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Langes Warten auf das Ende der Castro-Ära

Rund um Miamis Máximo-Gómez-Park leben viele Kubaner. Besonders die Älteren unter ihnen werden oft nur als Domino spielende Senioren wahrgenommen. Dabei haben sie nicht selten ein komplettes Exilantenleben lang die Flagge des Widerstands hochgehalten und aus der Ferne für ein besseres Kuba gekämpft.

Von Tom Noga | 14.01.2013
    Wie lange er nicht mehr hier gewesen ist? José Basulto legt die Stirn über der schwarzen, feinrandigen Brille in Falten. Ein Jahr mindestens, eher zwei, vielleicht sogar drei. Dabei gehörte der Besuch im Máximo-Gómez-Park auf Miamis 8. Straße früher zum täglichen Pflichtprogramm. Ein Café Cubano, eine Art Espresso mit sehr viel Zucker, eine Partie Domino oder ein Schwätzchen unter Gleichgesinnten. In der Mittagspause, zum Feierabend oder nach erfolgreichem Abschluss eines Geschäfts.

    Der Park ist benannt nach einem Helden des kubanischen Unabhängigkeitskriegs – und alles anderes als grün und weitläufig. Ein enges Karree, umzäunt, der Boden betoniert. An einem halben Dutzend überdachter Tische sitzen alte Männer, die meisten jenseits der 70, und spielen Schach oder Domino. Wolken ziehen auf, Sekunden später regnet es in Strömen. Schnell werden Planen heruntergelassen, zum Schutz gegen Spritzwasser.

    José Basulto räuspert sich.

    "Es gibt zwei Arten von Kubanern. Die einen auf der Insel sagen 'Yo quiero resolver' - ich löse meine Probleme von Tag zu Tag. Die anderen sind hier und sagen: 'Ich habe meine Probleme gelöst'. Beide Gruppen haben nichts gemein, außer dem Wunsch, dort rauszukommen, und wenn der erfüllt ist, war's das. Und dazwischen gibt es ein paar wenige Patrioten, die ihr Leben der Veränderung der politischen Situation widmen."

    Sich selbst zählt José Basulto zur dritten Kategorie, wie die meisten alten Männer im Máximo-Gómez-Park. Es sind kubanische Auswanderer der ersten Stunde, geflohen oder von ihren Eltern ins Exil nach Miami geschickt gleich nachdem die barbudos, die bärtigen Revolutionäre um Fidel Castro und Che Guevara, am Neujahrstag des Jahrs 1959 Diktator Fulgencio Batista vertrieben und die Macht auf der Insel übernommen hatten. In Miamis kubanischer Gemeinde werden sie als históricos bezeichnet, als die ursprünglichen Exilanten, sie selbst sehen sich als la nata, die Sahne. Weil sie samt und sonders der intellektuellen, ökonomischen und kulturellen Elite Kubas entstammen. Und weil sie im Exil die Flagge des Widerstands hoch gehalten haben. Die Hälfte der Schach- und Dominospieler, sagt José Basulto, sind Veteranen der kläglich gescheiterten Invasion in der Schweinbucht, einem vom amerikanischen Geheimdienst CIA gesteuerten Versuch, die Konterrevolution nach Kuba zu tragen. Der kleine Mann mit der Hakennase zum Beispiel: Er heißt Ángel Yunez, ihm gehört der Gemüseladen ein paar Ecken weiter. Damals hat er an vorderster Front gekämpft.

    "Was soll ich darüber erzählen? Das war eine Sache, die nicht funktioniert hat. Wir waren 1300 Mann und wir haben die Demokratie gegen den Kommunismus verteidigt. Wir wurden verraten, vom damaligen Präsidenten der USA. Aber ich will nichts mehr davon wissen, das ist Geschichte, eine verlorene Sache."

    Der damalige Präsident war John F. Kennedy, ein Demokrat. Seine Weigerung, die Invasion durch US-Militär zu unterstützen, erklärt, warum die Exilkubaner im Gegensatz zu anderen Latinos bis heute mehrheitlich republikanisch wählen. Den Namen John F. Kennedy nimmt Ángel Yunez nicht in den Mund. Und auch sonst gibt er sich verschlossen. Das Unternehmen Schweinebucht war nicht nur militärisch ein Desaster. Auf dem Rückweg ins 150 Kilometer entfernte Miami, erzählt José Basulto, sei das Boot von Ángels Trupp wochenlang durch die Meerenge von Florida geirrt, ernährt hätten sich die Widerstandskämpfer vom Fleisch gefallener Kameraden.

    Auch José Basulto hat an der Invasion in der Schweinebucht teilgenommen. Nicht an den Kampfhandlungen zwar, aber als zur Vorbereitung eingeschleuster Kundschafter. Nach dem Scheitern des Unternehmens musste er sich auf eigene Faust nach Guantánamo durchschlagen, zum US-Stützpunkt im Süden der Insel. Ein Jahr später, im Herbst 1962, hat er von einem Schnellboot aus Kanonenkugeln auf ein Hotel in Havanna abgefeuert.

    "Deshalb bin ich für die kubanische Regierung bis heute ein Terrorist. Aber man muss alles im zeitlichen Kontext betrachten. Damals waren wir Freiheitskämpfer, nach heutigen Maßstäben wären wir Terroristen. Wie gesagt: Man kann Dinge, die vor vielen, vielen Jahren passiert sind, nicht mit den Maßstäben von heute messen."

    Man kann diese Sicht der Dinge selbstgefällig nennen. Aber José Basulto ist kein Ewiggestriger, kein unversöhnlicher Hardliner. Als einer der ersten in Miamis Exilgemeinde und gegen erheblichen Widerstand hat er sich dafür eingesetzt, auf Gewalt im Kampf gegen die kubanische Revolution zu verzichten. Er war in vorderster Linie dabei als Jorge Mas Canosa, der führende Kopf der Exilkubaner, im Jahr 1998 die Cuban American National Foundation gründete, kurz CANF, eine Lobbyorganisation, die seitdem der Stimme des Exils starkes politisches Gewicht verleiht. Und als Anfang der 1990er eine Massenflucht aus Kuba einsetzte, rief Basulto die Hermanos al Rescate ins Leben – die Brüder zur Rettung flogen Patrouillen über der Meerenge von Florida, um balseros zu helfen, in Seenot geratenen Bootsflüchtlingen. Sein Heimatland hat José Basulto seit der Invasion in der Schweinebucht nicht wieder betreten.

    Sein Kuba und das der anderen Exilanten liegt mitten in Miami, um die 8. Straße, die seit ein paar Jahren auch offiziell auf Spanisch Calle 8 heißt. Little Havana, nennt sich das Viertel, ein Zwölftel der 700.000 Exilkubaner in Florida lebt oder arbeitet hier.

    Calle 8 ist geprägt von Zigarrenläden und Raucherlounges, von Kaffeehäusern und Mamboschuppen. José Basulto setzt sich an einen Resopaltisch und ordert einen Café Cubano. In Bars wie dieser, erzählt er, wurden früher Umsturzpläne geschmiedet, entstanden militante Gruppen wie Alpha 66 und Omega 7, die Castros Regime mit Anschlägen und Attentaten destabilisieren wollten. Aber das ist längst Vergangenheit, auch die Exilanten der ersten Stunde, die históricos, haben sich gewandelt.

    "Es war ein langer Prozess. Für mich begann er mit der Einsicht, dass es dumm war, was wir taten. Ich meine die Anschläge in Kuba, die ich organisiert oder an denen ich teilgenommen habe. Wir waren frustriert und suchten nach anderen Wegen, wir fragten uns: Was können wir tun? Den Anstoß gaben uns Menschen wie Ricardo Bofill, der als einer der ersten auf der Insel die Einhaltung der Menschenrechte forderte. Durch ihn erkannte ich, dass der Boden auf Kuba fruchtbar genug war, um dort die Pflanze der Gewaltfreiheit zu züchten."

    Ricardo Bofill war Professor für Marxismus-Leninismus an der Universität von Havanna. 1976 gründete er mit Kollegen und Studenten ein Menschenrechtskomitee, die erste Dissidentengruppe überhaupt in Kuba nach der Revolution. Das brachte ihm zwölf Jahre Gefängnis ein. Seit 1988 lebt er im Exil. Seine Ankunft in Miami markierte einen Paradigmenwechsel: Fortan setzten die Exilkubaner statt auf gewaltsame Aktionen von außen mehr und mehr auf Unterstützung des Widerstands von innen. José Basultos Hermanos al Rescate etwa warfen Flugblätter über Havanna ab, auf der einen Seite die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen, auf der anderen der Spruch "El cambio soy yo" – ich bin der Wandel.

    Der Barkeeper mischt sich ein, er heißt Eduardo Diaz.

    "Die wahre Geschichte Kubas habe ich erst hier erfahren, alles was ich dort gelernt hatte, zumindest 90 Prozent, war Lüge. Hier habe ich vom Guten und Schlechten der Regierungen vor Fidel Castro erfahren. Schlecht waren die mangelhafte Verwaltung und dass Politiker sich bereichert haben, gut der Wohlstand, die Freiheit, die freie Presse. Aber dort erzählen sie dir, dass alles vor Fidel Castro schlecht war, schlecht, schlecht, schlecht. Es gibt keine Freiheit in Kuba, überhaupt keine Freiheit."

    Eduardo Diaz ist mit der sogenannten Mariel nach Miami gekommen, der zweiten Auswanderungswelle nach den históricos, benannt nach einer kleinen Hafenstadt. Aus Mariel schifften sich zwischen April und Oktober 1980 insgesamt 125.000 Kubaner ein - nach einer massiven Wirtschaftskrise wollte das Regime Druck ablassen und erlaubte jedem, der gehen wollte, die Ausreise. Die balseros sind die dritte große Auswanderungswelle, man schätzt ihre Zahl auf über 50.000. Heute lassen sich nur noch wenige Kubaner auf diese lebensgefährliche Flucht ein, auch weil die USA Ende der 1990er-Jahre noch unter Präsident Bill Clinton ein Rückführungsabkommen mit Havanna geschlossen haben. Es läuft unter der Bezeichnung "wet feet, dry feet policy": Wer es an Land schafft, also trockenen Fußes ist, darf in den USA bleiben, auf See Aufgegriffene werden nach Kuba zurück gebracht.

    Die Padilla Lounge auf der Calle 8, direkt gegenüber dem Máximo-Gómez-Park mit den Domino- und Schachspielern: Holzvertäfelungen bis unter die Decke, Edelholzparkett auf dem Boden. An den Wänden in Humidoren Zigarren, Hunderte, Tausende. José Basulto kauft eine Maduro Churchill, die Zigarre, die der britische Kriegs- und Nachkriegspremier bevorzugt hat, und lässt sich in einen Ohrensessel fallen. Ihm gegenüber ein Mittdreißiger: kurze schwarze Haare, riesige Nase, wache Augen, auch er eine Zigarre in der rechten Hand. Er stellt sich als Maikel Zamorra vor. Die beiden Männer kommen ins Gespräch. Maikel ist ein balsero, vor acht Jahren ist er mit einem Dutzend Gleichgesinnter in See gestochen.

    "Die ersten 19 Stunden war alles gut, der Motor lief rund, es war sehr schön, Delfine schwammen neben unserem Boot. Aber nach 20 Stunden wurde es hart, Sturm zog auf, Himmel und Meer wurden eins, und die Wellen waren so hoch, dass der Motor kaputt ging. Wir waren also ohne Motor und hatten immer noch einen weiten Weg vor uns. Wir sind um unser Leben gerudert, über die Wellen, im offenen Meer. Wir waren erschöpft nach zwei Tagen und zwei Nächten, hatten nichts mehr zu essen und nichts mehr zu trinken. In der dritten Nacht sahen wir Lichter, und als die Sonne aufging, waren wir kurz vor der Isla Morada unten in den Keys. Dort griff uns die amerikanische Küstenwache auf, packte uns in ein großes Boot und brachte uns zurück nach Kuba."

    José Basulto klopft ihm mitfühlend auf die Schulter, er ahnt, was folgte. Ein Jahr saß Maikel im Gefängnis, wofür weiß er nicht, der Prozess wurde ihm nie gemacht. Im Knast hat er beschlossen, es auf die, wie er sagt, clevere Art zu versuchen. Er hat Geld gespart, Verwandte in Florida angepumpt und sich schließlich von der Insel schleusen lassen. Über Guatemala und Mexiko an die US-amerikanische Grenze. Dort, wo die Träume vieler Migranten aus Mittelamerika zerschellen, ging alles ganz schnell. Innerhalb von sechs Stunden hatte Maikel eine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung und betrat zum ersten Mal den Boden der Vereinigten Staaten.

    "Das war am 13. August 2005 – an Fidel Castros Geburtstag. Was für ein Geschenk für mich, genau der richtige Tag nach all den Jahren."

    José Basulto lächelt. Dann stoßen die beiden Männer mit einem Ron Centenario an, einem besonders edlen Rum. Der Weg über Mittelamerika, mithilfe von Menschenhändlern, ist heute die einzige Möglichkeit, Kuba zu verlassen. Ob die Abschaffung der Ausreisegenehmigung, wie kürzlich geschehen, daran etwas ändern wird? Die beiden Männer schütteln den Kopf: Kaum ein Kubaner hat einen Reisepass, darüber behalten die Behörden weiterhin die Kontrolle.

    In Miami hat Maikel Zamorra es nicht leicht. Er ist Vater geworden, aber die Beziehung zu der Mutter seiner Tochter hat nicht gehalten. Er ist Künstler, nur leben kann er nicht davon, also verdingt er sich als Anstreicher. Aber trotzdem, beharrt Maikel, er habe alles richtig gemacht, alles sei besser als das Leben in Kuba. Er öffnet eine Stofftasche und zieht ein Gemälde heraus, eines von vielen, auf denen er sich mit seinem Heimatland beschäftigt.

    "Auf diesem Gemälde sehen wir einen Haufen Superkubaner auf einem Bau. Superkubaner sind Typen mit der Nationalflagge als Haut. Sie bauen eine herzförmige Wohnanlage, eine Anlage für die Liebe, weil Liebe der einzige Weg ist, auf dem wir es schaffen können. In dem Herz haben wir eine Kirche und Häuser, in denen die Menschen leben. Und diese kleinen Typen in den kubanischen Nationalfarben reparieren und streichen und flicken. Sie bauen eine neue Ära, ein neues System, ein neues Land. Das Bild heißt "Geschlossen wegen Umbau", aber ich weiß, dass die Anlage eines Tages allen Menschen offen stehen wird."

    Dafür, dass es so kommt, arbeitet Ómar López Montenegro. Er sitzt im Versailles, dem ältesten kubanischen Restaurant in Miami, ein kleiner, dunkelhäutiger Mann mit Glatze und einem Lächeln so breit wie die Meerenge von Florida. Bis in die 1980er-Jahre detonierten auf dem Parkplatz vor dem Restaurant schon mal selbstgebastelte Bomben, wenn sich die Falken und Tauben der Exilgemeinde mal wieder bekämpften.

    Ómar López Montenegro war einer der führenden Köpfe in Ricardo Bofills Menschenrechtsbewegung. In Kuba wurde er 19 Mal inhaftiert. Verwandte und Freunde rieten ihm, das Land zu verlassen. Lange hat er sich geweigert, er wollte sich nicht klein kriegen lassen. Nach dem letzten, siebenmonatigen Gefängnisaufenthalt ist Ómar López Montenegro 1988 geflohen. Das Regime hat gewonnen, resümiert er bitter.

    Heute ist Ómar López Montenegro der Leiter der Menschenrechtsabteilung bei der CANF, der kubanisch-amerikanischen Lobbyorganisation.

    "Viele Leute sagen, dass wir mit dem Regime in Kuba verhandeln oder zumindest in einen Dialog mit ihm kommen müssen. Das stimmt, antworte ich ihnen, aber damit sich eine Diktatur auf die Menschen einlässt, müssen die Menschen Macht haben. Das ist der zentrale Punkt: Wie geben wir den Menschen in Kuba so viel Macht, dass sie eine so große Herausforderung für das Regime darstellen, dass es gezwungen ist, mit ihnen zu verhandeln. Erst dann können wir von Veränderungen sprechen."

    Auf diese Veränderungen arbeitet er hin. Er organisiert Laptops, Handys und Speicherkarten für die Dissidenten in Kuba oder Telefoninterviews auf Radio Martí, dem Sender der Exilkubaner in Miami.

    "Mittlerweile gibt es Dissidenten in allen Teilen des Landes. Was fehlt, ist die Verbindung untereinander, ein Netzwerk, das eine Herausforderung für das Regime darstellt. Und ich spreche hier nur von Leuten, die sich als Dissidenten zu erkennen geben. Bei den letzten Wahlen zum Beispiel, wobei... Wahlen ist die falsche Bezeichnung, weil man sich ja nur zwischen Mitgliedern der Kommunistischen Partei entscheiden kann, haben nach offiziellen Angaben 9,3 Prozent der Wahlberechtigten ihren Stimmzettel ungültig gemacht. Das sind rund 800.000. Auch sie sind Dissidenten, auch wenn sie sich noch nicht als solche zu erkennen geben."

    José Basulto nickt. Frühere Widerstandsgruppen ließen sich noch zerschlagen. Doch das Echo der letzten Attacke des Regimes gegen seine Kritiker hallt bis heute nach. Im so genannten schwarzen Frühling des Jahres 2003 wurden 75 Dissidenten verhaftet und wegen Verstößen gegen die nationale Souveränität Kubas zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, unter ihnen der im Februar 2010 an den Folgen eines Hungerstreiks verstorbene Orlando Zapata. Die Frauen und Lebensgefährtinnen der Inhaftierten haben sich zu den Damas de blanco zusammengeschlossen, den Damen in Weiß. Ursprünglich marschierten sie jeden Sonntag in weißer Kleidung mit Gladiolen in den Händen zur Kirche Santa Rita de Casia in Havanna. Doch mittlerweile, hebt Òmar López Montenegro hervor, gibt es die Damas de blanco in allen Städten des Landes. Es gärt auf der Insel, ergänzt José Basulto. In spätestens fünf Jahren würden wir den Anfang vom Ende des Regimes erleben.