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Langer Abschied von der Vergangenheit

Mit der Zurückerlangung der außenpolitischen Souveränität wurde am 15. März 1951 in Bonn das Auswärtige Amt wieder eingerichtet - vorwiegend mit Personal, das zu NS-Zeiten bereits im Außenministerium beschäftigt war.

Von Rolf Wiggershaus | 15.03.2011
    "Der einzige Weg zur Freiheit ist der, dass wir im Einvernehmen mit der Hohen Alliierten Kommission unsere Freiheiten und unsere Zuständigkeiten Stück für Stück zu erweitern versuchen."

    In seiner ersten Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag warb Bundeskanzler Konrad Adenauer im September 1949 um Verständnis für seine Politik. Eine wichtige Erweiterung der Zuständigkeiten ergab sich, als eine sogenannte "kleine Revision" des Besatzungsstatuts die Bundesrepublik zur Wiedererrichtung eines Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten ermächtigte. Dieses letzte noch ausstehende klassische Ministerium übernahm am 15. März 1951 der Bundeskanzler in Personalunion selber.

    Einen anschaulichen Eindruck von der Rekrutierung des Personals vermittelt der Historiker Hans-Jürgen Döscher in seinem 2005 erschienenen Buch "Seilschaften. Die verdrängte Vergangenheit des Auswärtigen Amts":

    "Seine wichtigsten Keimzellen waren – neben dem Zeugenflügel im Nürnberger Justizgebäude – das Deutsche Büro für Friedensfragen (Stuttgart), die Bayrische Staatskanzlei (München), das Evangelische Hilfswerk (Stuttgart) und der Zonenbeirat für die britische Besatzungszone. In diesen Institutionen überlebten viele Diplomaten des untergegangenen Deutschen Reiches die Zeit ihrer Entnazifizierung und politisch bedingten Arbeitslosigkeit. Aus diesen Institutionen strömten sie 1949 und 1950 einvernehmlich in die Dienststelle für auswärtige Angelegenheiten beim Bundeskanzleramt. Als daraus das Auswärtige Amt hervorging, waren dessen Schlüsselpositionen sogleich fest in den Händen ehemaliger Berufsdiplomaten der Berliner Wilhelmstraße."

    Das war die Adresse des Amtes vom Kaiserreich bis zum Zweiten Weltkrieg. Im sogenannten Wilhelmstraßen-Prozess, dem letzten der Nürnberger Nachfolgeprozesse, war deutlich geworden, in welchem Ausmaß das Auswärtige Amt an den nationalsozialistischen Verbrechen beteiligt gewesen war. Doch gleichzeitig war von dem Verteidiger-Kreis um den prominentesten der Angeklagten, Ernst von Weizsäcker, der von 1938 bis 1943 Staatssekretär unter Reichsaußenminister von Ribbentrop gewesen war, eine Umdeutung der Geschichte in die Welt gesetzt worden. Nur um Schlimmeres zu verhindern oder Widerstand zu leisten sei die alte Garde der Wilhelmstraße auf dem Posten geblieben. Als mit der offiziellen Wiedererrichtung des Amtes das Ganze Ausmaß personeller und organisatorischer Kontinuität zutage trat, kam es zu heftiger Kritik in in- und ausländischen Zeitungen. Ein auf Antrag der SPD im Oktober 1951 eingesetzter Untersuchungsausschuss stellte fest:

    "Es wurden einige Personen beschäftigt, deren Verwendung das Vertrauen des In- und Auslandes zur demokratischen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen konnte."

    Die Konsequenzen fielen moderat aus, wie der Historiker Hans-Jürgen Döscher betont:

    "Dann hat man also diese Diplomaten, von denen ich eben sprach, die inkriminiert waren, nicht mehr allseitig einsetzen können, sondern hat sie dann vorrangig in den arabischen Hauptstädten oder in Südafrika oder in der Zentrale eingesetzt."

    In der Debatte des Bundestags im Oktober 1952 über den Bericht des Ausschusses gab Adenauer zu, dass die leitenden Stellen des Auswärtigen Amtes zu zwei Dritteln mit "Ehemaligen" und Parteigenossen besetzt waren. Doch er meinte nur, man habe eben erfahrene Fachleute gebraucht. Er bekam großen Beifall seitens der Regierungsparteien, als er sagte:

    "Ich meine, wir sollten jetzt mit der Naziriecherei mal Schluss machen. Denn verlassen Sie sich darauf: Wenn wir damit anfangen, weiß man nicht, wo es aufhört."

    Entscheidender als demokratische Reeducation waren inzwischen stabile Verhältnisse in Westdeutschland als starkem Partner im Bündnis der Westmächte gegen den als weltweiten Aggressor betrachteten Kommunismus. Als 1955 die Bundesrepublik ihre Souveränität wiedererlangt hatte, überließ Adenauer den Außenministerposten Heinrich von Brentano. Erst mehr als ein halbes Jahrhundert später rückte dank der großen Resonanz auf die von Außenminister Joschka Fischer in Auftrag gegebene Untersuchung einer Historiker-Kommission über "Das Amt und die Vergangenheit" ins öffentliche Bewusstsein, welche Kontinuität im Falle des Auswärtigen Amtes gepflegt worden war.