in einer tragischen Situation. Sie siegt sich von Wahl zu Wahl als stärkste Oppositionspartei durch und ist in Sachsen dennoch nicht in der beneidenswerten Lage der Thüringer Linkspartei, die ja große Chancen hat, den Ministerpräsidenten zu stellen. Zum einen reicht es einfach nummerisch in Sachsen nicht für eine linke Alternative zur Union und zum anderen wünschen die Sachsen unter allen denkbaren Regierungsbündnissen eine Linkskoalition am allerwenigsten. Und wenn man sich die sächsische SPD näher anguckt, gibt es in ihr ganz erhebliche auch emotionale und programmatische Widerstände dagegen, sich als Juniorpartner ihres im Grunde ernsthaftesten linken Gegners durch die politische Arena führen zu lassen.
    Grieß: Da muss man warten auf einen Generationenwechsel, bis die Bereitschaft für eine linke Lagerbildung in Sachsen wächst?
    Patzelt: Da wird man darauf warten müssen, wobei vieles dafür spricht, dass im Generationenwechsel die Linkspartei eher an Attraktivität verlieren wird, denn die Stärke der sächsischen Linkspartei kommt ganz wesentlich von ihren außerordentlich tüchtigen Kommunalpolitikern, wo sich der, wie man sagen könnte, reformsozialistische Flügel der SED und PdS am Anfang durchgesetzt hat und durch praktisch sehr, sehr solide Arbeit gezeigt hat, das man dieser Partei vertrauen kann. Ob im Generationenwechsel, der naturgemäß viele Jugendliche, ideologisch auch sehr stark geprägte junge Leute anzieht, ob diese Seriosität der Linkspartei dann noch durchzuhalten ist, das ist eine der Fragen, mit der sich die Linkspartei intern herumschlägt.
    Grieß: Zu guter Letzt, Herr Patzelt, sprechen wir über die FDP, die in Sachsen plakatiert, Sachsen sei nicht Berlin. Ein geografsches Faktum, aber gemeint ist wohl, dass die sächsische FDP sehr eigen sei und etwas anderes sei als die FDP-Bundespartei. Hilft den Liberalen das womöglich doch noch über die Fünf-Prozent-Hürde?
    Patzelt: Die FDP ist je nach Umfragen ein wenig von unten her an die Fünf-Prozent-Hürde herangekommen, aber noch nicht bis zur Grenze, sodass das Prinzip Hoffnung immer noch den Wahlkampf prägt. Es ist die einzige Chance der sächsischen FDP, auf Eigenständigkeit zu setzen, was ja hin bis zur gerade brüsken Ausgrenzung der Bundesspitze im sächsischen Wahlkampf und im sächsischen Wahlparteitag der FDP gereicht hat. Und es ist ja in der Tat die gigantische Fehlleistung der Bundes-FDP, die auch die sächsische FDP so weit nach unten gezogen und um ihr Ansehen gebracht hat. Das ist die einzige Möglichkeit für die sächsische FDP, Wahlkampf zu führen. Ob es reichen wird, das steht in den Sternen, aber die Sterne stehen nicht wirklich günstig für die FDP.
    Grieß: Der Freistaat Sachsen wenige Tage vor der Landtagswahl – herzlichen Dank Werner Patzelt, Politikwissenschaftler an der TU Dresden.
    Patzelt: Gern geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.