Donnerstag, 28. März 2024

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Landwirtschaftsvertreter zu Bauernprotesten
"Die bäuerliche Arbeit ist unheimlich viel wert"

Georg Janßen, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, fordert eine gemeinschaftliche Agrarwende. Jahrzehntelang hätten Bauern zu billigsten Preisen gute Produkte liefern müssen, sagte er im Dlf. Dieses Modell stoße sowohl an wirtschaftliche als auch an gesellschaftliche Grenzen.

Georg Janßen im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 26.11.2019
Landwirte stehen mit ihren Treckern nach einer Sternfahrt in der Hamburger Innenstadt auf dem Holstenwall.
Georg Janßen von der AbL fordert verbindliche Vereinbarungen, damit Bauern wirtschaftlich mitgenommen werden bei einer Agrarwende (dpa/Christian Charisius)
Jürgen Zurheide: Die Bauern demonstrieren. Sie ziehen heute nach Berlin. 5000 Traktoren, 10.000 Männer und Frauen werden dort auf die Straße gehen, für ihre Interessen lautstark demonstrieren. Politik hat sich angesagt, aber es wird sicherlich Pfiffe geben. So viel kann man jetzt schon festhalten.
Über all das wollen wir jetzt reden mit Georg Janßen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, der am Telefon ist. Guten Morgen, Herr Janßen!
Georg Janßen: Einen wunderschönen guten Morgen nach Köln.
Zurheide: Jetzt frage ich Sie. Werden Sie Frau Klöckner auch mit Pfiffen erwarten und anheizen?
Janßen: Ich denke, was wir auf jeden Fall überlegen müssen, auch wenn die Situation auf vielen Höfen angespannt ist: Es hilft uns nicht viel weiter, wenn wir in die Zukunft gucken, einfach nur Bauern-Bashing oder NGO-Bashing zu machen, wie das in den letzten Wochen sich ziemlich zugespitzt hat. Ich finde, dass wir längst an einer Zeit sind, und ich würde fast das große Wort historische Wende sagen, dass wir Abschied nehmen müssen von einem Agrarmodell, was uns als Bauern und Bäuerinnen seit Jahrzehnten in eine internationale Kostenführerschaft gedrängt hat. Wir müssen zu billigsten Preisen gute Produkte liefern und dieses Modell, das stößt an Grenzen, an unsere wirtschaftlichen Grenzen als Bauern, aber auch an gesellschaftliche Grenzen. Deshalb hilft uns keine Pfeiferei gegenüber Ministern, sondern wir müssen alle in die Verantwortung und in die Pflicht genommen werden.
"Wir von der AbL sind einen anderen Weg gegangen"
Zurheide: Damit sind wir bei dem Kernproblem, das aber innerhalb der Bauernschaft viele möglicherweise anders sehen. Sie als kleinerer Verband der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft stehen nicht alleine auf weiter Flur, aber Sie sind nicht die Mehrheit. Was muss sich auch innerhalb der Vertretung der Bauernschaft ändern?
Janßen: Wir haben innerhalb der Gesellschaft von Seiten der Bäuerinnen und Bauern es sehr versäumt, uns rechtzeitig eine Unterstützung von der Gesellschaft zu holen. Die bäuerliche Arbeit ist in meinen Augen unheimlich viel wert. Wir erzeugen Lebensmittel, ganz gleich ob erst einmal konventionell oder biologisch gewirtschaftet. Für mich bedeutet das, dass ich einen unheimlichen Respekt davor habe, welche Arbeit geleistet wird. Dafür aber die Unterstützung der Gesellschaft auch abzuholen, sich mit der Gesellschaft zu verbünden, da sind wir von der AbL einen anderen Weg gegangen als die Führungsspitze des Deutschen Bauernverbandes, der gemeint hat, mit der Partnerschaft mit der Agrarindustrie wird man die Zukunftsprobleme lösen.
Das Ergebnis haben wir: Wir haben keine fairen Preise. Wir haben kein ausreichendes Einkommen. Es geht ans Eingemachte. Die Insolvenzzahlen auf den Höfen steigen. Die Bürokratie steigt, und das alles führt zu einer Wut und zu einem Frust. Deshalb ist es richtig zu gucken, wir sind nicht mehr alleine, sondern wir müssen uns zusammentun, und seit dem Milchstreik habe ich so eine Bewegung lange nicht gesehen. Aber ich bin der Meinung, dass wir von der AbL einen anderen Weg gegangen sind, der wichtig ist, nämlich die schwierige komplizierte Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Gruppen zu führen. Deshalb sind wir während der Internationalen Grünen Woche seit 2011 immer mit über 20.000 Menschen auf der Straße, um eine Agrarwende einzufordern.
"Das ist ein großes Versäumnis der Politik"
Zurheide: Lassen Sie uns das konkret machen. Die Problemlage ist ja da, und da hat ja die Landwirtschaftsministerin nicht ganz Unrecht. Die Nitrat-Belastung ist zu hoch. Ich finde heute Morgen auch Pressemitteilungen vom Bundesverband der Wasserwirtschaft und so weiter. Die sagen, da muss ja etwas passieren – nicht nur, weil jetzt die EU-Strafzahlungen drohen. Da ist erst mal ein Problem. Das bestreiten Sie auch nicht?
Janßen: Überhaupt nicht! Die Veränderungen sind notwendig. Sie müssen aber für uns Bäuerinnen und Bauern auch umsetzbar sein und bezahlbar sein. Das heißt konkret: Wenn praktisch in einzelnen Gebieten in Deutschland das Rad aus dem Ruder gelaufen ist – und das ist ja unbestritten; es gibt Regionen, wo die Nitrat-Werte viel zu hoch sind -, dann kann man aber nicht alle Bäuerinnen und Bauern gleichzeitig mit in Schutzhaft nehmen, sie müssen dann alle dafür büßen, sondern es muss geguckt werden, wie ist die Situation. Das ist ein großes Versäumnis der Politik, dass sie gedacht hat, sie machen das zusammen mit der Agrarindustrie und mit der Führungsspitze des Bauernverbandes und dann wird das Ding schon laufen. Das stößt jetzt an Grenzen, sowohl an wirtschaftliche als auch an Umweltgrenzen. Deshalb bin ich fest davon überzeugt: Wenn wir es hinbekommen, zusammen eine Ackerbau-Strategie zu erarbeiten, wie man klimaschonenden und umweltschonenden Ackerbau hinbekommt, zusammen sich hinsetzt, wie man eine Grünland-Strategie schafft, damit auch den Milchbäuerinnen und Milchbauern geholfen wird, zusammen sich hinsetzt, wie eine EU-Agrarreform aussieht. Es ist doch ein Skandal, wenn immer noch 20 Prozent der Betriebe 80 Prozent der EU-Milliarden bekommen – das sind ja Steuergelder, die dort ausgegeben werden -, ohne dass überhaupt geguckt wird, wofür wird es denn ausgegeben. Wir brauchen doch Gelder für den klimaschonenden Ackerbau. Wir brauchen Gelder für die artgerechte Tierhaltung. Bäuerinnen und Bauern sind doch längst bereit, auch gerade junge Bäuerinnen und Bauern sind bereit, das zu tun. Deshalb muss man nicht einfach nur auf Dialog setzen. Das wird heute das Wort sein am Brandenburger Tor auch von Ministerin Klöckner. Dialoge haben wir viele geführt. Wir brauchen doch verbindliche Vereinbarungen, damit auch die Bäuerinnen und Bauern wirtschaftlich mitgenommen werden bei dieser Wende.
Zurheide: Aber, Herr Janßen, das ist in allererster Linie vielleicht auch ein Problem der bäuerlichen Vertretung. Das heißt, wo liegt da der Ball jetzt? Liegt er bei der Politik, oder müssen sich die Kolleginnen und Kollegen von Ihnen nicht anders organisieren, wenn sie das durchsetzen wollen?
Janßen: Ja, es wird eine Diskussion darüber geben. Die findet ja jetzt schon statt. Längst ist ja die Kritik an der Führungsspitze des Bauernverbandes, nicht an der Basis, da sind viele gute Leute bei, da arbeiten wir auch seit Jahren mit zusammen. Aber noch mal: Wir brauchen eine Beschlusslage, dass wir alle in die Pflicht und die Verantwortung nehmen. Da sind die Bauern und Bäuerinnen gefragt. Da sind die Verbraucherorganisationen und Umweltschutzorganisationen und Tierschutzorganisationen gefragt, aber auch der Lebensmitteleinzelhandel muss an den Tisch, die großen Molkereien. Alle meine Verwandten sind bei der größten Molkerei Deutschlands. Die bekommen im Augenblick 32 Cent für den Liter Milch. Das ist doch würdelos, wenn man für eine gute Arbeit 32 Cent bekommt. Und natürlich auch die Großen aus der Fleischwirtschaft, die Wissenschaft und die Politik. Alle müssen an einen Tisch, um zu sagen, wie kriegen wir es hin, dieses große Spannungsfeld zwischen den zum Teil ja wirklich berechtigten Erwartungen der Gesellschaft, aber auch der wirtschaftlichen Lage – wenn wir das zusammendenken und damit dann auch viele Bäuerinnen und Bauern mitnehmen, das ist unsere Aufgabe.
"Bauernproteste sind nicht vom Himmel gefallen"
Zurheide: Nur wird diese Demonstration heute eher helfen, oder verhärtet das am Ende die Fronten? Denn ich sage voraus, dass Frau Klöckner ausgepfiffen wird. Das ist ja dann nicht besonders angenehm. Wie kann man diese Brücken bauen, die Sie gerade bauen wollen?
Janßen: Ich denke, die Brücke wird schon am 2. Dezember möglich sein, sie zu bauen, wenn die Politik die Lage wirklich ernst nimmt und auch erkennt – am 2. Dezember lädt die Bundeskanzlerin ein.
Zurheide: Sind Sie übrigens dabei?
Janßen: Ja, wir sind auch dabei und wir werden genau das einfordern. Die Bauernproteste sind ja nicht vom Himmel gefallen, sondern das ist auch ein Versäumnis der Agrarpolitik in den letzten Jahrzehnten. Wenn wir bereit sind, alle zusammen Vereinbarungen zu treffen in die Richtung, wie ich gesagt habe, Ackerbaustrategie, eine Nutztierhaltungsstrategie und eine EU-Agrarreform, die wirklich der großen Zahl der Betriebe auch etwas bringt und auch der Gesellschaft und der Umwelt etwas bringt, wenn wir das als Konsens hinbekommen, das ist doch die Aufgabe der Stunde, einen gesellschaftlichen Konsens hinzubekommen zwischen Bauern, Gesellschaft und Politik. Das, denke ich, kann der 2. Dezember schon auch bringen. Dafür werden wir uns einsetzen als AbL.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.