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Lange Suche nach dem deutschen Publikum

In der Begründung für seine Auszeichnung mit dem WELT-Literaturpreis des Springer-Verlages 2008 hieß es: "Hans Keilson beschäftigen in seinen Romanen, Gedichten und Essays bis in die tiefsten seelischen Verästelungen hinein jene destruktiven Impulse, die im 20. Jahrhundert wirksam wurden." Zwei Bände geben nun das Werk des aus Deutschland in die Niederlande Geflüchteten wieder.

Von Christian Döring | 08.02.2009
    Dieser denkwürdige Berliner Abend im damals gerade zu Ende gehenden Jahr 2008 wird bei mir, so wie bei allen Anwesenden, tief im Gedächtnis haften bleiben: ein zierlich-schmächtiger, vornehmer alter Herr, getönte Brille auf der Nase, bewegt sich langsam auf die Bühne zu, legt, oben angekommen, den Gehstock beiseite, nimmt Platz und rezitiert in den atemlos stillen Raum hinein ein Gedicht mit dem Titel "Variation" - aus dem Gedächtnis gesprochen vier vitale Verse. Ehrfurchtsvoll lauschten wir alle dem Autor Hans Keilson:

    "
    Denk ich an Deutschland in der Nacht-
    Wie oft hab ich den Vers gelesen
    Und dessen, der ihn schrieb gelacht.
    Er wär mein Bruder nicht gewesen.

    Ich nicht - ich bin aus andrem Holz,
    dacht ich, mich kann die Axt nicht kerben,
    ich trage meinen harten Stolz
    im Leben hart – hart auch im Sterben?

    Doch lieg ich jetzt und gar so wund
    In fremdem Land und scheu das Licht.
    Es tönt aus meines Kindes Mund
    Ein andrer Klang als mein Gedicht.

    Und wenn es dämmert, ziehn vom Meer
    Flieger herauf zur Phosphorschlacht.
    Ich lieg auf meinem Lager, schwer,
    denk ich an Deutschland – in der Nacht."

    Wir hörten diese Heinrich Heine - Variation von Hans Keilson, in der sich Sentiment, Schmerz und Selbstironie vermischen, im Wissen um die Magie dieser Stunde; denn ein Jahrhundertmensch sprach gerade hier und jetzt, in einer wie aus weiter Ferne kommenden Sprache; jemand, der den meisten ein großer Unbekannter geblieben ist, dessen nun methusalemsche Existenz aber beinahe das gesamte vorige Jahrhundert umschließt: Hans Keilson steht heute in seinem 100. Lebensjahr.

    Am 12. Dezember 1909 wurde er in Bad Freienwalde an der Oder geboren. Er wird als Fünfjähriger am Tisch seiner Eltern, liberal gesonnenen, assimilierten Juden, der Vater ein Kaufmann, von den Schüssen da unten in Sarajewo auf Franz Ferdinand gehört haben. Damals, als die erste der Jahrhundertkatastrophen begann, die das Leben von Hans Keilson dramatisch geprägt haben. Und damals, in der Kindheit, hieß der Ort in der westgalizischen K.u.K. Monarchie, die bald unterging, auch noch Oswiecim. Als die Deutschen ihn Auschwitz nannten, endete dort grauenvoll das Leben von Max und Else Keilson, den Eltern des Hundertjährigen.
    Das Jahrhundert hat Hans Keilson, dem heute niederländischen Bürger und deutschsprachigen Schriftsteller, mehrere Leben abverlangt. In seiner Lyrik, in seinen Romanen, Erzählungen und Essays werden sie lesbar. Aber die Literatur macht nur die eine Seite der Vita von Hans Keilson aus; neben dem Autor steht der Arzt, der heute immer noch praktizierende Psychoanalytiker – "Heiler und Dichter" -, hat man ihn wegen dieses Doppelcharakters genannt. Er reite auf zwei ungesattelten Pferden, dem der Wissenschaft und dem der Literatur, und springe gern öffentlich von einem zum anderen, ironisiert er sich gern selbst. Den Imperativ von Sigmund Freud, dieses mühselige "Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten" – hat Hans Keilson sich jedenfalls wie in einem Überlebensreflex produktiv zu eigen gemacht. Den Arzt, für den sich Freud "alsbald als das einzig wirksame Antidoton" erwies, und den Autor eint der Einspruch

    dass in Anlehnung an Wittgenstein der Eindruck entstehen könnte, dass man darüber, worüber man nicht reden kann, schweigen sollte. Ich teile diese Meinung nicht. Man sollte es immer wieder aufs neue versuchen.

    Die Fähigkeit zur Empathie, zum Hineinfühlen und Mitdenken des anderen im Dialog, charakterisiert den Autor wie den Arzt.
    Das Leben, das Überleben und das imposante Werk von Hans Keilson sind durchdrungen von den Geschehnissen, die ihn zum Zeitzeugen machen; die uns vielleicht Wertvollste seiner Lebensrollen. "Wir sind die Letzten. Fragt uns aus", ermunterte noch der jüdische Dichterfreund Hans Sahl. Und ohne in die Rolle des moralisierenden Anklägers zu verfallen, wiederholt Hans Keilson immer wieder:

    Mein Leben und meine Erinnerungen sind geätzt von den Schwaden der Zerstörung (...), durchtränkt von Erfahrungen und Abschieden, freiwilligen und ungewollten, zwei Weltkriegen, Verfolgung und Emigration. Den Anfang der Shoah habe ich noch in Berlin miterlebt.

    Den Weg aus der brandenburgischen Kleinstadt im Oderbruch dorthin nach Berlin beschreibt das literarische Debüt von Hans Keilson: "Das Leben geht weiter". Es ist im Rückblick ein irritierender Titel, denn Goebbels verfremdete ein Jahrzehnt später die Satzfloskel zur zynischen Durchhalteparole und zum Titel des letzten nationalsozialistischen Propagandafilms, der glücklicherweise nicht mehr in die Kinos kam und als verschollen gilt.
    Der Roman "Das Leben geht weiter", den Hans Keilson als 21, 22– jähriger neben seinem Medizinstudium verfasste, porträtiert "Eine Jugend in der Zwischenkriegszeit", wie es der später hinzugefügte Untertitel ankündigt. Aber der Roman ist mehr. Er entwirft präzis-sachlich beobachtet und mit Gespür für alle seelischen Regungen das Psychogramm des Kaufmanns und Bürgers Johann Seldersen. Krieg, Nachkrieg und Inflation, die Wirtschaftskrise reißt ihn, der mit seiner Frau ein Bekleidungsgeschäft in einer Kleinstadt bei Berlin führt, schier unaufhaltsam in den geschäftlichen und privaten Bankrott.

    Das ist also mein Vater, denkt Albrecht, er sitzt ihm gegenüber und kann nicht aufhören, ihn immer wieder verstohlen anzusehen, das Gesicht, die Hände, den ganzen müden Körper. Da hat er nun sein ganzes Leben gearbeitet, und das also ist das Ergebnis. (...) Ich glaube, jetzt weint er sogar im Stillen, man hört es nur nicht. Ich habe ihn schon weinen hören, es klang wie das Weinen eines Tieres, kein starker Ausbruch, man meint, alle Bitterkeit senke sich nur noch tiefer in ihn. (...) Noch später erinnerte er sich genau an die Stunde, da sein Vater und er zusammensaßen und er einsichtig wurde. Er glaubte, dass er damals unbändig an Erfahrung gewann, mit einem gewaltigen Schritt über sein Alter hinaussprang.

    Natürlich ist dieser Roman autobiographisch unterfüttert, eigentlich wird er zur literarischen Selbstanalyse.

    Mein Roman war der Versuch, den Niedergang eines Kaufmanns aus dem kleinen Mittelstand in den politischen und ökonomischen Wirren der deutschen Geschichte nach 1918 zu beschreiben. Das war die Geschichte meines Vaters, das Scheitern eines deutschen Mannes.

    Hans Keilson erzählt von einer Jugend zwischen den Kriegen - erstaunlicherweise aber nicht von einer jüdischen Generationserfahrung des durch die elterliche Misere über sein Alter "hinausspringenden" Albrecht; er macht die zunehmenden antijüdischen Ressentiments, die auch der junge Hans Keilson auf dem Gymnasium verkraften musste, mit keinem Romanwort zum Thema.
    Das Selbst- und Generationsporträt splittet sich ihm vielmehr wie unbewusst auf: die Geschichte des jungen Juden im allmählich dem Naziwahn verfallenden Deutschland erzählt Hans Keilson erst im niederländischen Exil; in einem zweiten, 1959 in Deutschland erschienenen Roman – besser: Roman-Essay – mit dem Titel "Tod des Widersachers". Dazwischen lag die Erfahrung eines Grauens, das dem jungen Deutschen Hans Keilson erst die Identität des jungen Juden schmerzvoll eingebrannt hat.
    In "Das Leben geht weiter" vollzieht sich parallel zur tragischen Geschichte väterlichen Ruins eine andere Verwandlung des jungen Albrecht: aus dem einfühlsam aber zugleich blasiert Abstand bewahrenden Beobachter familiären Untergangs in der Kleinstadt wird der von der Großstadt politisierte, radikalisierte junge Mann. In literarischen Stilen gesprochen, die Hans Keilson kunstfertig zu adaptieren weiß: aus der elitären Thomas Mannschen "Tonio Kröger"-Welt, neuromantisch, stimmungsvoll und sehnsüchtig tönend und dem Leben in der Kunst abgewandt, wird die solidarische Hans Fallada oder Alfred Döblin-Welt, human und expressiv klingend und dem sozialen Leben Berlins mit seinen explodierenden ökonomischen, sozialen und politischen Krisen am Vorabend von Hitlers Machtergreifung zugewandt.
    So ziehen schließlich auch die resignierten und deklassierten Kleinbürgereltern zum Sohn Albrecht nach Berlin, wo in der Schlussszene des Romans Vater und Sohn angesichts einer sozialistischen Demonstration, die vor dem Fenster vorbeizieht, zu neuer, jetzt politischer Einsicht finden: Sie grüßen die Protestierenden.
    Hans Keilsons berühmter Lektor beim alten S. Fischer Verlag, Oskar Loerke, sowie Peter Suhrkamp, der die "Neue Rundschau" leitete, hatten dem Debütanten die zum sozialistischen Gruß gereckte Faust noch als ungemäß ausreden können; als im Frühjahr 1933 der Erstling erschien, das letzte Debüt eines jüdischen Autors im Verlag, da konnten Autor und Verlag schon ahnen, was auf sie zukam. Von Loerke erhielt der 24-jährige Hans Keilson den weitsichtigen Ratschlag:

    Machen Sie, dass Sie rauskommen. Ich befürchte das Schlimmste.

    Aufschlussreich ist seine Erinnerung an Adolf Hitler, den er neugierig aus nächster Nähe beobachtete:

    Als die Autokolonne, aus der Reichskanzlei kommend, in die Wilhelmstraße einbog, durchbrachen die Menschen, Erwachsene und viele Kinder, die Polizeikette (...) Hitler, in seinem hellen Trenchcoat, leutselig im offenen Wagen und ohne Kopfbedeckung neben dem Fahrer stehend, genoß sichtlich den Jubel der Massen (...) Auf einmal zuckte er nervös mit seinen Händen (...), wies auf die Kinder, die wie verhext vor seinem Wagen tanzten, und stammelte halblaut vor sich hin, wobei er seinen Oberkörper leicht nach vorn bog – ich stand dicht in seiner Nähe, am Rand des Bürgersteigs –:"Die Kinder, die Kinder."

    Und in seinem Roman "Der Tod des Widersachers" macht Hans Keilson in analytischer Selbstbeobachtung die eigenen Gefühle während dieser Hitler-Szene nochmals zum Thema.

    Eine tiefe Erregung stieg in mir empor. Ich begann zu zittern(...) Das ist er, schoss es durch meinen Kopf, sieh ihn dir gut an, das ist er wirklich, ja, das ist er wirklich. Ich erkannte ihn von den unzähligen Abbildungen her. Aber es war ein anderer, der da stehend in seinem Auto langsam näher kam(...) Dort stand er, und hier stand ich.

    Hans Keilson "steht" in Berlin: Sein Roman kam gerade noch rechtzeitig genug, um verboten zu werden, das medizinische Staatsexamen absolviert er, ohne Aussicht als Jude jemals praktizieren zu dürfen. Aber nicht nur hat er als Geiger und Trompeter in diversen Bands getreu der Devise: "Hauptsache, die Kapelle amüsiert sich" getingelt; er hat, ganz Tausendsassa, auch eine Hochschulausbildung als Turn-Sport- und Schwimmlehrer hinter sich und konnte bis zur 1936 von seiner ersten Frau organisierten Emigration in die Niederlande als diplomierter Erzieher noch an den Schulen der jüdischen Gemeinde tätig werden. Und auch in Holland arbeitet er zunächst psychotherapeutisch mit Kindern und Erwachsenen, lernt die Sprache, integriert sich. Und es sind nun vor allem Gedichte, die in dieser Lebenssituation, die bald zur klandestinen wird, eruptiv entstehen.
    Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen 1940 müssen die mittellose Keilsons erneut fliehen – in den Untergrund, wo er als Arzt und Kurier für die Niederländer im Widerstand arbeitet. Es wurde ihm

    das unfreiwillige Exil (...) zur freiwilligen Diaspora.

    Wieder ein neues, wieder ein anderes seiner vielen Leben, in dem er sich dem existentiellen Problem aller exilierten Schriftsteller ausgesetzt zieht. "Ach sie schreiben deutsch"? lautet der Titel eines seiner zahlreichen Essays, die Frage an den Autor, dessen Sprache auch die der Täter ist.

    Was treibt sie zu diesem Absurdum, zu diesem Schrei ins Leere, zu dieser von Stolz, Trauer und Auflehnung zuweilen bis an die Grenze der Würdelosigkeit reichenden Haltung, teilhaben zu wollen an einem Gespräch, an einer Sprachgemeinschaft, der selbst die Sprache abhanden gekommen scheint?

    Die Erfahrungen eines Untergetauchten beschreibt Hans Keilsons novellistische Erzählung "Komödie in Moll": Bram Cohen, der für das Paar Wim und Marie den Decknamen Nico führt, stirbt an der Grippe im Obergeschoss ihres Hauses, wo das Versteck für ihn eingerichtet ist. Dem Seelenerkunder Hans Keilson gelingt wieder ein Psychogramm des wechselseitigen Wahrnehmens in einer eigentlich unerträglichen, lebensbedrohlichen Konstellation; tragikomisch ausbalanciert und wieder den Rand dessen auslotend, "wohin die Sprache nicht reicht", erzählt Hans Keilson von diesem Tod in der Illegalität, der für die Gastgeber als "Komödie in Moll" endet: Im Pyjama des toten Juden, der unter einer Parkbank abgelegt wird, sind Wäschereinummer und Monogramm des "Gastgebers" eingenäht. Jetzt sind die nichtjüdischen Niederländer Wim und Marie gezwungen, die Erfahrung des Untertauchens zu leben, jetzt sind sie an der Reihe. Ein Rollentausch.

    Gestern noch Gastgeber und Trost gewährend, morgen Gast und Mitleid fragend...! (...) Es ist beinahe zum Lachen.

    In einem seiner vielen aufschlussreichen Essays aus den späteren Jahren, bei Hans Keilson darf man sagen: aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – blickt er zurück auf seinen Roman – Essay "Der Tod des Widersachers"; begonnen hatte er ihn während des Krieges, dann aber vergraben, um ihn vor den nationalsozialistischen Besatzern zu bewahren. Ein Schlüsselwerk, dieser artistisch verschachtelte zweite Roman Hans Keilsons, voller Brechungen zwischen Realität und Illusion, der 1959 in Deutschland unbeachtet erschien und bis heute wenig wahrgenommen wurde, obwohl "Der Tod des Widersachers" vom "Time Magazine" , zusammen mit illustren Namen wie Faulkner, Nabokov, Philip Roth oder Borges, auf die Liste der zehn besten Romane des Jahres 1962 erhoben wurde. Und auch die Gruppe 47 konnte mit ihm, wie mit vielen anderen Emigranten, wenig anfangen, so dass Hans Keilson das literarische Leben der Bundesrepublik immer fremd blieb.

    Wie ich meinem Feind erscheine, wie er mir begegnet, in den Verhüllungen und Maskeraden unserer Feindschaft enthüllt sich der Urgrund unseres Bestandes. . .

    . . . schreibt in ihren Aufzeichnungen die Ich-Figur des Romans, das alter-ego von Hans Keilson, der sich später selbst kommentiert und den "Widersacher" als die zentrale Figur seines Romanes wie überhaupt seines psychoanalytischen Denkansatzes erkundet, der das Demaskieren des Skandalösen sich, ganz freudianisch, zum Thema macht.

    In die Strategie der Wissenschaftssprache übertragen: gnothi seauton – erkenne dich selbst, lautete das erzieherische Prinzip der Antike. Diese Formulierung genügt nicht mehr. Erkenne dich im anderen, den du als Feind, als Widersacher vernichten willst.

    Keimzelle des Romans ist ein Exilgedicht "Bildnis eines Feindes", in dem "Ich" und "Du", "Verfolgter" und "Verfolger" symbiotisch sich verstricken.


    In deinem Angesicht bin ich die Falte
    Eingekerbt um deinen Mund,
    wenn er spricht: du Judenhund.
    (...)
    Vom Menschen bist du nur ein Scherben
    Und malst mich groß als wütenden Moloch,
    um dich dahinter rasend zu verbergen.


    Im "Wetterleuchten der Shoah" wird in den Gesprächen zwischen dem Vater, einem Photographen, und dem heranwachsenden Sohn, der als Jude seine Ausgrenzung erfährt, die Figur des Feindes, des Widersachers, mit dem Hitler gemeint ist, auch wenn sein Name nie ausgesprochen wird, umkreist. Hans Keilson erzählt subtil vom Funktionieren von Feindschaft, wenn in den Hasstiraden auf den Widersacher nichts als der verdrängte Selbsthass erkennbar wird. Hans Keilson ist fasziniert von der "Faszination des Hasses", die im "Judenhass", das Wort Antisemitismus findet er verschleiernd, in eine "Übertragungssituation" mündet . . .

    . . . bei der in erster Instanz Probleme der Aggressivität, der Ambivalenz, der Projektion, des Schuldgefühls und Schuldbewusstseins im Spiel sind.

    Was Alexander Mitscherlich als "Trauerarbeit" im Umgang mit Zerstörung und Hass charakterisiert hat, findet im Roman "Der Tod des Widersachers" bereits eine subtile erzählerische Gestalt.
    Und Hans Keilsons Frage hat auch in diesen Tagen nichts von ihrer Aktualität verloren:

    Mich hat von jeher das Verhältnis, das besondere Verhältnis zwischen diesen beiden Gruppen in deutschen Landen gefesselt – ja gefesselt. Was bindet sie auf so stürmische Weise aneinander? Was geschieht in ihren gegenseitigen Spiegelungen (...) Ist es, vorsichtig ausgedrückt, das Faszinosum des Hasses, das Geheimnis der Faszination, das dieses ambivalente Verhältnis prägt und zugleich seine Fallen stellt?

    Den Kindern, die schon in Hans Keilsons Hitler-Szene in der Wilhelmstrasse Erwähnung finden, widmet er sich, wieder in einem neuen Leben nach dem Krieg – in den Niederlanden.
    In elfjähriger interdisziplinärer Arbeit erforschte er das Schicksal der jüdischen niederländischen Kriegswaisen und schuf das weltweite Standardwerk zur Trauma-Forschung – es war die Doktorarbeit des 70-jährigen.
    Im November des vergangenen Jahres erhielt Hans Keilson die Humboldt – Universitäts – Medaille für seine Verdienste um die Alma Mater Berlinensis und wurde mit dem WELT-Literaturpreis des Springer-Verlages ausgezeichnet. Er las aus seinem 1963 verfassten Gedicht "Sprachwurzellos".


    Um die geheimnisse
    des konjunktivs
    - die zeit der bunten bälle –
    mühte ich mich
    vergebens
    an den grachten
    die neuen freunde grüßend
    und sie nennen mich mijnherr


    Hat Hans Keilson in seinem 100. Lebensjahr sein deutsches Publikum endlich gefunden?


    Hans Keilson.
    Band 1: Romane und Erzählungen, 587 Seiten
    Band 2: Gedichte und Essays, 511 Seiten
    Herausgegeben von Heinrich Detering und Gerhard Kurz
    S.Fischer Verlag