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Lange Arme für eine Krake

Umwelt. - Der Weltklimarat IPCC zeichnet verantwortlich für jene Berichte, die aller Welt vor Augen führen, wie dramatisch die Folgen der Atmosphärenerwärmung bereits sind und wohin sie noch führen können. Noch wirkungsvoller wäre die Organisation, wenn ihr lokale Klima-Service-Agenturen unter die Arme griffen, meinen Autoren eines Kommentars in "Nature Geoscience".

Ralf Krauter im Gespräch mit Martin Visbeck | 11.12.2007
    Martin Visbeck: Ich denke, man muss vorweg schicken, der IPCC ist eine unheimlich erfolgreiche Organisation. Wir haben es geschafft, eine weit gehend einheitliche Meinung zu bilden zu dem Thema Klimawandel. Und dieser Prozess des IPCC ist da von ungeheuer großer Bedeutung, aber auch sehr zeitaufwändig. Es dauert ungefähr vier Jahre, wo viel Arbeitszeit von vielen Forschern rein geht, um diese Berichte zu erstellen. Die sind sehr umfassend, sehr streng begutachtet, nach einem vernünftigen Verfahren ausgewertet. Das hat den Nachteil, dass natürlich aktuelle Entwicklungen oder Daten da nicht eingehen können, weil dann die Zeit fehlt, diese zu beurteilen. Wenn man heute schaut, wer hat Interesse an Klimainformationen, dann sind das sehr viele, das ist die breite Öffentlichkeit, das sind aber auch Unternehmen, die Politik, und die wollen natürlich auch wissen, wie war es denn letztes Jahr oder vielleicht was kommt im nächsten oder übernächsten Jahr. Diese Informationen kann der Weltklimarat so nicht liefern. Dazu brauchen wir andere Organisationen, die auf viel kürzeren Zeitskalen uns Informationen vermitteln können.

    Ralf Krauter: Sie schlagen in ihrem Kommentar vor, dem IPCC sozusagen unter die Arme zu greifen, Regionale Klima-Service-Dienstleister einzurichten. Wie könnte das denn aussehen?

    Visbeck: Man muss sich das so vorstellen, der IPCC-Report hat natürlich immer eine globale Sichtweise und das ist auch gut so, denn wir alle werden von dem globalen Klimawandel betroffen sein. Trotzdem ist es für ein Land wie Deutschland zum Beispiel wichtig, eine eigene Position dabei zu entwickeln. Konkret heißt das, sollten wir uns für den Weg zur Verminderung der Treibhausgase entscheiden, kann man sich überlegen, welche politischen und ökonomischen Instrumente sind für Deutschland wichtig. Weiterhin kann man sich fragen, welche von diesen globalen Folgen werden wir denn in Deutschland spüren. Und das hat zwei Aspekte: einmal, wie wirkt sich der Klimawandel im Detail in Deutschland aus. Dazu gibt es allerdings jetzt schon Studien vom Umweltbundesamt, auch finanziert außerhalb des IPCC, die auch sehr gut zu unterstützen sind. Aber natürlich verdienen wir unser Geld nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Regionen der Welt, zum Beispiel in China, Afrika, Indien. Und über die Entwicklung in diesen Ländern, die auch für uns wirtschaftlich von Interesse sind, ist natürlich so viel dann doch nicht bekannt.

    Krauter: Und das Ziel wäre jetzt, diese Daten zusammenzutragen, um sie Entscheidungsträgern bei Bedarf schnell zur Verfügung zu stellen, zum Beispiel wenn es darum geht, die Deichhöhe an der Ostsee neu zu definieren?

    Visbeck: Genau darum geht es. Es geht also darum, wo wendet sich denn der interessierte Bürger, der Entscheidungsträger aus dem deutschen Sprachraum hin, wo kann man Informationen bekommen, die umfassend sind nicht nur für die nächsten zwei Tage, sondern auch vielleicht für die nächsten drei Monate und auch einen Ausblick für die nächsten 20 oder 100 Jahre. Wenn man das momentan machen möchte, zum Beispiel Meeresspiegel an der Ostsee, muss man sich an fünf verschiedene Stellen wenden - und diese muss man dann auch kennen. Ich kenne die jetzt, weil ich wissenschaftlich daran arbeite, mein Nachbar wüsste gar nicht, wo er anfangen sollte. Das ist ein Aspekt davon, wer anderer Aspekt ist, dass man sozusagen diesen Servicebereich natürlich nicht der Weltgemeinde zumuten kann. Das ist etwas, was unser eigenes Land organisieren müsste. Ich stelle mir das so vor, das wird ein Netzwerk sein von diesen Agenturen, und erste Ansätze gibt es ja auch schon, sowohl in Deutschland als auch im Ausland, dass man sozusagen auch aktuell und auf den Bedarf des Kunden eingehen kann. Das kann man vom Weltklimarat IPCC nicht erwarten.

    Krauter: Welche Rolle könnte das IFM-Geomar, ihr Institut, dabei spielen?

    Visbeck: Wir sind natürlich vorweg ein Forschungsinstitut, das heißt wir beschäftigen uns damit, die wissenschaftlichen Grundlagen zu erforschen, zu liefern, um solche Berichte zu geben. Aber wir sind uns auch unserer Verantwortung bewusst, dass wir etwas darüber hinausgehen müssen, und wir möchten gerne unsere Forschungsergebnisse einbringen für solche Institutionen, die sie dann nach Bedarf abrufen. Das heißt, wir sehen uns auch in gewissem Rahmen dieser Dienstleistung verpflichtet, aber eben mehr auf dem Forschungsteil. Der operative Teil wird in Deutschland von anderen Organisationen gemacht, also auf das Wasser bezogen wäre das das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie, auf die Luft bezogen der Deutsche Wetterdienst. Und alle diese haben auch schon Dienste, die sind aber nicht klimaspezifisch, sondern meistens eben wetter- oder sicherheitsspezifisch. Die müssten ausgeweitet werden, besser vernetzt werden, um so einen kompletten Service für Klimafragen anbieten zu können.

    Krauter: Wie reagieren denn die Kollegen vom Weltklimarat auf ihre Vorschläge? Sind die eher dafür oder dagegen?

    Visbeck: Ich glaube, diese Diskussion ist gerade mitten im Gange. Es geht zum Beispiel auch darum, zu definieren, wann wird denn der fünfte Report herauskommen. Wird er sechs Jahre nach dem vierten, jetzt gerade veröffentlichten Report erscheinen oder nimmt man sich doch mehr Zeit. Das ist eine sehr aktive Diskussion weltweit, die dort gerade läuft. Ich habe mich sozusagen mit meinem Beitrag daran beteiligt. Die ich persönlich plädiere mehr für eine etwas längere Frist, bevor man den nächsten kompletten Bericht erstellt. Man könnte aber in der Zwischenzeit Themen, die nicht abschließend behandelt werden konnten, zum Teil wegen mangelnder wissenschaftlicher Erkenntnisse, in viel kürzeren Berichten behandeln mit demselben IPCC-Prozess. Mir fällt zum Beispiel dabei ein, das Abschmelzen des Eispanzers von Grönland und dem damit verbundenen Anstieg des Meeresspiegels. Dieses Thema wurde jetzt ausgeklammert, weil die Unsicherheiten noch so groß sind. Wir sind guter Hoffnung, dass wir in drei oder vier Jahren mehr dazu sagen können, und dieses wird natürlich auch von hohem Interesse sein. Trotzdem gibt es andere Szenarien, die sich nicht ändern werden in drei Jahren. Diese alle noch einmal neu zu verhandeln, halte ich für sehr viel Aufwand, den man eigentlich nicht machen muss.

    Krauter: Das heißt, es geht auch darum, eigentlich auch Arbeit einzusparen, die man nicht mehr braucht, weil die Fakten ja auf dem Tisch liegen?

    Visbeck: Man hat jetzt schon gesehen, dass der vierte Bericht viele Teile des dritten Berichts eigentlich mehr oder weniger wiederholen musste, weil so viel neue Erkenntnis in den drei Jahren nicht dazu gekommen ist. Deswegen sind die Sachen nicht weniger wichtig, aber es ist eine gewisse Duplizität da gewesen. Wir wollen das uns nun etwas ersparen, und was immer fehlt und viel nachgefragt wird, sind eben die aktuellen Trends, und die kann der IPCC eben gar nicht liefern.

    Krauter: Ist es Zufall, dass ihre Initiative gerade jetzt erfolgt? Mit dem Bali-Klimagipfel scheinen die Umstände ja günstig zu sein.

    Visbeck: Also diese Initiative, der Zeitraum ist ein bisschen zufällig. Ich wurde tatsächlich auch gefragt von Nature, dazu einen Kommentar zu schreiben. Ich habe mich in diversen wissenschaftlichen Gruppierungen dazu über die letzten Monate schon geäußert. Bali ist ein ganz wichtiger Punkt dabei, in Bali geht es eben darum, dieses Thema Klimawandel auch in der Weltöffentlichkeit weiter zu diskutieren. Die große Frage dort wird sein, sind wir als Weltstaatengemeinschaft bereit oder auch in der Lage, tatsächlich die Treibhausgase zu reduzieren, oder im Falle des Scheiterns müssen wir uns darauf einstellen, mit all dem zu leben, was da kommen könnte. Ich persönlich hoffe doch sehr, dass man doch zumindest in einem gewissen Rahmen sich darauf einigen kann, die Treibhausgase zu reduzieren. Allerdings sind die wirtschaftlichen Hürden, die man dort nehmen muss, nicht klein, und ich denke, Bali alleine wird keinen Durchbruch bringen. Aber ich bin doch zuversichtlich, dass der Weg weitergegangen wird und vielleicht auch neue Instrumente entwickelt werden können, die dann den erwünschten Erfolg verschaffen.