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"Lasst die Finger von einer Rechtschreibreform!"

Die Rechtschreibung habe unter den Reformen 1996 und 2006 sehr gelitten, sagt Hans Zehetmaier, Vorsitzender des Rats für deutsche Rechtschreibung. Im Internetzeitalter mit Twitter und SMS müsse man froh sein, wenn sich noch jemand um deutsche Sprache in gepflegter Form bemühe.

Hans Zehetmaier im Gespräch mit Manfred Götzke | 01.08.2011
    Manfred Götzke: Sie sollte die deutsche Schriftsprache einfacher, logischer und insgesamt besser machen: die Rechtschreibreform. Nehmen wir mal ein Beispiel, um das zu veranschaulichen: Das Anrede-Fürwort "Ihr" darf ich seit der Rechtschreibreform groß oder klein schreiben. Klingt erst mal einfacher, weil ich es ja schreiben kann, so wie ich will. Wenn, ja wenn da nicht eine kleine Ausnahme wäre: Wenn ich jemanden sieze und dabei das Ihr nutze - "Bezug nehmend auf Ihr Schreiben vom 15.07." -, dann muss ich das "Ihr" im Brief groß schreiben. Ein Beispiel von vielen, weshalb auch so mancher Deutschlehrer die neue Rechtschreibung immer noch nicht ganz beherrscht. Eingeführt wurde sie heute vor genau 15 Jahren, am 1. August '96, und vor genau fünf Jahren trat dann die Reform der Rechtschreibreform in Kraft, bei der viele der Neuerungen erst mal wieder zurückgenommen wurden. Hans Zehetmair ist Vorsitzender des Rates für deutsche Rechtschreibung. Herr Zehetmair, vermissen Sie eigentlich manchmal das ß im Dass?

    Hans Zehetmair: Das vermisse ich gar nicht, weil ich im Grunde dafür bin, dass man ordentlich spricht. Und nach der Phonetik weiß man dann auch, dass nach kurzem Vokal das Doppel-S sinnvoll ist, auch für die Kinder, sei es nun in der Mitte eines Wortes oder am Ende eines Wortes. Im Übrigen haben wir bis auf das "Dass" ja eh das Meiste wieder korrigiert.

    Götzke: Warum haben Sie es eigentlich wieder korrigiert 2006, bei der Reform der Reform?

    Zehetmair: Ja, Sie wissen so gut, wie sehr die Verwirrung war Anfang der Tausenderjahre, also 2001, 2002, 2003. Und dann haben die Ministerpräsidenten und die Kultusminister in Deutschland kalte Füße bekommen und gesagt, so kann es nicht bleiben, dass die Menschen sich auch noch in der Rechtschreibung erregen und beklagen, dass das nicht mehr ihre Rechtschreibung sei. Also, große Verunsicherung im Lande. Da ist man auch zu weit gegangen und hat sich zu sehr vom Schreibgebrauch der Menschen entfernt.

    Götzke: Verunsicherung ist das richtige Stichwort: Hat die denn abgenommen mittlerweile?

    Zehetmair: Also, auf jeden Fall hat sie deutlich abgenommen bei der Jugend. Also bei der jungen Generation, die gar keine Probleme im Schnitt hat, bis auf die Tatsache, dass es ja immer schon, wie immer die Rechtschreibung war - von 1901 ab beginnend bei Duden, der ja 100 Jahre alt geworden ist, heute übrigens alt wird [Anm. der Onlineredaktion: Konrad Duden ist vor hundert Jahren gestorben] -, dass es immer schon so war, dass einige mit der Rechtschreibung auf Kriegsfuß standen. Aber generell ist es einfacher geworden und hat auch die Verunsicherung abgenommen. Ich kriege auch so gut wie keine Proteste mehr.

    Götzke: Das war zu Beginn sicher anders!

    Zehetmair: Oh, das war wild!

    Götzke: Ja, bei der Jugend ist es ja so, die hat die alte Rechtschreibung ja gar nicht mehr mitbekommen in der Form. Anders bei den Deutschlehrern! Es gab die Reform 1996, dann 2006 wurde ja einiges wieder zurückgedreht. Beherrschen die jetzt die geltende Rechtschreibung?

    Zehetmair: Ja, von den Deutschlehrern nehme ich schon an, dass sie es beherrschen. Etwas schwieriger ist es im akademischen Bereich, da gibt es Professoren, die mir ins Gesicht sagen: Wir schreiben wie bisher, wir wollen uns nicht verändern. Meine Antwort ist lakonisch: Macht nichts, eure Sekretärinnen können das ja.

    Götzke: Wie sehr hat die Rechtschreibung denn insgesamt unter den Reformen gelitten?

    Zehetmair: Sie hat schon gelitten. Es ist ja eh schon ein Problem, die Menschen noch zur geschriebenen Sprache zu führen. Im Internetzeitalter, in einer Zeit, in der man twittert und SMS macht und verkürzt alles schreibt, muss man froh sein, wenn noch jemand um deutsche Sprache in gepflegter Form bemüht ist. Das hat Schaden genommen über die Jahrzehnte, nun schon zehn, 15 Jahre. Und ich hoffe, dass wir jetzt im Laufe der Jahre wieder zu einer Stabilisierung und zu einer Identifizierung der Menschen mit der geschriebenen Sprache kommen.

    Götzke: War die Reform dann richtig, wenn sie für mehr Verwirrung und für weniger Beherrschung der Rechtschreibung geführt hat?

    Zehetmair: Ich hätte sie nicht vom Zaune gebrochen, ich würde sie auch nicht mehr vom Zaune brechen. Auf jeden Fall gilt die Mahnung: Politiker, lasst die Finger von einer Rechtschreibreform, das ist nicht euer Metier!

    Götzke: Hat die Bedeutung von Rechtschreibung insgesamt gelitten in Zeiten von SMS, Steno und Facebook-Chat?

    Zehetmair: Die Rechtschreibung hat erstens gelitten unter den Dingen, die Sie genannt haben, und zum Zweiten unter der deutlichen Zunahme von Anglizismen und Verfremdung unserer Sprache. Das ist auch der Grund, warum wir jetzt in der Fortschreibung dieser Eindeutschungen wieder zurücknehmen und wieder bei der authentischen Schreibung bleiben.

    Götzke: Herr Zehetmair, danke für das Gespräch!

    Zehetmair: Bitte schön!

    Götzke: Hans Zehetmair vom Rat für deutsche Rechtschreibung.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.