Donnerstag, 28. März 2024

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Landtagswahlen im Osten
"Die Kirche kann sich nicht raushalten"

Wahlempfehlungen der Kirchen gibt es nicht mehr, aber auch mit Warnungen vor der AfD halten sie sich zurück, vor allem in Sachsen. "Das hat etwas mit einer Scheu vor der eigenen Klientel zu tun", sagt der theologische Blogger Philipp Greifenstein. Auch Nicht-Positionierung sei eine Positionierung.

Philipp Greifenstein im Gespräch mit Gerald Beyrodt | 29.08.2019
Stimmzettel zur Landtagswahl
Am 1.September werden in Brandenburg und Sachsen neue Landtage gewählt (dpa-Zentralbild / ZB / Patrick Pleul)
Gerald Beyrodt: Am Sonntag wird gewählt in Brandenburg und in Sachsen. In beiden Ländern ist das Abschneiden der AfD Thema und damit steht plötzlich Religionspolitik auf der Tagesordnung. Die AfD bringt Themen wie Moscheebau, Schächtung und Beschneidung in die Landeswahlkämpfe – Themen, die man dort eher nicht so erwarten würde. Ich bin verbunden mit Philipp Greifenstein. Er betreibt das Online-Magazin "Die Eule" für Kirche, Politik und Kultur". Er ist Blogger und Journalist. Und er lädt heute zur Podiumsdiskussion "Kirche hat die Wahl" in Dresden ein. Dort sitzt er in unserem Studio. Guten Morgen, Herr Greifenstein.
Philipp Greifenstein: Guten Morgen.
"Christen erwarten eine Orientierung ihrer Kirche"
Beyrodt: Herr Greifenstein, welche Wahl hat die Kirche denn in Sachsen und Brandenburg?
Greifenstein: Sie hat immer wieder neu die Wahl, wie sie sich zur Tagespolitik und zu größeren politischen Linien positioniert. Mir ist immer ganz wichtig zu sagen, dass eine Positionierung, die auch unpolitisch daherkommt, am Ende auch eine Positionierung ist. Das heißt, die Kirche hat eine Wahl nicht: sich ganz rauszuhalten.
Beyrodt: Wenn Sie es denn täte, sich ganz stark zu positionieren, welche Einfluss hat das heutzutage noch?
Greifenstein: Das ist natürlich regional unterschiedlich. Hier in Sachsen gibt es schon eine signifikante Minderheit von Christen - und Kirchentreuen dazu -, und die erwarten, denke ich, auch zu Wahlzeiten eine Orientierung ihrer Kirche.
Beyrodt: Und die halten sich auch da dran?
Greifenstein: Die halten sich da vielleicht nicht vollständig dran. Auch das Milieu der Christen hier in Sachsen ist nicht mehr einheitlich, sondern stark geprägt durch zum Beispiel den Unterschied von Stadt und ländlichem Raum. Und dann gibt es hier traditionell noch Unterschiede zwischen den Regionen, die früher einmal stark pietistisch, heute evangelikal geprägt sind, und einem urbanen Stadtbürgertum.
"Die AfD bietet Anknüpfungspunkte in ein evangelikales, pietistisch geprägtes Milieu"
Beyrodt: Wie positionieren sich denn die Kirchen in Sachsen und Brandenburg?
Greifenstein: Von der evangelischen Kirche in Berlin, Brandenburg und schlesischer Oberlausitz haben wir gerade vom geschiedenen (gemeint ist: scheidenden) Bischof Markus Dröge sehr klare Aussagen, auch in Richtung des Rechtsradikalismus. In Sachsen sieht das anders aus: Dort hält sich die Kirchenleitung mit kritischen Äußerungen gegenüber AfD und Co. zurück.
Bischof Markus Dröge spricht am 08.04.2016 bei der Eröffnung der Frühjahrssynode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz in Berlin
Der Berliner Bischof Markus Dröge sagte schon auf dem Evangelischen Kirchentag 2017: "Es steht kein christliches Menschenbild im Parteiprogramm der AfD." (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
Beyrodt: Und woran liegt diese Zurückhaltung?
Greifenstein: Das hat ganz sicher etwas mit einer Scheu vor der eigenen Klientel zu tun. Und auch etwas damit, dass die AfD es ganz geschickt angestellt hat, bestimmte politische Inhalte, die konservativen Christen in Sachsen wichtig sind, ins eigene Programm zu hieven, beziehungsweise Anknüpfungspunkte zu schaffen. Ein Beispiel dafür ist immer wieder die Familienpolitik – oder die Fragen, die sich immer wieder um geschlechtliche Identität herum entspinnen. Und da gibt es Anknüpfungspunkte in ein evangelikales, pietistisch geprägtes Milieu.
"Kirche kann nicht nicht politisch sein"
Beyrodt: Wie beurteilen Sie denn diese Zurückhaltung der Kirchen? Ist das förderlich?
Greifenstein: Ja, ich hatte eingangs ja gesagt: Kirche kann nicht nicht politisch sein. Und insofern ist so eine Zurückhaltung auch ein Zeichen – nämlich dafür, dass die Kirche sich eben nicht eindeutig positioniert bei denjenigen, die sich für Demokratie und gleichwertige und gleichberechtigte Lebensverhältnisse einsetzt.
Beyrodt: Sie haben mir im Vorgespräch gesagt, die AfD arbeite seht stark mit dem Schema "Wir und die Anderen" - wie meinen Sie das?
Greifenstein: Ja, da gibt es eine Dichotomie, die immer darüber läuft zu sagen: Wir Sachsen – und der Rest des Landes. Oder: Wir Deutsche – und der Rest des Kontinents. Und das kann man, denke ich, ganz gut durchbrechen, aus dem eigenen christlichen Glauben heraus, der solche Grenzen ja überwindet. Und dort, wo das nicht gemacht wird, sondern wo Kirche sich auf so ein "Wir - und die Anderen", Innen und Außen, einlässt, da geht sie der AfD natürlich schon ein Stück weit entgegen.
Die AfD fordert ein Schächtungsverbot
Beyrodt: Wenn wir mal diese Themen nehmen, Beschneidung, Schächtung – was fordert die AfD da?
Greifenstein: Also beim Schächten ist das recht eindeutig. Da steht in dem etwas sehr selbstbewusst formulierten Regierungsprogramm der AfD, dass das Schächten ohne Ausnahme in Sachsen verboten werden soll. Das macht natürlich eine Religionsausübung von Juden und Muslimen in Sachsen unmöglich. Und, tja, da ist es ganz einfach so, dass man sich hätte wünschen können, dass alle Religionsgemeinschaften in Sachsen da gemeinsam – unter anderem eben auch die größte, nämlich die evangelische Landeskirche – sich da ganz deutlich positionieren und sagen: So geht das bei uns nicht.
"Zaghaft und unentschlossen"
Beyrodt: Welche Rolle spielen denn säkulare Atheisten in diesem Wahlkampf? Wir haben jetzt sehr stark betont die Pietisten, aber es gibt ja sicher auch ein starkes Potenzial von Menschen, die mit Religion gar nicht so viel anfangen können.
Greifenstein: Genau. Das ist hier in Sachsen die Mehrheit der Menschen, wie das zunehmend in ganz Deutschland und in Ostdeutschland überall der Fall ist. Aber auch für die hat ja die Kirche ein Angebot zu machen – besonders für diese Menschen. Nämlich wenn es darum geht, deutlich zu machen: Was ist eigentlich das, was unser Leben trägt? Was über das Alltägliche hinausgeht? Und gerade da muss man natürlich sprachfähig werden in einer anderen Form als dass man immer zum Binnenpublikum spricht. Ich bin mir sicher, dass die politische Argumentation und die politische Sprache der Kirche hier in Sachsen beim Binnenpublikum gut verstanden wird. Von etwas weiter außerhalb wirkt es zaghaft und unentschlossen.
Der evangelische Theologe, Journalist und Blogger Philipp Greifenstein
Philipp Greifenstein fordert von der sächsischen Landeskirche eine klarere Positionierung gegen Rechts (Philipp Greifenstein)
Beyrodt: Also Sie sagen, die grenzen sich schon ab, aber man muss das erst mal verstehen, lesen können, ja?
Greifenstein: Ja. Es braucht, das hat die sächsische Landeskirche ja nicht alleine, sondern gemein mit allen evangelischen Landeskirchen in Deutschland, ja ein besonderes Geschick, aus öffentlichen Stellungnahmen und Denkschriften dann den Inhalt herauszukristallisieren. Aber in Sachsen ist das schon etwas Besonderes, denn in der Wahlhandreichung der sächsischen Landeskirche, die gemeinsam mit dem Bistum Dresden-Meißen entstanden ist, da kommt das Wort AfD zum Beispiel - oder der Parteiname AfD - gar nicht explizit drin vor. Und das ist schon ein Problem. Ich habe das Gefühl, hier wird also in einer Sprache, die über den Verhältnissen steht, gesprochen, was ich für völlig unnötig halte, denn am Ende wissen ja alle, worum es geht – und da kann man sich ja auch deutlich äußern.
"Das sind Phantomschmerzen"
Beyrodt: In diesen Tagen erinnern wir viel an den Mauerfall, an die Friedliche Revolution vorher, an die Stellung der Kirchen dort. Ist die im Vergleich dazu sehr gesunken?
Greifenstein: Nein, ich glaube nicht. Das sind natürlich Phantomschmerzen einiger, die sich an der Erzählung festhalten, dass die Kirche zur Wendezeit eine besonders große gesellschaftliche Prägekraft hatte. Und das gehört sicherlich zu einem kompletten Bild dieser Zeit auch dazu, aber trotzdem ist das der Ergänzung eigentlich würdig. Also wenn die gegenwärtige, stark durch Zweifel, eigene innere Zweifel geprägte Phase in den Kirchen in Ostdeutschland zu etwas nütze ist, dann vielleicht auch zur Klärung der eigenen jüngeren Geschichte. Wo und wie hat man sich in der DDR und in den 90er-Jahren denn tatsächlich verhalten?
Beyrodt: Das Kreuz bei der Wahl und die Kirchen: Darüber habe ich mich mit dem Blogger Philipp Greifenstein unterhalten. Heute Abend um 19 Uhr bietet er am Dresdner Institut für Fortbildung in Dresden eine Diskussion zum Thema an. Herr Greifenstein, vielen herzlichen Dank.
Greifenstein: Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.