Donnerstag, 28. März 2024

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Langzeitstudie
"Dramatischer Insektenverlust selbst in Schutzgebieten"

Landwirtschaftliche Flächen sind wegen des Pestizideinsatzes insektenfeindlich - das ist schon länger bekannt. Eine neue Studie stellt jetzt aber auch das Verschwinden von Insekten aus Schutzgebieten fest. Das habe gravierende Auswirkungen auf den Rest des Ökosystems, sagte Studienleiter Hans de Kroon im Dlf.

Hans de Kroon im Gespräch Monika Seynsche | 19.10.2017
    Honigbiene sitzt auf Kornblume.
    Honigbiene sitzt auf Kornblume. (imago / blickwinkel)
    Monika Seynsche: Je intensiver die Landwirtschaft ist, desto weniger Insekten können dort leben. Das ist schon länger bekannt. Jetzt aber haben niederländische, deutsche und britische Forscher Insekten in Schutzgebieten untersucht und auch dort einen dramatischen Schwund festgestellt. Die Biomasse aller Insekten in 63 deutschen Schutzgebieten nahm über 27 Jahre hinweg um drei Viertel ab. Ihre Ergebnisse stellen sie heute im Fachmagazin "PLoS One" vor. Ich habe den Leiter der Studie, Hans de Kroon von der Radboud University in Nimwegen gefragt, warum die Insekten verschwinden.
    Hans de Kroon: Das haben wir natürlich im Detail analysiert mit den Daten, die uns zur Verfügung standen. Im Moment können wir allerdings nur einige Faktoren ausschließen, zum Beispiel den Klimawandel. Es wird zwar durch den Klimawandel auch in Deutschland wärmer, aber das sollte eigentlich zu einem Anwachsen der Insektenpopulationen führen. Ein anderer Faktor, den wir ausschließen können ist das Management der untersuchten Schutzgebiete. Denn dieses Management ist sehr gut. Und trotzdem verschwinden die Insekten.
    "Schutzgebiete alle umgeben von einer menschendominierten Landschaft"
    Seynsche: Können Sie denn dann wenigstens über die wirklichen Gründe spekulieren, wenn Sie diese beiden Faktoren schon ausschließen?
    de Kroon: Ja. Eines der Dinge, die auffallen ist, dass diese Schutzgebiete alle umgeben sind von einer menschendominierten Landschaft. Das ist in Deutschland aber auch im Rest Westeuropas der Fall. Es kommt also zu einem intensiven Kontakt der Insekten zu den landwirtschaftlichen Flächen im Umland. Wir wissen, dass Felder und Äcker aufgrund von Pestiziden und Düngemitteln eine sehr lebensfeindliche Umgebung für Insekten darstellen. Möglicherweise wirken diese Flächen in die Schutzgebiete hinein, und zwar auf Wegen, über die wir bisher noch nicht nachgedacht haben.
    Seynsche: Etwa indem die Insekten aus den Schutzgebieten bei Ausflügen auf die Äcker ums Leben kommen?
    de Kroon: Ja. Es gibt da zwei Möglichkeiten. Zum einen genau das, was Sie ansprechen: Insekten wachsen im Schutzgebiet heran und verteilen sich dann, allerdings nicht sehr weit. Sie gelangen also auf die Felder der Umgebung, auf denen sie aber als Population nicht überleben können. Als Folge davon könnten die Schutzgebiete geradezu leergesaugt werden. Eine andere Möglichkeit ist, dass Düngemittel und Pestizide in geringen Konzentrationen auch in die Schutzgebiete selbst gelangen und dort die Insektenpopulationen gefährden. Das ist eine weitere Möglichkeit, die wir in Betracht ziehen müssen.
    "Insekten sind verantwortlich für die Bestäubung"
    Seynsche: Was bedeutet dieser Verlust an Insekten für den Rest der Ökosysteme?
    de Kroon: Nun, Sie müssen sich klar machen, dass die Insekten verantwortlich sind für die Bestäubung und damit die Fortpflanzung der meisten Pflanzen. Außerdem sind sie eine Hauptnahrungsquelle für den Großteil aller Vögel, Säugetiere und Amphibien. Wenn Dreiviertel einer solchen Nahrungsquelle einfach verschwinden, muss das gravierende Auswirkungen auf den Rest des Ökosystems haben.
    Seynsche: Sind diese Auswirkungen denn schon zu sehen?
    de Kroon: Das ist das Neue an unserer Studie und der Tatsache dass wir den Verlust an Insekten nun mit einer konkreten Prozentangabe benennen können. Wir können uns jetzt zum Beispiel den Rückgang insektenfressender Vögel aus einem ganz anderen Blickwinkel anschauen. Möglicherweise spielt das Nahrungsangebot dabei eine viel größere Rolle als wir bislang angenommen haben.
    Insektenschutzgebiete ähnlicher Verlust wie bei anderen Gebieten
    Seynsche: Sie haben sich ja nur Schutzgebiete angeschaut. Was könnten Ihre Ergebnisse für Gebiete bedeuten, die nicht unter Schutz stehen?
    de Kroon: Es gab schon Studien auf landwirtschaftlichen Flächen, an Feldrändern und dergleichen. Und daher wissen wir, dass diese Gebiete sehr insektenfeindlich sind, aufgrund der Intensivierung der Landwirtschaft und aufgrund des Einsatzes von Pestiziden. Wir wissen also schon, dass diese Gebiete sehr verarmt an Insekten sind. Das Schockierende ist zu sehen, dass ein ähnlicher dramatischer Insektenverlust selbst in Schutzgebieten stattfindet.
    Seynsche: Die Schutzgebiete helfen den Insekten also nicht?
    de Kroon: Unglücklicherweise scheint das nicht der Fall zu sein, und das obwohl genau dieser Schutz ja ihr Zweck ist. Unsere deutschen Kollegen aus Krefeld sind im Management einiger Schutzgebiete eingespannt und haben im Laufe der Jahrzehnte gesehen, dass ihnen ihr Studienobjekt quasi aus den Händen rinnt. Und das aus Gründen, die sie nicht kennen. Wir wissen dass viele der Schutzgebiete genau in der richtigen Art und Weise betrieben werden, und trotzdem verschwinden die Insekten aus ihnen.
    "Man kann sich kaum vorstellen, was passiert, wenn dieser Trend anhält"
    Seynsche: Wenn Sie sagen, die gesamte Insektenbiomasse hat innerhalb von nur 30 Jahren um Dreiviertel abgenommen, was bedeutet das für die nächsten Jahre oder Jahrzehnte? Werden wir eine Welt ohne Insekten sehen?
    de Kroon: Das ist ein guter Punkt. Man kann sich kaum vorstellen, was passiert, wenn dieser Trend anhält und wir noch einmal Dreiviertel von dem was noch übrig ist, verlieren. Aber wir sehen Hinweise darauf. In Holland und möglicherweise auch in Deutschland, da bin ich mir nicht ganz sicher, beobachten wir, dass selbst ganz häufige Vogelarten, wie Spatzen, Stare, Amseln und Elstern auf dem Rückzug sind. Und darüber wundern sich die Vogelkundler unter meinen Kollegen. Denn man erwartet, dass die besonders sensiblen Vögel weniger werden, aber es trifft auch ganz normale Vögel. Das könnte sehr wohl ein Zeichen von akutem Nahrungsmangel sein. Und das ist etwas, das wir uns wirklich genauer anschauen müssen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.